Ausgabe November 1986
"Grübeln über dem Atlantik" |
Na ja, Lieblingscover ist vielleicht ein bisschen zu viel gesagt. Aber es ist mit Sicherheit das Cover, das mich (in meiner Rolle als Leser) am meisten beschäftigt hat: November 1986.
Und ich habe noch nicht einmal für das Heft bezahlt. Damals spendierte die Lufthansa ihren Fluggästen neben der üblichen "Welt" und "Süddeutschen" auch "Spektrum". Ich griff mir das Heft beim Einsteigen in Frankfurt und konnte dann einen ganzen langen Flug über den Atlantik mit Grübeln darüber zubringen, wie diese merkwürdigen Muster zu Stande kamen, die das Programm "Hüpfer" ("Hopalong") von Barry Martin erzeugte.
Bei der Landung in Chicago hatte ich es immer noch nicht raus. Und um eine lange Geschichte kurz zu machen: Ich weiß es bis heute nicht.
Die Formel ist geradezu aufreizend simpel. Man nehme sich einen Punkt (
x0,
y0) (welchen, ist relativ egal, der Nullpunkt ist gut genug) und iteriere
xn+1 =
yn – sign(
x) √|(
bx–c|,
yn+1 =
a –
xn.
Das konnten die Computer damals schon ganz ordentlich: Mit etwas Geduld konnte man sich einige 10.000 Punkte auf den Bildschirm zeichnen lassen, vielleicht sogar in Farbe, und staunen, welche unglaubliche Vielfalt von Mustern dabei herauskommt, wenn man an den Parametern
a,
b und
c dreht. Heute geht das übers Internet (
hier findet sich ein guter Quellennachweis für entsprechende Applets), Millionen Punkte sind kein Problem – und das Staunen ist geblieben.
Eigentlich ist das genau so eine Iterationsfunktion wie die, aus der die Julia-Mengen entstehen, und in deren Zusammenfassung die Mandelbrot-Menge. Dafür gibt es jede Menge Theorie, und für den Hüpfer – gar nichts. So sieht es jedenfalls nach einer hastigen Internetrecherche aus. Alle beziehen sich auf den Artikel vom November 1986 oder das zwei Monate ältere englische Original; und keiner versucht, das merkwürdige Verhalten dieses in der Ebene herumhüpfenden Flohs irgendwie zu erklären.
Dabei gibt es Fragen genug. Es gibt "verbotene Gebiete", in die der Floh nie hineinspringt. Und wenn man ihn mit Gewalt hineinsetzt, macht er sich wahrscheinlich ganz schnell davon. Bei manchen Parameterwahlen sehen die verbotenen Gebiete aus wie Löcher in altmodischen Spitzendeckchen.
In aller Regel tanzt der Floh in einem begrenzten Gebiet herum, hüpft dann überraschend heraus (akkumulierter Rundungsfehler?) und nimmt ein neues, konzentrisch um das alte Gebiet liegendes, Reich in Besitz, mit gelegentlichen Besuchen in der alten Heimat. Solche Ausbrüche gibt es immer wieder, und des raumgreifenden Drangs scheint kein Ende.
Bei manchen Parameterwahlen nehmen die verbotenen Gebiete fast die ganze Ebene ein, und der arme Floh scheint im Wesentlichen auf ein paar "Straßen" beschränkt zu sein. So ein Bild ist dann vielleicht gut genug für den Titel des Sonderhefts "Mathematische Unterhaltungen II"; aber ich finde noch nicht einmal eine Gleichung für die einfachsten geraden Straßen. Das Bild scheint symmetrisch bezüglich der beiden Winkelhalbierenden, aber die Symmetrieachsen schneiden sich nicht im Nullpunkt. Manche langen Straßen sehen sehr nach Parabel aus – das erscheint plausibel, weil eine Wurzelfunktion in der Iteration steckt. Bloß haben die Parabeln alle so eine merkwürdige Delle in der Nähe des Scheitelpunkts.
Fragen über Fragen. Wenn ich mal ganz viel Zeit habe, klemme ich mich noch einmal dahinter. So schwer kann das doch bei der einfachen Formel gar nicht sein.
Christoph Pöppe, Redakteur für Mathematik
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