Klimaforschung: Nur die Temperaturen pausieren
Herr Professor von Storch, Herr Professor Latif, pausiert der Klimawandel tatsächlich?
Mojib Latif: Seit 15 Jahren hat es tatsächlich keinen neuen Rekord bei der globalen Erdoberflächentemperatur gegeben. Wenn man die Pause in Sachen Klimawandel einzig an den durchschnittlichen Oberflächentemperaturen festmachen möchte, so stimmt dies. Doch kein Mensch, der etwas vom Klima versteht, würde erwarten, dass es immer nur in eine Richtung geht. Wenn man auf das 20. Jahrhundert zurückblickt, hat es immer Phasen gegeben, in denen die Temperaturen auf einem Niveau verharrten oder sogar zurückgingen. Mich überrascht die momentane Pause daher in keinster Weise.
Hans von Storch: Mich überrascht es schon. Es ist nicht so schnell warm geworden, wie wir das erwartet hatten. Ob das nun eine Pause ist oder nur eine deutliche Verlangsamung, sei dahingestellt. Es ist aber schon auffällig, dass in unseren Szenarien derartige 15-jährige Intervalle praktisch nicht vorkommen, obwohl die gleichzeitige Entwicklung der Kohlendioxidkonzentrationen korrekt abgebildet wird. Wenn das so weitergehen sollte, dann müssen wir wirklich darüber nachdenken, ob unsere Modelle die zukünftige Entwicklung realistisch wiedergeben oder nicht. Vielleicht haben wir zuvor der Öffentlichkeit auch nicht ausreichend kommuniziert, dass es "Pausen" geben kann. Denn bei den Menschen hat sich womöglich auch der Eindruck verfestigt, dass es stetig bergauf gehen müsse. Jetzt zahlen wir den Preis dafür.
Vor Kurzem veröffentlichte "Nature" eine Studie, laut der der kühlende Einfluss häufiger La-Niña-Ereignisse mäßigend auf die weltweiten Durchschnittstemperaturen einwirkt. Reicht dies aus, oder spielen auch noch andere Faktoren eine Rolle?
von Storch: Das ist zumindest eine Erklärung, aber wohl nicht die einzige. Wir sollten deshalb aufpassen, dass wir diese Lösungsmöglichkeit – die La-Niña-Ereignisse – nicht als alleinigen Erklärungsansatz heranziehen, bevor nicht noch weitere Optionen erforscht wurden. Wir müssen uns auch alle fragen, warum unsere Modelle beispielsweise diesen pazifischen Einflussfaktor nicht avisiert haben.
Latif:2008 hatten wir eine "Nature"-Studie veröffentlicht, mit der wir zeigen konnten, dass daneben auch andere Ozeanbecken wie der Südozean mäßigend auf das Weltklima einwirken können. Wir sollten also tatsächlich nicht glauben, dass wir mit den La-Niña-Ereignissen den Stein der Weisen gefunden hätten.
In Ihrer Studie damals hatten Sie angekündigt, dass die Erderwärmung ein bis zwei Jahrzehnte pausieren könnte. Passt Ihr Ergebnis in das Bild der gegenwärtigen Pause, oder ist es völlig unabhängig davon?
Latif: Das mögen andere beurteilen. Die Vorarbeiten zu dieser Studie machten wir ja bereits 2006 und 2007 – zu einem Zeitpunkt, als noch niemand über diese Pause gesprochen hat. Uns ging es damals darum zu zeigen, ob unsere Modelle auch interne Schwankungen vorhersagen können. Darunter verstehen wir klimatische Veränderungen, die nichts mit externen Ursachen wie Schwankungen der Sonnenaktivität, Vulkanausbrüchen oder dem Menschen zu tun haben.
"Mich überrascht die momentane Pause daher in keinster Weise"
Mojib Latif
von Storch: CO2 blieb als Faktor in eurem Modell außen vor?
Latif: Nein! Es handelte sich um ganz normale Szenarien zum Klimawandel mit CO2 als Einflussfaktor. Zusätzlich haben wir die Modelle aber initialisiert: Wir haben den damaligen Zustand der Meere in die Rechnungen mit einbezogen. Das ist schwieriger, als es klingt, denn es existierten kaum Messungen aus der Tiefsee. Über viele Jahrzehnte betrachtet würde die Erwärmung voranschreiten, so unser Ergebnis, aber kurzfristig arbeiten bestimmte Prozesse dagegen, die die durch CO2 verursachte Aufheizung in diesem Zeitraum neutralisieren.
Fühlen Sie sich jetzt bestätigt?
Latif: Nein, uns ging es einfach darum, die Modellprojektionen zu verbessern. Und unsere Arbeit damals war ein Schritt dazu. Im Ende September 2013 erscheinenden nächsten IPCC-Bericht gehört die Methodik jetzt zum Standard.
Haben die Klimaforscher die Klimasensitivität des CO2 überschätzt?
von Storch: In den Simulationen, die wir haben, kommt so eine 15-jährige Stagnation bei der Erwärmung in weniger als fünf, teilweise sogar in weniger als zwei Prozent aller Durchläufe vor – je nachdem welche Schätzung der Erdtemperatur wir nehmen. Vielleicht liegt es einfach daran, dass es sich um ein extrem seltenes Ereignis handelt – ähnlich wie ein Lottogewinn –, das die Modelle nicht vorhersehen konnten. Zweitens könnten in unseren Simulationen die natürlichen Schwankungen zu gering ausfallen. Drittens schätzen wir die Klimasensitivität des Kohlendioxids womöglich tatsächlich einen Tick zu hoch ein – einen Tick, nicht massiv! Oder es handelt sich um einen Einflussfaktor, den wir den Modellen bislang nicht mitgeteilt haben: Sie reagieren also nicht darauf und berechnen die Temperaturentwicklung folglich falsch. Das könnte die Sonne sein, aber auch etwas, das wir bisher nicht kennen. Wir sollten uns Zeit nehmen und diese Punkte offen diskutieren.
Latif: Es bestehen Unsicherheiten bei der Klimasensitivität. Das sagt auch der kommende IPCC-Bericht, der den Stand der Forschung zusammenfasst und gerade hier eine sehr große Bandbreite angibt. Es wird auch dem Problem nicht gerecht, alles auf die eine Größe, die globale Durchschnittstemperatur, zu konzentrieren; vielmehr müssten wir genau verstehen, was regional passiert, wie sich die Temperaturen konkret an einem Ort entwickeln. So weit sind wir aber noch nicht, vielleicht werden wir es sogar nie sein, weil es zu kompliziert ist. Deshalb möchte ich mich gar nicht zu sehr an die Klimasensitivität hängen.
von Storch: Die Sensitivität ist eine Größe, die in der Öffentlichkeit angekommen ist – auch wenn wir sie wissenschaftlich vielleicht nicht für die beste Option halten. Nun kann es eben sein, dass unsere Modelle die Sensitivität des CO2 etwas überschätzen, was nicht weiter schlimm ist, solange wir offen darüber diskutieren und zugestehen, dass wir hier noch Wissenslücken haben.
"Mich überrascht es schon"
Hans von Storch
Welche Rolle spielt die Sonnenaktivität?
von Storch: Ich denke, dass die Treibhausgaskonzentrationen der entscheidendere Faktor für den Klimawandel sind, nicht die gegenwärtige Sonnenaktivität. Dennoch sollten wir auch diese Diskussion nicht zu früh für beendet erklären. Denn wenn wir das 20. Jahrhundert betrachten, lassen sich die Klimaschwankungen nicht allein auf CO2 oder interne Faktoren zurückführen. Auch die Sonnenaktivität spielte natürlich eine Rolle. Die Frage ist, ob wir sie quantitativ richtig bestimmt haben.
Sind auch andere Indikatoren des Klimawandels betroffen?
Latif: Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern. Eine der Größen, die sich weniger hektisch als die Oberflächentemperatur entwickelt, ist der Meeresspiegel: Er reagiert auf Temperaturzunahmen in der Tiefsee ebenso wie an der Oberfläche und steigt an. Wenn nun der tiefe Ozean mehr Wärmeenergie als zuvor schluckt – was die Temperaturzunahme an der Oberfläche dämpft oder diesen Trend vielleicht sogar regional umkehrt –, so sollten sich die durchschnittlichen Pegel dennoch erhöhen. Und der Meeresspiegelanstieg zeigt keine Atempause: Er steigt verglichen mit der mittleren Oberflächentemperatur unvermindert weiter. Die Atempause bezieht sich rein auf diesen Parameter. Wir dürfen also daraus nicht schließen, dass der gesamte Klimawandel im Moment ruht!
Wie lange, schätzen Sie, könnte diese Pause beim Temperaturanstieg noch dauern?
Latif: Es würde mich nicht wundern, wenn die Temperaturen noch bis 2020 oder 2025 auf hohem Niveau verharren. Überraschend käme es für mich nur, wenn die Temperaturen deutlich zurückgehen würden.
von Storch: Ich würde nervös, wenn diese Phase noch länger als fünf Jahre andauern würde. Dann müssten wir wirklich unsere Modelle in Frage stellen. Eine Abkühlung erwarte ich aber auch nicht.
Was bedeutet dies für die öffentliche Wahrnehmung?
Latif: Wenn man über den Klimawandel redet, muss man ihn großräumig und langfristig betrachten. Wenn wir alle Parameter betrachten – Temperaturen, Eismassen, Meeresspiegel –, so zeigen sie alle seit Längerem einen eindeutigen Trend hin zu einer sich erwärmenden Welt als Folge ansteigender Treibhausgaskonzentrationen.
von Storch: Die wachsenden CO2-Konzentrationen et cetera stellen ziemlich sicher den überwiegenden Faktor für den Klimawandel dar – vor allem in den letzten Jahrzehnten –, aber nicht den einzigen. So beobachten wir beispielsweise in Finnland in einem See seit 1790 ein immer früheres Aufbrechen der Eisbedeckung im Frühling – das kann nicht auf steigende CO2-Werte zurückgeführt werden, sondern muss auch andere Ursachen haben.
Latif: Das stimmt natürlich. Kein Klimaforscher behauptet, dass 100 Prozent des Klimawandels in den letzten Jahrzehnten einzig auf die Treibhausgasemissionen zurückzuführen sind. Aber es ist ein sehr deutliches Signal vorhanden, dass der Mensch zur Erderwärmung beiträgt.
von Storch: Das unterschreibe ich gern.
Können Sie verstehen, dass angesichts dieser widersprüchlichen Signale – Pause bei den Temperaturen, weiterer Anstieg des Meeresspiegels – Medien und Öffentlichkeit verwirrt reagieren?
Latif: Wenn ich von den Medien gefragt werde, ob der Klimawandel nun stattfinde oder nicht, kann ich eigentlich nur mit "Ja" oder "Nein" antworten. Sage ich zum Beispiel "Ja, aber …", wird das "aber" meist schon nicht mehr wahrgenommen. Wir Wissenschaftler machen sicherlich Fehler bei der Außendarstellung, wir haben es allerdings auch nicht leicht, denn das Thema ist komplex. Und Komplexität erfordert eine Hinwendung zum Thema und nicht eine schnelle Meldung hier und da. Beide Seiten, die Medien und die Wissenschaft, müssen daran arbeiten, dass ein objektiveres Bild vom Klimawandel entsteht.
von Storch: Dieses Kommunikationsproblem entsteht auch daraus, dass wir die eine "Wahrheit" erzählen sollen.
"Im Grunde sind wir alle Skeptiker, sonst wären wir keine Wissenschaftler"
Mojib Latif
Sie spielen darauf an, dass die Klimaforschung sehr stark politisiert ist?
von Storch: Ja, viele unserer Aussagen finden sich im politischen Geschäft wieder: "Was kann ich mit dieser Aussage machen, damit ich meine politische Agenda durchsetzen kann?" Vor einiger Zeit hatte beispielsweise ein Stahllobbyist eine meiner Antworten aus einem Interview so stark verkürzt, dass es gar keinen Klimawandel gäbe. Das war schon sehr beeindruckend. Immerhin konnte ich in einem Leserbrief dazu antworten, dass dies vielleicht seine, aber sicherlich nicht meine Meinung dazu ist.
Wir befinden uns in dieser politisierten Dimension, dass in den Augen der Öffentlichkeit aus der wissenschaftlichen Analyse automatisch eine politische Konsequenz folgt: Wenn unsere Emissionen diese Folgen haben, dann muss eben diese Energiepolitik gefahren werden! In der Folge wird nicht über diese Energiepolitik diskutiert, sondern über die wissenschaftlichen Ergebnisse, die zu dieser Politik vorgeblich zwingt. Um zum Beispiel das Energieeinspeisungsgesetz zu attackieren, wendet man sich nicht dem EEG zu, sondern greift die Forschung an, die als vermeintlicher Grund für seine Einführung stand.
Alarmisten und Skeptiker ähneln sich dabei interessanterweise, denn sie wenden die gleiche Logik an: Wenn ich die Schlacht in der Klimaforschung gewinne, dann erziele ich auch auf politischer Ebene den Sieg. Wir Wissenschaftler dürfen uns nicht in diese Arena begeben, denn dann verlieren wir unsere Unabhängigkeit.
Ist es in diesem Zusammenhang ein Fluch, dass der IPCC 2007 den Friedensnobelpreis bekommen hat?
Latif: Das hat zur Politisierung der Klimaforschung beigetragen. Ob der Preis richtig oder falsch war, kann und möchte ich aber nicht bewerten. Die Suche nach der Wahrheit, von der Hans gerade gesprochen hat, ist völlig unwissenschaftlich. Denn in der Wissenschaft gibt es keine absoluten Wahrheiten. Wir sollten uns aber stets bewusst sein, dass wir gerade ein gewaltiges Experiment mit unserem Planeten durchführen – ein Experiment, von dem wir nicht wissen, wie es genau ausgehen wird. Und das widerspricht eigentlich völlig unserem persönlichen Lebensstil, der möglichst auf Risikovermeidung ausgelegt ist.
Unser erreichtes Wissen in der Klimaforschung kann man eigentlich nicht mehr ignorieren. Es sollte dafür ausreichen, dass sich die Politik nicht nur damit auseinandersetzt, sondern auch den sicheren Weg geht – und etwa die Emissionen reduziert. Wir werden uns nie zu 100 Prozent sicher sein und sollten deshalb nicht zur Alibiforschung verkommen, indem man uns ein bisschen mehr Geld überreicht, Maßnahmen jedoch unterlässt.
von Storch: Die absolute Sicherheit ist nicht notwendig für politische Konsequenzen. Aber diese Konsequenzen müssen eben auf politischer Ebene diskutiert werden. Wir Wissenschaftler sollten dagegen keine politischen Akteure werden, denn damit tun wir uns keinen Gefallen. Die Öffentlichkeit nimmt uns dann als eine Art Friedensschlichter im weißen Kittel wahr, der sagt, was sie tun soll.
"Damit beendet man doch keine Debatte über den Klimawandel"
Hans von Storch
Ist das ausgerufene Zwei-Grad-Ziel ein Hindernis für die Klimaforschung und -politik?
von Storch: Das ist eine politische Zahl, sie kann schon vernünftig sein und ist schön griffig. Was man aber vermeiden sollte: zu sagen, dass die Wissenschaft gesagt hätte, wir müssten diese Zahl nehmen. Denn wissenschaftlich ist sie nicht.
Latif: Zwei Grad in 100 Jahren sind klimageschichtlich betrachtet nicht wenig. Bei einem Temperaturanstieg um zwei Grad Celsius können schon alle möglichen Dinge passieren.
von Storch: Selbst wenn wir diesen Wert einhalten besteht, bereits enormer Anpassungsbedarf.
95 Prozent der Klimaforscher sehen es als erwiesen an, dass der Mensch zum Klimawandel stark beiträgt. In der Öffentlichkeit ist diese Zustimmungsrate deutlich kleiner. Woher kommt die Diskrepanz?
von Storch: Ich denke, es hängt damit zusammen, dass mit dem Klimawandel häufig andere Sachen begründet werden – etwa der erhöhte Strompreis.
Latif: Dazu kommt, dass der Klimawandel etwas Abstraktes ist, dessen spürbare Folgen vielfach erst gegen Ende des Jahrhunderts oder noch später auftreten werden. Es liegt in unserer Natur, derart ferne Dinge erst einmal irrelevant zu finden. Wir nehmen die Auswirkungen zu wenig selbst wahr.
Hat das so genannte Climate Gate aus dem Jahr 2009 immer noch Folgen für die öffentliche Wahrnehmung?
von Storch: Nein, dazu liegt es bereits zu lange zurück. Das Vertrauen in die Klimawissenschaft mit ihren Akteuren hat es allerdings sicher auch nicht gefördert.
Latif: Das denke ich auch. Mich hat es allerdings sehr geärgert, dass hier zu Lande über die Untersuchung der strittigen Daten aus dem Climate Gate anschließend kaum mehr berichtet wurde. Sie wurde an der University of California in Berkeley durchgeführt, wo Forscher alles noch einmal nachgerechnet haben. Sie können die beiden Kurven – die ursprüngliche aus der Climatic Research Unit der University of East Anglia und die neue – im Rahmen der Strichstärke praktisch nicht unterscheiden. Die Ergebnisse sind also identisch, nichts wurde verfälscht.
von Storch: In der Tat. Das war damals die richtige Reaktion: Man beauftrage einen relativen Skeptiker wie Richard Muller, der die Daten neu analysierte und die Ergebnis bestätigte. Auf diese Art und Weise können wir Brücken bauen und Vertrauen wieder herstellen.
Sollte in diesem Zusammenhang die Erstellung der IPCC-Berichte transparenter werden? Im Moment bleibt der Abschlussbericht im Prinzip bis zum Publikationstag mehr oder weniger geheim.
Latif: Der IPCC wird oftmals überbewertet. Das große Missverständnis liegt darin, dass viele Menschen denken, dass der IPCC selbst forscht. Und wenn man den IPCC angreift, könne man auch seine Forschung diskreditieren. Der IPCC soll wissenschaftliche Ergebnisse zusammentragen und bewerten. Er hat aber mittlerweile zum Teil ein Eigenleben entwickelt – was ich persönlich problematisch finde –, doch die wesentlichen Kernaussagen aus der eigentlichen Forschung haben sich seit 20 Jahren nicht geändert. Dies gilt wohl nach allem, was ich weiß, auch für den kommenden 5. Sachstandsbericht.
von Storch: Was den ersten Teil des Berichts zu den physikalischen Grundlagen des Klimawandels angeht, können wir ohnehin sehr zufrieden sein – auch was die Transparenz anbelangt. Selbst tausende Augen aus der Weltbevölkerung haben keine größeren Fehler entdeckt, obwohl sie mittlerweile danach suchten, wie bei anderen Menschen nach Plagiaten. Doch da gab es nichts.
Latif: Man muss auch betonen, dass IPCC nicht gleich IPCC ist. Bei der Working Group 1, die sich den physikalischen Grundlagen widmet, existieren sehr strenge Regeln. Die Studie muss in einem Fachjournal veröffentlicht und durch den Review-Prozess gegangen sein. Das ist bei den anderen Arbeitsgruppen weniger streng, so dass dort auch so genannte graue Literatur durchrutschen kann: Berichte, die nicht direkt aus Forscherhand kommen.
Die den IPCC dann durchaus angreifbar machen.
Latif: Ja, denn wenn darin Unsachlichkeiten oder Fehler stehen, werden sie immer gern genommen, um den kompletten IPCC und die Klimaforschung insgesamt zu verdammen. Auf dieser Schiene argumentiert beispielsweise ein ehemaliger Umweltsenator von Hamburg, der einmal in der Working Group 3 mitwirken durfte und dort unter anderem auf Greenpeace-Mitarbeiter traf. Seitdem zieht er durch die Lande und erzählt, dass der IPCC eine Art Greenpeace-Veranstaltung sei.
Lohnt es sich dann überhaupt, mit diesen Skeptikern ins Gespräch zu kommen?
von Storch: Skeptiker sind enorm ungleichartig, denn sie haben keine gemeinsame Basis, weswegen sie skeptisch sind. Es handelt sich dabei um höchst ungleichartige Gründe. Zur größten Gruppe zählen Kritiker, die die Klimaforschung wegen der daraus erwachsenden politischen Folgen in Zweifel ziehen. Das macht die Diskussion kompliziert.
Latif: Auch nach meiner Erfahrung ist es schwierig, mit diesen Leuten in einen vernünftigen Dialog zu treten. Über die Deutsche Forschungsgemeinschaft wollten wir einmal einen runden Tisch mit kritisch eingestellten Wissenschaftlern organisieren. Ursprünglich fanden das die Eingeladenen gut, doch dann sollte es dabei auch um Energiefragen oder den Meeresbergbau gehen – was mit der Erforschung des Klimawandels an sich ja erst einmal nichts zu tun hat. Wir mussten die Gespräche schließlich abblasen, weil es nicht möglich war, sich auf eine Gesprächsagenda zu einigen. In der engeren Klimaforschung selbst ist es wirklich schwierig, tatsächliche Skeptiker zu finden. Viele kritische Stimmen werden von den Medien oft bewusst falsch interpretiert, so dass sie als Skeptiker herüberkommen, obwohl sie keine sind. In der Physik oder im Ingenieurwesen sieht es da schon ein bisschen anders aus. Viele Argumente zeigen jedoch, dass sich diese Kollegen zuvor nicht ausreichend mit den klimatischen Prozessen auseinandergesetzt haben.
von Storch (lacht): Sozialwissenschaftler sollten sich vielleicht demnächst der Skeptogenese widmen. Das wäre doch interessant: Wie wird man zum Skeptiker? Ich habe einmal einen theoretischen Physiker kennen gelernt, der sich exakt an Datum und Uhrzeit erinnern konnte, als er zum Skeptiker wegen eines Vortrags wurde. Das hat mir gut gefallen.
Latif: Im Grunde sind wir alle Skeptiker, sonst wären wir keine Wissenschaftler. Wir müssen unsere Ergebnisse immer hinterfragen. Deshalb bin ich auch immer noch etwas fassungslos, welche Welle der Empörung mir nach Veröffentlichung des Papers 2008 zur Erwärmungspause aus der Klimaforschung entgegenschlug.
von Storch (lacht): Wie konntest du uns auch so dermaßen verunsichern?
Die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Medien ist nicht immer einfach. Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang die Veröffentlichung des Umweltbundesamts "Und sie erwärmt sich doch", in der die Behörde vor skeptischen Journalisten öffentlich warnt?
Latif: Das ist ein absolutes No-Go – mehr kann ich dazu nicht sagen.
von Storch: Ich finde das verheerend – vor allem dass Herr Altmeier als Jurist dies auch noch durchgehen lässt und unterstützt. Das ist nicht nur kontraproduktiv für die Klimaforschung, sondern auch ein Kuss des Lebens für die beiden Journalisten. Ihnen konnte eigentlich nichts Besseres passieren. Damit beendet man doch keine Debatte über den Klimawandel, sondern befeuert sie sogar noch.
Herr Latif, Herr von Storch, vielen Dank für das Gespräch.
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