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Hirnforschung: Atombombentests belegen Zellentstehung im Hirn

Ein Leben lang reifen in unserem Gehirn – genauer gesagt: in einem Teil des Hippocampus, der zentralen Schaltstelle des Gedächtnisses – täglich neue Nervenzellen heran. Dass dies so sein dürfte, hatten Wissenschaftler schon seit Längerem anhand von Studien an Nagetieren vermutet. Den endgültigen Beleg erbrachte nun jedoch ein Team um Kirsty Spalding vom Karolinska Institutet der Universität Stockholm mit Hilfe eines raffinierten Verfahrens, das sich oberirdische Atomtests aus der Zeit des Kalten Kriegs zu Nutze machte [1].

Die Forscher konzentrierten sich auf eine Begleiterscheinung der Nukleartests: das radioaktive Isotop Kohlenstoff-14, das durch die Bombenzündungen entsteht. Mit Beginn der Tests im Jahr 1955 schoss sein Gehalt in der Atmosphäre dramatisch in die Höhe, um dann, nach Verabschiedung des Moskauer Atomteststoppabkommens von 1963, langsam wieder abzusinken.

Explosionsartiger Anstieg | Die Grafik zeigt deutlich, wie mit Beginn der Atomtests der atmosphärische Gehalt an Kohlenstoff-14 dramatisch ansteigt. Die starken zeitlichen Schwankungen halfen jetzt Hirnforschern, das Alter von Zellen im Gehirn zu bestimmen.

Über die Nahrung gelangen die verschiedenen Kohlenstoffisotope auch in den menschlichen Körper, wo sie als Baumaterial für neue Zellen enden. So wird in jeder Zelle das charakteristische Isotopenverhältnis vom Zeitpunkt ihrer Entstehung dauerhaft fixiert, insbesondere in langlebigen Molekülen der Erbsubstanz, die sich bis zum Tod der Zelle kaum verändern.

Spalding und Kollegen sahen darin die Chance, der Frage nach der adulten Neurogenese, also dem Wachstum neuer Hirnzellen im Erwachsenenalter, auf den Grund zu gehen: Hätte ein 1930 geborenes Individuum beispielsweise ausschließlich niedrige 14C-Werte im Erbgut seiner Hirnzellen, würde dies darauf hindeuten, dass bei ihm nach Beginn der Atomtests keine Neurone mehr entstanden sind, alle Zellen hätten stattdessen das Verhältnis von vor über 80 Jahren konserviert. Tatsächlich wies jedoch keiner der Probanden mehr die Isotopenzusammensetzung aus der Zeit seiner Geburt auf. Demnach müssen also fortwährend – selbst in hohem Alter – immer neue Hirnzellen entstanden sein.

Alle Daten stammten aus dem Hippocampusgewebe von Menschen im Alter von 19 bis 92 Jahren, bei denen im Rahmen einer Autopsie Proben entnommen worden waren. Allerdings konnten die Forscher nicht das Alter jeder einzelnen Zelle bestimmen, sondern sie erhielten nur ein 14C-Verhältnis für die Probe als Ganzes. Erst ausgefeilte mathematische Modelle halfen dem Team, sich dennoch einen Reim auf die Messergebnisse machen zu können. Demnach haben Zellen im fraglichen Unterbereich des Hippocampus – dem Gyrus dentatus – eine um den Faktor zehn verringerte Lebensdauer im Vergleich zu anderen Neuronen. Gleichzeitig entstehen täglich rund 700 neue (entsprechend 0,004 Prozent der Gesamthirnzellen des Gyrus dentatus), wobei die Entstehungsrate mit dem Alter kaum abnimmt.

Der Gyrus dentatus stand bei Forschern schon lange im Verdacht, der zentrale Ort der Neurogenese im Gehirn zu sein. Untersuchungen an Mäusen hatten dies nahegelegt sowie indirekte Nachweisverfahren am menschlichen Hirn. Den lang erwarteten definitiven Beleg habe jetzt aber erst die Studie von Spalding und Kollegen geliefert, kommentiert Gerd Kempermann von der TU Dresden in einem Beitrag im Wissenschaftsjournal "Science" [2]. Das Team um Spalding hatte dazu über Jahre hinweg an den Messverfahren feilen müssen und 2005 bereits Teilergebnisse veröffentlicht, unter anderem über die Datierung von Fettzellen.

Ihre aktuelle Untersuchung revidiert frühere Größenabschätzungen: So war unklar, ob bei uns Menschen mehr, weniger oder gleich viel Neurone neu entstehen wie bei der Maus. Spaldings Ergebnisse zeigen jetzt, dass es mehr sind als bei dem Nagetier.

Damit ist nun endgültig sicher, dass der Gyrus dentatus eine absolute Ausnahmeerscheinung im Gehirn darstellt: Nirgendwo sonst werden nach Ende der Kindheit Nervenzellen nachgebildet. Warum gerade hier jedoch immer wieder Zellen entstehen, ist indes noch unbekannt und Gegenstand laufender Forschung. Vermutlich spielen sie eine Rolle dabei, neue Gedächtnisinhalte zu fixieren, ohne bestehende neuronale Netzwerke zu stören. Laut Kempermann könnte der "ewig jugendliche" Gyrus dentatus dem Gehirn dabei helfen, besser auf Veränderungen und neuartige Erfahrungen zu reagieren.

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