Humanevolution: Infektionen formten den modernen Menschen
Bevor sich der Mensch die Erde untertan machte, wäre er beinahe ausgestorben: Auf nicht mehr als höchstens 10 000 Überlebende hatten widrige Umstände die Menschheit vor gut 100 000 Jahren schon dezimiert, bevor ihr dann von Afrika aus ein Comeback gelang. Dieses Auf und Ab hat sich in unserem Erbgut eindeutig niedergeschlagen: Immer noch finden sich darin die Besonderheiten des kleinen, überlegenen Gründer-Genpools. Besonders zwei veränderte Gene des Immunsystems, meinen Forscher nun nach einer neuen Analyse unserer genetischen Evolution, übernahmen wohl eine Schlüsselrolle beim Überleben der Spezies.
Das Erbgutanalystenteam um Ajit Varki von der University of California in San Diego hat sich auf jene Gene konzentriert, die sich nach der Abspaltung der Entwicklungslinie von Schimpansen und Menschen besonders schnell entwickelt haben. Ein solcher genetischer Hotspot der Humanevolution findet sich zum Beispiel im Bauprogramm der gemeinhin unbekannten und unterschätzten Sialinsäuren – kurzen, aber sehr individuellen Zuckermolekülen, die an den Ende von Gerüstketten aus vielen Zellen des Körpers nach außen ragen. Sie übernehmen eine unüberschaubare Vielfalt von Aufgaben; sehr oft dienen sie Kommunikations- und Erkennungsprozessen. Entsprechend vielfältig sind auch die Rezeptormoleküle, die der Körper bildet, um mit Sialinsäuren in ihrer ganzen Bandbreite zu interagieren.
Und überraschend viele – genauer: mehr als ein Siebtel – aller mit Sialinsäure-Biochemie befassten Gene haben sich im Menschen verändert, seit sich unsere Linie von der des Schimpansen getrennt hat. Zwei besonders drastische Umbauten fielen nun Varki und seinen Kollegen ins Auge: Mutationen der Gene SIGLEC13 und SIGLEC17, die dazu führen, dass im Menschen das SIGLEC13-Genprodukt gar nicht und SIGLEC17 nur als funktionsloser Stummel gebaut wird.
Im Affen funktionieren beide dagegen wie viele andere ihrer Art, der so genannten Lektine: SIGLEC13 und -17 binden in Schimpansen an bestimmte Sialinsäuren, die zum Beispiel die Außenseiten von Bakterien schmücken. Eine solche Interaktion der Lektine und ihrer Andockstellen moduliert die Reaktionen der Körperabwehr: Sie kann im einfachsten Fall etwa eine Entzündungsreaktion verstärken, die gegen einen Eindringling gerichtet ist. Manchmal ist aber auch das Gegenteil wünschenswert, bestimmte Lektinwirkungen dämpfen demzufolge auch entzündliche Immunreaktionen, weil diese manchen Krankheitserregern eher nützen als schaden würden. Zu dieser Sorte gehören offenbar auch SIGLEC13 und SIGLEC17 im Affen.
Im Menschen scheint die hemmende Wirkung allerdings im Lauf der Evolution zur Gefahr geworden zu sein, meinen nun Varki und Co – offenbar weil ihre Wirkung von bestimmten für Menschen gefährlichen Bakterien gekapert worden ist: Sie täuschen das Immunsystem, dämpfen seine Wirksamkeit und vermehren sich so ungehmmt. Genau das könnte im frühen Menschen womöglich viele Neugeborene das Leben gekostet heben, meinen die Forscher nach Experimenten, bei denen sie die alten unmutierten Versionen der Gene in menschlichen Zellen wiederauferstehen ließen. Tatsächlich sind solche Zellen viel empfänglich für Infektionen mit Escherichia coli K1 oder Streptokokken der Serogruppe B, die für Babys lebensbedrohend sind.
Varkis Team schlussfolgert, dass solche Infektionen den frühen Menschen – womöglich zusammen mit anderen Faktoren – dramatisch dezimiert haben; nur die Träger einer zufälligen Mutation in den zweischneidigen SIGLEC-Genen haben schließich überlebt und ihre Genvariante weitervererbt. Dies muss übrigens geschehen sein, bevor sich die menschliche Linie in den modernen Homo sapiens sowie den Denisova-Menschen und den Neandertaler auseinanderentwickelt hat – denn auch im Erbgut dieser beiden nahen Verwandeten finden sich die mutierten Varianten der SIGLEC-Gene.
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