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Interview: Wo trifft der Blitzschlag der neuen Erkenntnisse ein?

© MZOŠ
Jungforscher sollen Wissenschaft betreiben, "die Alten" sich um die gesellschaftlichen Belange kümmern. Lars Fischer sprach beim Lindauer Nobelpreisträgertreffen mit Robert Huber vom Max-Planck-Institut für Biochemie.

Spektrum: Professor Huber, Sie erhielten Ihren Nobelpreis 1988 für die Aufklärung der Photosynthese. Hier in Lindau stellten Sie jetzt Ihre Arbeiten über das so genannte Proteasom vor, einen zellulären Proteinkomplex mit vielfältigen Funktionen. Was verbindet diese beiden Gebiete miteinander?

Robert Huber | Der Münchner Robert Huber war über drei Jahrzehnte lang Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie. Seit 2005 ist er dort Direktor Emeritus und hatte eine Reihe von Gastprofessuren unter anderem in Barcelona und Seoul inne. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter im Jahr 1988 den Nobelpreis für Chemie (gemeinsam mit Hartmut Michel und Johann Deisenhofer) für die Erforschung der dreidimensionalen Struktur des Reaktionszentrums der Photosynthese. Das Foto entstand bei der Lindauer Tagung der Nobelpreisträger im Sommer 2009.
Robert Huber: Das verbindende Element ist die Methode, die Strukturbiologie. Dabei versuchen wir die dreidimensionale Struktur zum Beispiel von Proteinen herauszufinden und fragen auch, wie Struktur und Funktionsweise miteinander zusammenhängen. Ich habe im Zeitraum meiner Karriere an sehr vielen solchen Projekten parallel gearbeitet, da waren gleichzeitig 15 oder 20 Projekte zu ganz verschiedenen Proteinklassen in Arbeit.

Spektrum: Sir Harold Kroto, der britische Chemienobelpreisträger, der ebenfalls zu Gast in Lindau war, erklärte in seinem Vortrag das 21. Jahrhundert zum Zeitalter der molekularen Maschinen: Maßgeschneiderte Moleküle sollen bald vielfältige technische oder medizinische Aufgaben erledigen. Sie erforschen solche nanotechnologischen Maschinen ebenfalls. Stimmen Sie Kroto zu?

Huber: Ich denke, so etwas ist nicht vorhersehbar. Es hängt davon ab, wo demnächst der Blitzschlag der neuen Erkenntnisse eintrifft. Das kann in der Kerntechnik sein: Neue Fusionsreaktoren würden uns dann das Jahrhundert der Kernfusion bescheren. Und wenn etwas Aufregendes in der Biologie, etwa in der Stammzellforschung, passiert, man zum Beispiel lernt, auf einfache Weise neue Organe zu züchten, dann wird es eben das Jahrhundert der Stammzellforschung. Es kann aber dank neuer exotischer Werkstoffe auch zum Jahrhundert der Materialforschung werden. Kroto kann das nicht vorhersagen, ich kann das nicht vorhersagen. Was tatsächlich passiert, das wollen wir erst einmal sehen. Und zwar am Ende des Jahrhunderts.

Spektrum: Insbesondere in Deutschland kommt der Chemie und der Technik ein schlechtes, naturfeindliches Image zu. Sehen Sie eine Entwicklung zum Besseren?

Huber: Dieses Bild haben damals Vertreter der rot-grünen Regierung natürlich mit politischer Absicht gezeichnet – ein außerordentlich verhängnisvoller Einfluss. Aber der Trend zeigt nach oben, Kinder und Schüler interessieren sich nach meinem Eindruck wieder mehr für die Naturwissenschaften Chemie und Physik. Und ich denke, dass auch bei den agitierenden Journalisten die Erkenntnis einsetzen wird, dass wir Chemie, Physik und Ingenieurskunst brauchen, um überhaupt überleben zu können.

Spektrum: Wie lässt sich das naturwissenschaftliche Interesse bei Kindern und Jugendlichen fördern?

Huber: Nicht mit agitierenden Berichten über Gefahren, sondern mit Berichten über die Realität und über die außerordentlich interessanten Ergebnisse von Chemie, Physik und Naturwissenschaften. Indem die Journalisten einfach über die Sache berichten, anstatt über die Gefahren von Millionen Lichtjahre entfernten Schwarzen Löchern oder über die Schwarzen Löcher, die angeblich in dem großen Genfer Beschleuniger [dem LHC, Anm. d. Red.] entstehen. Diese lächerlichen Geschichten sind dazu da, den Leuten Angst zu machen – über die Angst wollen sie die Menschen an sich binden. Stattdessen sollten wir aufklären! Da können Journalisten natürlich eine Menge tun, indem sie gewichten und auch von der Schönheit der Forschungsergebnisse erzählen, von den großen Erkenntnissen und den immer wieder fantastischen Möglichkeiten.

Spektrum: Stehen insbesondere junge Wissenschaftler in der Verantwortung, auf die Gesellschaft zuzugehen? Sollte man hierfür zusätzliche Anreize schaffen?

Huber: Gerade die jungen Wissenschaftler sollen vor allem Wissenschaft betreiben. Die Doktoranden- und Postdoczeit ist doch die fruchtbarste Phase, hier entstehen die besten Ideen. Da bleibt auch Zeit, sie zu verwirklichen. Ich habe das als meine schönste Zeit in Erinnerung, in der ich ganz unbelastet arbeiten konnte. Und genau das sollten Jungwissenschaftler heute wieder tun. Die gesellschaftlichen Belange, darum sollen sich besser die Alten kümmern.

Spektrum: So wie Sie jetzt?

Huber: Ja, es ist sicherlich eine der wichtigen Aufgaben, mit den Studenten zu reden und sie in ihrer Arbeit zu bestärken, sie zu ermuntern, Wissenschaft zu betreiben. Auch nach Lindau kommen ja die meisten mit der Absicht, etwas in ihrem Fach dazuzulernen. Darüber hinaus spricht die Tagung aber auch die breitere Öffentlichkeit an. Sie erregt Aufsehen, in einem guten Sinne.
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Lars Fischer ist Chemiker und arbeitet als freier Wissenschaftsjournalist und Blogger (Fischblog und Abgefischt) in Heidelberg. Über das Lindauer Nobelpreisträgertreffen hat er auch in seinen Blogs berichtet.

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