Kolumne: Der Unsichtbare an deiner Seite
Im Gedicht "The Waste Land" von 1922 schreibt T. S. Eliot rätselhaft: "Wer ist der Dritte, der immer neben dir geht? / Wenn ich nachzähle gibt es nur dich und mich / Aber wenn ich nach vorn die weiße Straße entlang blicke / Ist dort immer ein anderer, der neben dir geht."
Mal empfinden Menschen die Gegenwart eines "dritten Manns", mal glauben sie, die Anwesenheit von Engeln, Außerirdischen oder Gottheiten zu spüren. Diesen Effekt der empfundenen Präsenz, wie ich ihn nennen will, beschreibt auch John Geiger in seinem fesselnden Buch "Der Schutzengel-Faktor" (Malik Verlag, 2009), das unter anderem von Bergsteigern, einsamen Seglern und Anhängern extremer Ausdauersportarten handelt. Geiger benennt auch die Bedingungen, die mit der Entstehung des Effekts in Verbindung gebracht werden: Monotonie, Dunkelheit, öde Landschaften, Isolation, Kälte, Verletzungen, Austrocknung, Hunger, Müdigkeit und Angst.
Ich würde noch Schlafmangel hinzufügen – dessen Effekte habe ich während des Race Across America, eines transkontinentalen 3000-Meilen-Nonstop-Fahrradrennens, sowohl selbst erlebt als auch bei anderen beobachtet. Der viermalige Sieger Jure Robic etwa, ein slowenischer Soldat, hatte darüber sogar der New York Times berichtet. Einmal wurde er während des Rennens in einen Kampf mit einer Gruppe von Briefkästen verwickelt, die er für feindliche Truppen hielt. In einem anderen Jahr habe er sich von einer brüllenden Horde schwarzbärtiger Reiter verfolgt gesehen, "Mudschaheddin, die auf mich schossen. Also fuhr ich schneller."
"Geisterhafte Wesen diskutierten meine Navigationsprobleme"
Schlafmangel war auch der Grund für die Erscheinungen, mit denen Charles A. Lindbergh während seines transatlantischen Fluges nach Paris zu tun bekam: "Der Rumpf hinter mir füllte sich mit geisterhaften Wesenheiten, schwach umrissene durchsichtige Formen, sich schwerelos im Flugzeug bewegend... während des Fluges sprachen sie mit mir und gaben mir Ratschläge, sie diskutierten meine Navigationsprobleme, machten mir Mut und übermittelten mir Nachrichten von unvorstellbarer Bedeutung."
Was auch immer die unmittelbare Ursache für solche empfundenen Präsenzen ist, ihr eigentlicher Ursprung liegt im Gehirn. Vier Erklärungsmodelle halte ich für plausibel:
1) Wir spüren auch die Gegenwart echter Menschen in unserer Nähe. Die Halluzination könnte eine, möglicherweise durch Einsamkeit ausgelöste, Ausweitung dieses Gefühls sein.
2) In Folge von Erschöpfung, Sauerstoff- oder Schlafmangel schaltet der Kortex die rationale Kontrolle über die Emotionen ab, ähnlich wie er dies tut, wenn wir vor der Entscheidung stehen: "Kämpfe oder fliehe!" Dann kommt es dazu, dass wir innere Stimmen hören oder glauben, Begleiter bei uns zu haben.
3) Unser Körperschema, unser Bewusstsein der eigenen Physis, ist ein von unserem Gehirn konstruiertes Bild unseres Körpers. Es entsteht, so nimmt man an, vor allem im Schläfenlappen der linken Hirnhälfte. Wird unser Gehirn nun aufgrund irgendwelcher Vorgänge in ihm zum Glauben verleitet, es gebe ein weiteres physisches "ich", konstruiert es dafür eine logische Erklärung und lässt uns eine Person außerhalb des eigenen Körpers wahrnehmen.
4) Das "Schema des Geistes", unser psychologisches Selbstbewusstsein, koordiniert die vielen unabhängigen neuralen Netzwerke, die gemeinsam verarbeiten, was uns in unserem täglichen Leben begegnet. So sorgt es dafür, dass wir uns als eine einzige geistige Person erleben. Der Neurowissenschaftler Michael S. Gazzaniga von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara nennt dies den "Interpreten der linken Hemisphäre" – den Geschichtenerzähler des Gehirns, der zahllose Eindrücke zu einer einzigen, sinnvollen Erzählung zusammenfügt. In einem Experiment mit einem Patienten, dessen Gehirnhälften chirurgisch voneinander getrennt waren, zeigte Gazzaniga diesem das Wort "Gehen", und zwar auf eine Weise, dass es nur von seiner rechten Gehirnhälfte verarbeitet wurde. Daraufhin stand der Patient auf und begann zu laufen. Und als er gefragt wurde, warum er das tut, sagte er: "Ich wollte mir eine Cola holen." Offenbar hatte der Interpret der linken Hemisphäre eine Geschichte erfunden, um sein Handeln zu erklären.
Korrigiert eine Hirnhemisphäre Anomalien in der anderen?
Mein Schwager Fred Ziel, ein Arzt, der zwei Mal den Mount Everest bestiegen hat, berichtete mir, das er beide Male die Anwesenheit eines Dritten spürte. Das erste Mal, als er sich, gequält von Kälte und dünner Luft und am Rande seiner physischen Kräfte, über dem Hillary Step befand. Und das zweite Mal, nachdem er am Nordgrat des Mount Everest in knapp 8 000 Meter Höhe infolge von Austrocknung und Sauerstoffmangel zusammengebrochen war. Beide Male war er allein und sehnte sich nach Gesellschaft. "Und beide Male", so erklärte er mir, "fühlte ich die Erscheinung auf meiner rechten Seite, vielleicht, weil ich Rechtshänder bin." Die empfundene Präsenz könnte das sein, was die linke Hemisphäre produziert, wenn in ihrer rechten Schwesterhälfte Anomalien auftreten.
Die Ursache des Phänomens kennen wir zwar noch immer nicht. Doch die Tatsache, dass es unter so verschiedenen Bedingungen auftritt, sagt uns zumindest: Die empfundenen Präsenzen existieren in unserem Kopf – und nicht außerhalb unseres Körpers.
Der US-Amerikaner Michael Shermer ist Herausgeber der Zeitschrift Skeptic und Sachbuchautor. Für den Scientific American schreibt er regelmäßig die Kolumne "Skeptic", aus der dieser Beitrag entnommen ist.
In seinen Anmerkungen zu diesen Zeilen erklärt Eliot, dass sie "von einer der Expeditionen (Ernest Shackletons) in die Antarktis inspiriert wurden. Die Forscher des Teams, am Ende ihrer Kräfte, empfanden dabei anhaltend das Gefühl, dass ein Teammitglied mehr anwesend war, als die Zählungen ergaben."
Mal empfinden Menschen die Gegenwart eines "dritten Manns", mal glauben sie, die Anwesenheit von Engeln, Außerirdischen oder Gottheiten zu spüren. Diesen Effekt der empfundenen Präsenz, wie ich ihn nennen will, beschreibt auch John Geiger in seinem fesselnden Buch "Der Schutzengel-Faktor" (Malik Verlag, 2009), das unter anderem von Bergsteigern, einsamen Seglern und Anhängern extremer Ausdauersportarten handelt. Geiger benennt auch die Bedingungen, die mit der Entstehung des Effekts in Verbindung gebracht werden: Monotonie, Dunkelheit, öde Landschaften, Isolation, Kälte, Verletzungen, Austrocknung, Hunger, Müdigkeit und Angst.
Ich würde noch Schlafmangel hinzufügen – dessen Effekte habe ich während des Race Across America, eines transkontinentalen 3000-Meilen-Nonstop-Fahrradrennens, sowohl selbst erlebt als auch bei anderen beobachtet. Der viermalige Sieger Jure Robic etwa, ein slowenischer Soldat, hatte darüber sogar der New York Times berichtet. Einmal wurde er während des Rennens in einen Kampf mit einer Gruppe von Briefkästen verwickelt, die er für feindliche Truppen hielt. In einem anderen Jahr habe er sich von einer brüllenden Horde schwarzbärtiger Reiter verfolgt gesehen, "Mudschaheddin, die auf mich schossen. Also fuhr ich schneller."
"Geisterhafte Wesen diskutierten meine Navigationsprobleme"
Schlafmangel war auch der Grund für die Erscheinungen, mit denen Charles A. Lindbergh während seines transatlantischen Fluges nach Paris zu tun bekam: "Der Rumpf hinter mir füllte sich mit geisterhaften Wesenheiten, schwach umrissene durchsichtige Formen, sich schwerelos im Flugzeug bewegend... während des Fluges sprachen sie mit mir und gaben mir Ratschläge, sie diskutierten meine Navigationsprobleme, machten mir Mut und übermittelten mir Nachrichten von unvorstellbarer Bedeutung."
Was auch immer die unmittelbare Ursache für solche empfundenen Präsenzen ist, ihr eigentlicher Ursprung liegt im Gehirn. Vier Erklärungsmodelle halte ich für plausibel:
1) Wir spüren auch die Gegenwart echter Menschen in unserer Nähe. Die Halluzination könnte eine, möglicherweise durch Einsamkeit ausgelöste, Ausweitung dieses Gefühls sein.
2) In Folge von Erschöpfung, Sauerstoff- oder Schlafmangel schaltet der Kortex die rationale Kontrolle über die Emotionen ab, ähnlich wie er dies tut, wenn wir vor der Entscheidung stehen: "Kämpfe oder fliehe!" Dann kommt es dazu, dass wir innere Stimmen hören oder glauben, Begleiter bei uns zu haben.
3) Unser Körperschema, unser Bewusstsein der eigenen Physis, ist ein von unserem Gehirn konstruiertes Bild unseres Körpers. Es entsteht, so nimmt man an, vor allem im Schläfenlappen der linken Hirnhälfte. Wird unser Gehirn nun aufgrund irgendwelcher Vorgänge in ihm zum Glauben verleitet, es gebe ein weiteres physisches "ich", konstruiert es dafür eine logische Erklärung und lässt uns eine Person außerhalb des eigenen Körpers wahrnehmen.
4) Das "Schema des Geistes", unser psychologisches Selbstbewusstsein, koordiniert die vielen unabhängigen neuralen Netzwerke, die gemeinsam verarbeiten, was uns in unserem täglichen Leben begegnet. So sorgt es dafür, dass wir uns als eine einzige geistige Person erleben. Der Neurowissenschaftler Michael S. Gazzaniga von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara nennt dies den "Interpreten der linken Hemisphäre" – den Geschichtenerzähler des Gehirns, der zahllose Eindrücke zu einer einzigen, sinnvollen Erzählung zusammenfügt. In einem Experiment mit einem Patienten, dessen Gehirnhälften chirurgisch voneinander getrennt waren, zeigte Gazzaniga diesem das Wort "Gehen", und zwar auf eine Weise, dass es nur von seiner rechten Gehirnhälfte verarbeitet wurde. Daraufhin stand der Patient auf und begann zu laufen. Und als er gefragt wurde, warum er das tut, sagte er: "Ich wollte mir eine Cola holen." Offenbar hatte der Interpret der linken Hemisphäre eine Geschichte erfunden, um sein Handeln zu erklären.
Korrigiert eine Hirnhemisphäre Anomalien in der anderen?
Mein Schwager Fred Ziel, ein Arzt, der zwei Mal den Mount Everest bestiegen hat, berichtete mir, das er beide Male die Anwesenheit eines Dritten spürte. Das erste Mal, als er sich, gequält von Kälte und dünner Luft und am Rande seiner physischen Kräfte, über dem Hillary Step befand. Und das zweite Mal, nachdem er am Nordgrat des Mount Everest in knapp 8 000 Meter Höhe infolge von Austrocknung und Sauerstoffmangel zusammengebrochen war. Beide Male war er allein und sehnte sich nach Gesellschaft. "Und beide Male", so erklärte er mir, "fühlte ich die Erscheinung auf meiner rechten Seite, vielleicht, weil ich Rechtshänder bin." Die empfundene Präsenz könnte das sein, was die linke Hemisphäre produziert, wenn in ihrer rechten Schwesterhälfte Anomalien auftreten.
Die Ursache des Phänomens kennen wir zwar noch immer nicht. Doch die Tatsache, dass es unter so verschiedenen Bedingungen auftritt, sagt uns zumindest: Die empfundenen Präsenzen existieren in unserem Kopf – und nicht außerhalb unseres Körpers.
Der US-Amerikaner Michael Shermer ist Herausgeber der Zeitschrift Skeptic und Sachbuchautor. Für den Scientific American schreibt er regelmäßig die Kolumne "Skeptic", aus der dieser Beitrag entnommen ist.
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