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Kommentar und Umfrage: Desertec - ein guter Plan?

Desertec
Zu diesem Thema haben wir auch eine kurze Umfrage gestartet.

Haben die Konzerne den Stein der Weisen gefunden? Sie wollen Wüstengebiete in Nordafrika bis hin in den Nahen Osten nutzen, um dort riesige Solarthermieanlagen für Europas Stromversorgung zu installieren. Über zwanzig Hochspannungs-Gleichstromleitungen (HGÜ) soll der Strom dann mit gerade einmal 10 bis 15 Prozent Verlusten nach Europa fließen und dort rund 15 Prozent des Elektrizitätsbedarfs decken.

Das nützt nicht nur uns. "Am meisten werden die Staaten in Nordafrika profitieren", prognostiziert Hans Müller-Steinhagen von der Universität Stuttgart, der als einer der Väter des Projekts Desertec gilt (siehe unser Interview im aktuellen Heft: "Strom aus der Wüste", das Sie kostenfrei online lesen können). Der dortige Lebensstand werde durch die Stromproduktion für den eigenen Bedarf steigen, im Lauf der Zeit sollen sie zu Stromexporteuren werden. Und umweltverträglich ist das Ganze sowieso.

Ersatz für hundert Kernkraftwerke

Kosten soll Desertec 400 Milliarden Euro, verteilt auf die Jahrzehnte bis 2050. Das ist für ein europaweites Projekt – dessen Planungsvorstufe DII (Desertec Industrial Initiative, siehe Bildunterschrift unten) bislang allerdings fast ausschließlich deutsche Banken und Versicherungen, Energieversorger und Technikanbieter angehören – nicht allzuviel, zumal die angestrebten 100 Gigawatt exportierbarer Leistung (zusätzlich zum Verbrauch in den Produktionsländern) etwa dem entsprechen, was hundert Kernkraftwerke produzieren. (Die Kosten liegen übrigens in derselben Größenordnung wie die nötigen Investitionen für den "Solar Grand Plan", den US-Forscher für die Versorgung der USA konzipiert und in Spektrum vorgestellt haben. Hierbei soll der Strom in großen Photovoltaik- und Solarthermiefarmen im weithin brach liegenden Südwesten der USA erzeugt werden.)

Dass die notwendige Technik für Desertec verfügbar ist, belegen zum Beispiel die solarthermischen Andasol-Kraftwerke in Südspanien, die rund 200 000 Haushalte mit Strom versorgen, und HGÜ-Leitungen, wie sie etwa von Siemens gebaut werden und mittlerweile weltweit Einsatzgebiete gefunden haben. Das Stuttgarter Institut für Technische Thermodynamik des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) lieferte – im Auftrag des Bundesumweltministeriums – mit seiner "Bestandsaufnahme zur Verfügbarkeit erneuerbarer Energiequellen für die Stromerzeugung im Großraum Europa-Mittlerer Osten-Nordafrika, kurz EU-MENA, das wissenschaftliche Fundament für das Projekt Desertec".

Selbst Greenpeace bescheinigt "Modellcharakter"

Und auch Greenpeace setzt sich für Wüstenstrom ein und bescheinigt der Desertec-Initiative "Modellcharakter": "Solarthermische Kraftwerke können künftig bis zu einem Viertel des weltweiten Strombedarfs umweltfreundlich, preiswert und zuverlässig decken", habe die Studie "Globaler Ausblick auf die Entwicklung solarthermischer Kraftwerke 2009" gezeigt. Auch die Speichertechnik sei ausgereift, sind die Greenpeace-Experten überzeugt. "Deutschland und Europa sollten" mit Staaten aus Nahost und Nordafrika "gemeinsam eine Roadmap für den Bau von Wüstenkraftwerken und dem erforderlichen Stromverbundnetz erarbeiten".

Nun dürften dem Projekt manche Hürden entgegenstehen. Die Abstimmungen zwischen den Konzernen werden schwierig genug werden, ganz zu schweigen von den Verhandlungen mit den Standortländern und der Dauerhaftigkeit entsprechender Kooperationsvereinbarungen. Extreme Abnutzungsbedingungen werden die Kraftwerke beeinträchtigen. Und wie bei allen Großprojekten werden die künftigen Kosten den heutigen Rahmen mit einiger Wucht sprengen.

Mit Solarenergie in neue Abhängigkeiten?

Doch auch wenn alles klappen sollte: Wollen wir Desertec wirklich? Uns von schwierigen politischen Konstellationen abhängig machen? Diesen zweifelsohne zukunftsträchtigen Teil der Stromversorgung in die Hand der Konzerne legen, deren wirtschaftliche Interessen dann den Ton angeben? Wenn so viel Geld im Spiel ist, wird mit harten Bandagen gekämpft werden. Dann ist weder der Kunde König, noch werden die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse Nordafrikas eine herausgehobene Rolle spielen. Und die Konsortien werden – spätestens nachdem sie auch Subventionen eingesammelt haben – Druck auf die Politik ausüben, doch bitte mal ein ernsthaftes Wort mit widerstrebenden Ländern zu reden, schließlich stehe so viel auf dem Spiel.

Und selbst das Zukunftsprojekt Desertec weist zurück in die Vergangenheit. Die Vorstellung unendlich vieler leicht verfügbarer Energie ist ein Relikt, das seine Ursprünge im vorvergangenen Jahrhundert hat. Ein Blick auf kommunal-erneuerbar.de ist daher möglicherweise faszinierender als riesige Sonnenfarmen in Nordafrika oder den USA. Schon über hundert deutsche Kommunen und Landkreise decken, so lässt sich dort herausfinden, ihren Wärme- oder Strombedarf (zumindest rechnerisch) komplett mit regenerativen Energien ab, manche sind sogar in beiden Bereichen quasiautark. Erwünschter Nebeneffekt: Die Wertschöpfung findet vor Ort statt und trägt zu einer soliden lokalen Wirtschaft bei, anders als das Desertec-Projekt, das alle negativen Nebeneffekte mit sich bringen wird, die von der globalisierten und extrem arbeitsteiligen Wirtschaft längst bekannt sind.

Von TREC zu Desertec | Entwickelt wurde das Desertec-Konzept im Rahmen von TREC, der Trans-Mediterranean Renewable Energy Cooperation. Dieser 2003 auf Initiative des Club of Rome entstandene Zusammenschluss von Wissenschaftlern und Politikern aus Europa, Nordafrika und dem Nahen Osten arbeitete dabei mit einem Institut des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt zusammen, das unter anderem mit drei Studien zur Untermauerung des Desertec-Konzepts beitrug.

TREC wiederum wurde nun von der Desertec-Stiftung abgelöst. Sie bezeichnet sich als "Botschafterin und Förderin des DESERTEC Konzepts", ist also gewissermaßen die PR-Abteilung des Vorhabens (auch wenn auf ihrer Homepage stiftungsgemäß ein "Please donate"-Button prangt).

Am 13. Juli 2009 schließlich unterzeichneten zwölf Unternehmen ein "Memorandum of Understanding". Diesem zufolge wollen sie noch 2009 eine Desertec Industrial Initiative (DII) gründen, eine Planungsgesellschaft nach deutschem Recht, die in den kommenden Jahren detailliertere Rahmenbedingungen des Desertec-Projekts ausarbeiten soll und auch weitere Mitglieder aufnehmen wird.
Und natürlich fallen auch Parallelen zu anderen Entwicklungen auf. Südkorea kauft Agrarflächen in großem Maßstab auf Madagaskar, Ägypten kontrolliert Hunderttausende Hektar in Uganda, um Weizen und Mais anzubauen, Goldman Sachs investiert in chinesische Farmen und Morgan Stanley kauft sich offenbar in der Ukraine ein. Wer immer über Petrodollars, große Devisenreserven oder zu investierende Kundeneinlagen verfügt, spekuliert auf den Zukunftsmarkt Nahrung. Und was er produzieren lässt, verlässt erst einmal das Land – egal ob dort Hunger herrscht. Das Benehmen der Investoren im fremden Land ist, so wird berichtet, ohnehin wenig zimperlich.

Zwar wird man sich von Deutscher Bank, Münchener Rück & Co. Besseres erwarten dürfen – aber wer behält bei einem Spieleinsatz von 400 Milliarden Euro plus x und einem erhofften Umsatzvolumen von bis zu 2 Billionen Euro seine Skrupel? Wollen wir das Risiko, dass es so kommt, wirklich eingehen? Greenpeace mahnt anlässlich der Startvorbereitungen für die DII immerhin: "Die Unternehmen müssen Desertec als Alternative zu umweltschädlichem Atom- und Kohlestrom verstehen und nicht als Konkurrenz zu dezentraler Windkraft und Photovoltaik in Deutschland."

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Nachtrag: Auch auf zeit.de hat sich zu diesem Beitrag eine rege Diskussion entwickelt.

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