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Immunologie: Schutzschild des Fötus gegen Immunabwehr der Mutter

Eigentlich ist das Ungeborene für die Mutter ein Fremdkörper – wie ein Organ von einem anderen Menschen, das ihr Immunsystem abstößt. Denn die Zellen des Kindes tragen auch Merkmale des Vaters. Dass Schwangerschaften trotzdem möglich sind, beruht auf einer Reihe von Spezialanpassungen. Zwei Immunologen am Pariser Krankenhaus Saint-Louis, Edgardo D. Carosella und Nathalie Rouas-Freiss, berichten in der Juni-Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft", was sie speziell zu Schutzmechanismen von Seiten des Kindes erforscht haben.
Fötus

Die beiden Wissenschaftler haben spezielle Antigene – immunologische Erkennungsmerkmale – entdeckt, die für die Einnistung des Embryos in den Uterus und einen komplikationslosen Verlauf der Schwangerschaft unverzichtbar sind. Diese Moleküle gehören zu den Antigenen für Gewebeverträglichkeit, die so genannte Histokompatibilität, und werden als HLA-G klassifiziert. Anders als die klassischen solchen Antigene findet sich HLA-G, abgesehen von ein paar besonderen Geweben, nur beim Fötus, im Fruchtwasser und bei den Zellen der Fruchtblase. Diese HLA-G-Moleküle setzen immunologische Killerzellen der Mutter außer Gefecht: Sie heften sich an bestimmte Proteine auf deren Oberfläche an und blockieren dadurch die Abgabe eines zerstörerischen Enzyms, mit dem Immunzellen attackierte Zellen auflösen.

Das fötale Antigen HLA-G tritt gleich in sieben verschiedenen Versionen auf. Manche davon verteilen sich im Kind, andere arbeiten an der Kontaktzone zwischen Mutter und Ungeborenem. Falls die eine oder andere Version erblich bedingt fehlt, scheint das nicht weiter zu schaden: Die übrigen kompensieren den Ausfall. Doch ganz ohne HLA-G kommt es zur Fehlgeburt. Mehr noch: Die Aussichten, dass sich ein befruchtetes Ei einnistet und dass später keine Fehl- oder Frühgeburt erfolgt, scheinen auch von der Menge dieses Antigens abzuhängen.

Außerdem ermöglichen diese Antigene, dass einige wenige Zellen des Kindes in die Mutter gelangen, wo sie unter Umständen jahrzehntelang erhalten bleiben. Meist hat das für die Mutter keine unerwünschten Auswirkungen. Allerdings leiden manche Schwangeren unter stark juckendem Hautausschlag. Dann sind besonders viele kindliche Zellen in ihrer Haut nachweisbar.

Obwohl Organe von Erwachsenen normalerweise kein HLA-G mehr bilden, kommt dies manchmal nach Organtransplantationen vor – in der Regel von Seiten des eingepflanzten Organs und offenbar von selbst. Wie sich zeigen ließ, vermindert das die Abstoßungsreaktionen. Umgekehrt benutzen leider auch Tumoren solche Antigene. Fast alle Krebszellen und ihre Umgebung erzeugen diese Moleküle, und deren Menge bestimmt den Krankheitsverlauf. Anscheinend haben diese Moleküle auch bei Autoimmunleiden und Entzündungen Bedeutung. So suchen Forscher inzwischen nach Möglichkeiten, die Bildung und Wirkung von HLA-G in die eine oder andere Richtung zu beeinflussen. In einer Schwangerschaft sind diese Antigene unabdingbar, bei manchen Krankheiten verheerend.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, Juni 2012
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