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Geschichte: Plagiatsverdacht gegen Marco Polo entkräftet

Heidelberg. Der venezianische Kaufmann beschrieb in seinem Reisebericht das chinesische Finanzwesen mit buchhalterischer Genauigkeit, doch die Große Mauer erwähnte er nie. Einige Schilderungen erschienen Historikern zudem maßlos übertrieben. Manch einer zweifelte deshalb daran, dass Marco Polo tatsächlich in China war. Hans Ulrich Vogel erklärt in der Juliausgabe von Spektrum der Wissenschaft, warum ein Betrug trotz allem unwahrscheinlich ist.
Chinesische Mauer

Hat Marco Polo seine berühmte Reise nach China nur erfunden? In seinem 1298 verfassten Bericht "Die Beschreibung der Welt" notiert der Venezianer nichts über Essstäbchen oder die chinesische Druckereikunst. Selbst die Große Mauer war ihm anscheinend entgangen. Obendrein wird Polo selbst in keiner Aufzeichnung seiner Gastgeber erwähnt. Verschiedene Historiker hegten den Verdacht, der Kaufmann könnte seine Informationen von anderen Reisenden erhalten haben, während er selbst in Wirklichkeit nicht weiter als bis ans Schwarze Meer gelangte.

Bei genauer Betrachtung lassen sich allerdings viele dieser Auffälligkeiten erklären. Nach Einschätzung des Sinologen Hans Ulrich Vogel von der Universität Tübingen beweist vor allem Marco Polos detailreiche Beschreibung von Salzproduktion und -handel während der Yuan-Zeit, dass er tatsächlich dort gewesen ist.

Zum Hintergrund: Marco Polo verbrachte seinem Bericht zufolge 17 Jahre in China, unter anderem am Hof des Kublai Khan, Dschingis Khans Enkel. Weil nach dem Zusammenbruch der mongolischen Yuan-Dynastie kaum ein Europäer China betreten konnte, waren die vielen unglaublichen Beobachtungen des venezianischen Kaufmanns nicht überprüfbar. Eine öffentliche Diskussion kam 450 Jahre später auf, vor allem wegen fehlender Beschreibungen der Großen Mauer.

Doch laut Vogel spricht einiges gegen eine Fälschung: Als Händler interessierte sich Polo von Haus aus weniger für gesellschaftliche Phänomene als für das Finanzsystem Chinas. Statt Sitten und Gebräuche, wie das Binden von Frauenfüßen oder den Teegenuss, beschrieb er den Gebrauch von Salz als Zahlungsmittel mit einzigartiger Genauigkeit. Einige der scheinbar überdimensionierten Zahlen lassen sich mittlerweile mit Hilfe chinesischer Aufzeichnungen belegen. Und die Große Mauer? Sie wurde erst nach dem Zusammenbruch des mongolischen China errichtet!

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, Juli 2013
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