Direkt zum Inhalt

Klimawandel: "Eine Atempause - mehr nicht"

Auf verschiedenen Internetseiten von Skeptikern des Klimawandels rumort es: Der renommierte Kieler Klimaforscher Mojib Latif dient ihnen als Kronzeuge, dass die Erderwärmung ausfalle und sich der Planet stattdessen abkühlen soll. Im Gespräch mit spektrumdirekt tritt Mojib Latif diesen Fehlinterpretationen entgegen und spricht über den notwendigen Klimaschutz.
Golfstrom
spektrumdirekt: Herr Latif, durch verschiedene Internetblogs, aber auch die "New York Times" und den "New Scientist" gingen in den letzten Wochen Meldungen, dass die Erderwärmung vorerst abgesagt ist beziehungsweise eine Pause einlegt. Stimmt das denn überhaupt?

Mojib Latif | Prof. Dr. Mojib Latif, geboren 1954 in Hamburg, ist Professor für Klimaphysik am Leibniz-Institut für Meereswissenschaften an der Universität Kiel (IFM-Geomar).
Mojib Latif: Der letzte Rekord, bezogen auf die weltweite Mitteltemperatur, war tatsächlich 1998, seit damals gab es keinen neuen Spitzenwert. Danach ist kein signifikanter Trend erkennbar – weder in die eine noch in die andere Richtung. Wir haben ein hohes Niveau erreicht und verharren nun auf diesem Plateau.

spektrumdirekt: Warum legt die Erderwärmung gegenwärtig überhaupt eine Pause ein?

Latif: Grundsätzlich ist es kein Wunder, dass die Erderwärmung eine Pause einlegt. Das ist zu erwarten, denn es können nicht Jahr für Jahr neue Rekorde gebrochen werden. Zum einen gibt es den menschlichen Einfluss auf das Klima, der den langfristigen Erwärmungstrend produziert. Andererseits haben Sie natürliche Schwankungen, die diesen Prozess kurzfristig überlagern: Mal sorgen sie dafür, dass sich die Erwärmung beschleunigt, mal bewirken sie, dass sich die Entwicklung etwas abschwächt. Für uns Klimaforscher ist es deshalb nicht ungewöhnlich, dass die Erwärmung bis zur Mitte des nächsten Jahrzehnts pausieren könnte. Danach wird sie dafür wohl umso schneller weitergehen.

spektrumdirekt: Und was löst die gegenwärtige Pause klimatisch aus?

Latif: Zwei Phänomene spielen nach unseren Berechnungen eine Rolle. Sowohl im Pazifik als auch im Atlantik verändern sich die Meeresströmungen in einer Art und Weise, dass sie für eine gewisse Zeit abkühlend wirken: die Pacific Decadal Oscillation (PDO) und die Atlantic Multidecadal Oscillation (AMO). Das sind natürliche Schwingungen im Klimasystem, die nach unserem Modell in den nächsten zehn Jahren in ihre negative Phase schwenken und den Effekt der globalen Erwärmung überlagern.

spektrumdirekt: Wie wirkt sich das konkret auf Europa aus: Müssen wir in den nächsten Jahren wieder mit etwas kälteren Wintern rechnen?

Temperaturanomalien 2008 | Auch im vergangenen Jahr herrschten in weiten Teile der Erde überdurchschnittliche Temperaturen im langjährigen Vergleich. Kühler war es dagegen vor allem im Pazifik, wo La Niña kaltes Wasser über große Regionen brachte.
Latif: Unwesentlich. Wir dürfen diese Abkühlung nicht missverstehen. Auch wenn es sich tatsächlich leicht abkühlt – was unser Modell für Europa zeigt –, so liegen wir immer noch im warmen Bereich im Vergleich zu früher. Im Prinzip verharren wir weiterhin auf dem erreichten höheren Temperaturniveau. Wir bekommen also weiterhin eher milde Winter.

spektrumdirekt: Das verschiedentlich im Internet geäußerte "Global Cooling" fällt also aus?

Latif: Ja, wir erhalten eine Atempause – mehr nicht. Das Problem der Erderwärmung ist dadurch keinesfalls vom Tisch. Wir hatten das auch ganz eindeutig betont, weil wir schon damit gerechnet haben, dass unsere Aussagen von bestimmten Seiten bewusst missverstanden werden.

spektrumdirekt: Wie geht es nach der Atempause weiter?

Temperaturanomalien der letzten Jahrzehnte | Seit rund dreißig Jahren weichen die Temperaturen im globalen Mittel stets nach oben ab – während in den Jahrzehnten zuvor eher der umgekehrte Fall eintrat. Der Kurvenverlauf (schwarz) deutet allerdings an, dass es seit Beginn der Industrialisierung einen nahezu ungebrochenen Trend nach oben gibt, der nur durch periodische Schwankungen abgeschwächt wird. Nun könnte wieder eine leichte Abkühlung folgen, die ab 2020 in einer verstärkten Aufheizung enden könnte.
Latif: Der Klimawandel könnte danach durchaus schneller voranschreiten. Mit der Berechnung dieser relativ kurzfristigen Vorhersagen fangen wir aber gerade erst an, die Prognosegüte ist noch nicht besonders groß – mehr als ein Jahrzehnt können wir bislang nicht in die Zukunft blicken. Mich würde es allerdings nicht überraschen, wenn sich die Erwärmung nach dieser Zeit beschleunigt fortsetzt.

spektrumdirekt: Klimaforscher blicken mit ihren Modellen ja meist bis zur Mitte oder zum Ende des Jahrhunderts. Gleichzeitig haben sie Schwierigkeiten, kurzfristiger in die Zukunft zu blicken. Woher kommt dieser Unterschied?

Latif: Mathematisch ist dies relativ einfach zu erklären, denn es handelt sich dabei um jeweils andere Arten von Vorhersagen. In den Modellen der Klimaerwärmung geht es darum, was passiert, wenn wir den Ausstoß von Treibhausgasen bis zum Ende des Jahrhunderts immer weiter steigern – so, wie wir es in den letzten Jahrzehnten praktiziert haben. Damit können Sie berechnen, wie sich das Klima langfristig ändert.

Ich erläutere Ihnen das an einem Beispiel: Ich kann sagen, dass der nächste Winter kälter wird als der Sommer, aber nicht, ob wir auch weiße Weihnachten haben werden. Denn beim Wetter spielen im Gegensatz zum Klima sehr viele kurzfristig auftretende Faktoren eine entscheidende Rolle. Dass der Winter kälter ist als der Sommer, liegt dagegen einfach daran, dass sich der Sonnenstand ändert – mathematisch gesehen eine Randbedingung. Beim Klimawandel ist diese Randbedingung die Zusammensetzung der Erdatmosphäre, die sich in einer bestimmten Art und Weise verändert und damit langfristig das Klima erwärmt.

spektrumdirekt: Der nächste Weltklimagipfel in Kopenhagen steht nun ja vor der Tür, und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon fürchtet schon vor dessen Beginn, dass ein neues Abkommen zum Klimaschutz nicht zu Stande kommen wird. Was würde das für die Weltgemeinschaft bedeuten?

Gebremste Erwärmung | Folge einer langfristigen, periodischen Klimaschwankung, die von atlantischen Meeresströmungen ausgelöst wird: In den nächsten Jahren steigen die Temperaturen um 0,2 Grad weniger an (grüne Linie), als bisherige Modelle vorhersagen (schwarze Linie).
Latif: Die Frage ist: Wäre dies das letzte Wort? Oder gäbe es dann in zwei Jahren ein Abkommen? Ein Scheitern Kopenhagens wäre nicht das Ende der Welt, aber es rückt näher. Die Zielmarke ist weiterhin klar: Wir müssen den weltweiten Ausstoß an Treibhausgasen bis zur Mitte des Jahrhunderts halbieren und bis zum Ende um 80 Prozent reduzieren. Das ist die Marschroute – ob wir das nun fünf Jahre früher oder später in Angriff nehmen, ist dabei unwichtig. Es kommt auf die langfristige Strategie an.

Insofern ist das Kind noch nicht in den Brunnen gefallen, wenn Kopenhagen scheitert. Aber uns läuft die Zeit davon – das ist das Problem. Wir reden über einen enormen Strukturwandel für die nächsten Jahrzehnte. Wir müssen die Weltwirtschaft umbauen in Richtung der regenerativen Energien. Je länger wir warten, desto schwieriger wird das Ganze und auch teurer.

spektrumdirekt: Seit der letzten Konferenz in Bangkok gelten die Europäer als Bremser, obwohl sie sich gerne als Vorreiter im Kampf gegen den Klimawandel sehen. Enttäuscht Sie das?

Latif: Es gibt momentan eigentlich niemanden, der pauschal zum Vorbild taugt – auch die Europäer oder die Deutschen nicht. Wir hatten sehr viel Glück mit der Wiedervereinigung, die uns sehr viele Emissionen eingespart hat. Außerdem hat die Industrie einen großen Teil ihrer Produktion ausgelagert und ihre Treibhausgase dabei gleich mit.

Was die Europäer insgesamt anbelangt, ist das Problem, dass sie nicht ernsthaft bereit sind, genügend Geld zur Verfügung zu stellen. Wir können nicht von den Entwicklungsländern erwarten, dass sie den Karren allein aus dem Dreck ziehen. Diese Nationen müssen sich nachhaltig entwickeln und an die Klimafolgen anpassen, die ohnehin nicht mehr vermeidbar sind. Und das kostet Geld. Zudem waren die USA bislang nicht bereit, etwas zu unternehmen, weshalb wir nicht von China erwarten können, dass sie vorangehen.

spektrumdirekt: Die USA und China wollen nun aber zumindest bilaterale Vereinbarungen treffen, um ihren Schadstoffausstoß zu senken. Was halten Sie von diesen Initiativen: Sind sie eine Alternative zu einem globalen Abkommen?

Latif: Beide zusammen verantworten gut 40 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes. Wenn diese beiden Staaten dagegen vorgehen wollen, kann ich das nur begrüßen. Ich fordere schon lange, dass ein Land vorangehen müsste: Ein Umwelt-Obama und ein Umwelt-Jintao kämen gerade recht für das Weltklima.

spektrumdirekt: Und eine Umwelt-Merkel?

Latif: Wäre auch gut, aber ich kann das nicht erkennen. Leider kneift die Kanzlerin immer, wenn es ernst wird.

spektrumdirekt: Herr Latif, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Schreiben Sie uns!

2 Beiträge anzeigen

Wir freuen uns über Ihre Beiträge zu unseren Artikeln und wünschen Ihnen viel Spaß beim Gedankenaustausch auf unseren Seiten! Bitte beachten Sie dabei unsere Kommentarrichtlinien.

Tragen Sie bitte nur Relevantes zum Thema des jeweiligen Artikels vor, und wahren Sie einen respektvollen Umgangston. Die Redaktion behält sich vor, Zuschriften nicht zu veröffentlichen und Ihre Kommentare redaktionell zu bearbeiten. Die Zuschriften können daher leider nicht immer sofort veröffentlicht werden. Bitte geben Sie einen Namen an und Ihren Zuschriften stets eine aussagekräftige Überschrift, damit bei Onlinediskussionen andere Teilnehmende sich leichter auf Ihre Beiträge beziehen können. Ausgewählte Zuschriften können ohne separate Rücksprache auch in unseren gedruckten und digitalen Magazinen veröffentlicht werden. Vielen Dank!

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.