Direkt zum Inhalt

Interview: "Die Zivilisation wird sich anpassen müssen"

© Markus Pössel
Der Klimawandel passiert bereits jetzt, sagt Frank Sherwood Rowland, der 1995 den Nobelpreis für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Atmosphärenchemie erhielt. Lars Fischer hat im Rahmen des 59. Lindauer Treffens der Nobelpreisträger mit dem US-Amerikaner gesprochen.

Spektrum: Professor Rowland, was hat Sie Anfang der 1970er Jahre bewogen, Fluorchlorkohlenwasserstoffe zu erforschen?

Frank Sherwood Rowland | Der US-Amerikaner erhielt gemeinsam mit Paul Crutzen und Mario Molina den Nobelpreis für Chemie 1995.
Rowland: Neugier darüber, was mit diesen Stoffen in der Atmosphäre passiert. Ein Mitarbeiter von [Professor James E.] Lovelock hielt einen Vortrag über die Messung von Trichlorfluoromethan, einem einfachen Fluorchlorkohlenwasserstoff. Er hatte herausgefunden, dass das Molekül langlebig ist und sich bis auf messbare Konzentrationen angereichert hatte. Fluorchlorkohlenwasserstoffe sind transparent, so dass sie von Licht nicht gespalten werden, lösen sich nicht in Wasser und reagieren nicht mit den Hydroxylradikalen in der Atmosphäre. Also gelangen sie nach einer Weile in die Troposphäre, wo sie von ultravioletter Strahlung getroffen werden und ein Chloratom abspalten. Das reagiert mit Ozon zu Chloroxid, und dieses setzt bei Kontakt mit einem Sauerstoffatom wieder das Chlor frei, das erneut reagieren kann. Man bekommt also eine Kettenreaktion. Wir fragten uns, wie lang ist diese Kettenreaktion – und es zeigte sich, dass sie sehr lang ist.

Spektrum: Wann lenkten Sie ihre Aufmerksamkeit von Atmosphärenchemie auf Klimawissenschaft im engeren Sinne?

Rowland: Als wir 1974 unsere Erkenntnisse über den Ozonabbau publizierten, gab es drei Kategorien möglicher Auswirkungen. Zum einen den Effekt von UV-Strahlung auf Menschen, also Hautkrebs. Zweitens die Auswirkungen auf Mensch und Tier. Die Antwort war damals: Das wissen wir nicht. Und die dritte Kategorie ist, dass durch den Ozonabbau die Struktur der Stratosphäre verändert wird, also Klimawandel. Alle haben natürlich gefragt: Was bedeutet der Hautkrebs-Effekt für mich? Das Klima war immer im Hintergrund, und da blieb es auch, weil keiner so recht wusste, wohin sich das entwickeln würde. Erst nachdem der Ozonabbau halbwegs unter Kontrolle und das Montreal-Protokoll verabschiedet waren, wurde den Leuten bewusst, dass zum Beispiel in der Mitte des Ozonlochs weniger UV-Licht absorbiert wird und die Stratosphäre dadurch abkühlte. Zu dem Zeitpunkt wurde der Klimawandel wichtig.

Spektrum: Was haben wir vom Klimawandel in Zukunft zu erwarten?

Rowland: Der Klimawandel passiert bereits jetzt. Steigende Temperaturen, Eisschmelze auf Grönland und Alaska und so weiter. Wenn man über den Klimawandel redet, ist die Frage, welchen Wandel man genau meint. Der bedeutendste Aspekt ist natürlich, dass die Atmosphäre mehr Energie absorbiert. Aber umgekehrt bedeutet der Ozonabbau auch, dass wir Teile der Atmosphäre eben nicht mehr aufheizen wie es zuvor der Fall war. Die Temperaturen in der Polarnacht sind deswegen heute niedriger als vor zwanzig oder dreißig Jahren. Auch das ist Klimawandel. Man ist natürlich immer weniger sicher, wie wichtig solche Effekte werden, je weiter man in die Zukunft blickt. Das heißt nicht, dass es keine bedeutenden Effekte geben wird, aber wir wissen es nicht genau.

Spektrum: Wie stehen unsere Chancen, die Veränderungen durch den Klimawandel einigermaßen heil zu überstehen?

Rowland: Das hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Einer der bedeutendsten ist sicher die Geschwindigkeit des Wandels. Wenn zum Beispiel der Meeresspiegel um einen Meter steigt, werden viele Gebiete überflutet. Es macht für uns aber einen Riesenunterschied, ob das bereits im Jahr 2050 oder erst 2100 passiert. Die Zivilisation wird nicht darum herumkommen, sich an erhebliche Veränderungen anzupassen. Je mehr Zeit wir haben, desto einfacher wird es, diese Veränderungen in geordneter Weise herbeizuführen.
<<

Lars Fischer ist Chemiker und arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist und Blogger (Fischblog und Abgefischt) in Heidelberg. Über das Lindauer Nobelpreisträgertreffen hat er auch in seinen Blogs berichtet.

Schreiben Sie uns!

Beitrag schreiben

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.