Kosmische Strahlung: Übereilter Austausch eines Weltraummagneten?
Nach fünfzehn Jahren der Entwicklung haben die Initiatoren eines zwei Milliarden US-Dollar teuren Experiments zur Messung kosmischer Strahlung abrupt den Kurs geändert. Knapp sechs Monate vor dem geplanten Start des Alpha-Magnet-Spektrometers (AMS) zur Internationalen Raumstation (ISS) tauschten sie den supraleitenden Magneten im Herzen des sieben Tonnen schweren Teilchendetektors gegen einen schwächeren Dauermagneten aus. Die Empfindlichkeit des Experiments, so das Team, würde dadurch nicht beeinträchtigt, seine Nutzungszeit werde sich sogar verlängern.
Einige Physiker glauben jedoch, dass der Austausch durch Probleme mit dem supraleitenden Magneten erzwungen worden sei und befürchten, nun sei das AMS nur noch eingeschränkt in der Lage, jene Dunkle Materie zu entdecken, die 85 Prozent der Masse des Universums ausmachen soll.
Angeführt wird das internationale AMS-Konsortium vom US-Energieministerium, dem in den Vereinigten Staaten teilweise auch die Forschungsförderung obliegt. 1995 hatte es die Unterstützung des damaligen NASA-Administrators Dan Goldin gewonnen, schien aber 2003 nach dem Absturz des Space Shuttle Columbia vor dem Aus zu stehen. Dann, vor zwei Jahren, ließ die damals noch von George W. Bush geführte US-Regierung das Projekt wieder aufleben. Nun jedoch verpasst das AMS den Space Shuttle, der im Juli abheben soll, und wird vermutlich erst im Herbst starten.
Sorgt längere Betriebsdauer für bessere Ergebnisse?
Der Magnet ist erforderlich, um die kosmischen Partikel anhand ihrer Ladung und ihres Impulses unterscheiden zu können. Für seinen Austausch entschied man sich laut Ting, nachdem die jetzige US-Regierung ihren Wunsch hatte verlauten lassen, den Zeitraum für die Nutzung der Weltraumstation zu verlängern. Statt bis 2015 soll sie bis 2020 oder vielleicht sogar bis 2028 in Betrieb bleiben.
Flüssiges Helium hätte den supraleitenden Magneten auf einer Betriebstemperatur von zwei Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt gehalten. Nach rund drei Jahren wäre das Kühlmittel allerdings verbraucht gewesen. Tings Team hat nun berechnet, dass der schwächere Dauermagnet zwar mehr Daten als sein supraleitendes Pendant benötigt, um dieselbe Genauigkeit zu erreichen. Aber die längere Lebenszeit des Magneten, so sagen die Forscher, werde den Verlust an Auflösungsvermögen mehr als wettmachen.
Erwärmung beim Beschuss mit Partikelstrahlen
Tatsächlich aber blieb Ting und seinen Kollegen wohl kaum eine Wahl. Im Februar hatte das Konsortium bei einem Test am CERN (dem Europäischen Labor für Teilchenphysik bei Genf in der Schweiz) beobachtet, dass sich der supraleitende Magnet beim Beschuss mit Partikelstrahlen unerwartet stark erwärmte. Allerdings hatten die darauf folgenden Weltraumtauglichkeitstests am ESTEC (dem europäischen Weltraumforschungszentrum im niederländischen Noordwijk) laut Ting ergeben, dass die Erwärmung weniger stark ausfallen wird, sobald sich das AMS im Orbit befindet, wo niedrigerer Druck und geringerere Schwerkraft herrschen. Ein Problem würde sie dann nicht mehr darstellen.
Martin Pohl, Physiker an der Genfer Universität und Konsortiumsmitglied, gibt dagegen zu bedenken, dass eines der Modelle für den Test des Detektors unter Erdumlaufbahnbedingungen zwar keine signifikante Erwärmung voraussagt. Ein anderes aber prognostiziert einen erhöhten Verbrauch an Helium, sodass sich die Nutzungszeit des Experiments auf weniger als zwei Jahre verkürzen würde.
Im August will das AMS-Team nun weitere Tests am CERN durchführen. Dabei soll der Dauermagnet zum Einsatz kommen, der bereits 1998 in einem Pilotflug an Bord eines Space Shuttles eingesetzt worden war. Doch mancher warnt, dass ein Austausch des Magneten zu einem so späten Zeitpunkt das Experiment gefährden könnte. "Test und Verifizierung sind höchst anspruchsvolle Prozesse, und man sollte dabei wirklich nichts überstürzen", mahnt Robert O’Dell von der Vanderbuilt University in Nashville, Tennessee, der lange Zeit erster Projektwissenschaftler des Hubble-Weltraumteleskops war. Wenn die Zeit zu knapp ist, bestehe das Risiko, mögliche Fehlerquellen zu übersehen.
Und nach Meinung des Astrophysikers Gregory Tarlé von der University of Michigan in Ann Arbor überschätzt das Konsortium den wissenschaftlichen Nutzen der neuen Konfiguration – selbst wenn der Magnet tatsächlich wie geplant funktioniert.
Was leistet der schwächere Magnet?
Bereits 2008 hatte das von Italien geleitete PAMELA-Experiment einen schwachen Anhaltspunkt für dunkle Materie in der Milchstraße geliefert: In den Satellitendaten wurde ein Überschuss an energiereichen Positronen (Anti-Elektronen) entdeckt (Dunkles Orakel zur Dunklen Materie, SdW 8/2009, S. 20), deren Ursprung möglicherweise in der Kollision von Teilchen der Dunklen Materie zu suchen ist. Auch das AMS soll nach solchen Überschüssen fahnden. Eine Reihe von Modifikationen an dem Silizium-Spurdetektor im Herzen des Instruments, die das Team seit Beginn der Planungen vorgenommen hat, soll die Chancen für die Detektierung solcher Positronen je nach deren Energie mittlerweile vervierfacht oder gar versechsfacht haben.
Und während die PAMELA-Daten den Energiebereich bis zu etwa 150 Gigaelektronvolt erfassten, werden ihn das AMS laut Tings Team auf bis zu 1 Teraelektronvolt ausdehnen. Tarlé ist da anderer Meinung: "Tings Behauptung, er könne mit dem schwächeren Dauermagneten immer noch Positronen bis zu 1 Teraelektronvolt aufspüren, ist einfach lächerlich."
Aber hätte das Team den Aufwand und die Kosten für die Entwicklung des supraleitenden Magneten nicht gescheut, wenn ihm früher die Idee gekommen wäre, den Spurdetektor zu verbessern? "Schwer zu sagen", meint Ting. "Ich schaue nach vorn und nicht zurück."
(In einer der kommenden Ausgaben von Spektrum der Wissenschaft wird einer der führenden deutschen Wissenschaftler des AMS-Konsortiums ausführlich über das AMS-Experiment berichten, Anm. d. Red.)
Einige Physiker glauben jedoch, dass der Austausch durch Probleme mit dem supraleitenden Magneten erzwungen worden sei und befürchten, nun sei das AMS nur noch eingeschränkt in der Lage, jene Dunkle Materie zu entdecken, die 85 Prozent der Masse des Universums ausmachen soll.
Das AMS beruht auf einer Idee des Physikers und Nobelpreisträgers Samuel Ting vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge, USA (Sam Ting's last fling, Nature, 15. Okt. 2008). Es soll die Eigenschaften der kosmischen Strahlung vermessen, energiereicher Teilchen also, die aus dem Weltraum die Erde erreichen. Denn ein Teil dieser Strahlung könnte sich Kollisionen zwischen Partikeln der bislang noch nicht nachgewiesenen Dunklen Materie verdanken.
Angeführt wird das internationale AMS-Konsortium vom US-Energieministerium, dem in den Vereinigten Staaten teilweise auch die Forschungsförderung obliegt. 1995 hatte es die Unterstützung des damaligen NASA-Administrators Dan Goldin gewonnen, schien aber 2003 nach dem Absturz des Space Shuttle Columbia vor dem Aus zu stehen. Dann, vor zwei Jahren, ließ die damals noch von George W. Bush geführte US-Regierung das Projekt wieder aufleben. Nun jedoch verpasst das AMS den Space Shuttle, der im Juli abheben soll, und wird vermutlich erst im Herbst starten.
Sorgt längere Betriebsdauer für bessere Ergebnisse?
Der Magnet ist erforderlich, um die kosmischen Partikel anhand ihrer Ladung und ihres Impulses unterscheiden zu können. Für seinen Austausch entschied man sich laut Ting, nachdem die jetzige US-Regierung ihren Wunsch hatte verlauten lassen, den Zeitraum für die Nutzung der Weltraumstation zu verlängern. Statt bis 2015 soll sie bis 2020 oder vielleicht sogar bis 2028 in Betrieb bleiben.
Flüssiges Helium hätte den supraleitenden Magneten auf einer Betriebstemperatur von zwei Grad Celsius über dem absoluten Nullpunkt gehalten. Nach rund drei Jahren wäre das Kühlmittel allerdings verbraucht gewesen. Tings Team hat nun berechnet, dass der schwächere Dauermagnet zwar mehr Daten als sein supraleitendes Pendant benötigt, um dieselbe Genauigkeit zu erreichen. Aber die längere Lebenszeit des Magneten, so sagen die Forscher, werde den Verlust an Auflösungsvermögen mehr als wettmachen.
Erwärmung beim Beschuss mit Partikelstrahlen
Tatsächlich aber blieb Ting und seinen Kollegen wohl kaum eine Wahl. Im Februar hatte das Konsortium bei einem Test am CERN (dem Europäischen Labor für Teilchenphysik bei Genf in der Schweiz) beobachtet, dass sich der supraleitende Magnet beim Beschuss mit Partikelstrahlen unerwartet stark erwärmte. Allerdings hatten die darauf folgenden Weltraumtauglichkeitstests am ESTEC (dem europäischen Weltraumforschungszentrum im niederländischen Noordwijk) laut Ting ergeben, dass die Erwärmung weniger stark ausfallen wird, sobald sich das AMS im Orbit befindet, wo niedrigerer Druck und geringerere Schwerkraft herrschen. Ein Problem würde sie dann nicht mehr darstellen.
Martin Pohl, Physiker an der Genfer Universität und Konsortiumsmitglied, gibt dagegen zu bedenken, dass eines der Modelle für den Test des Detektors unter Erdumlaufbahnbedingungen zwar keine signifikante Erwärmung voraussagt. Ein anderes aber prognostiziert einen erhöhten Verbrauch an Helium, sodass sich die Nutzungszeit des Experiments auf weniger als zwei Jahre verkürzen würde.
Im August will das AMS-Team nun weitere Tests am CERN durchführen. Dabei soll der Dauermagnet zum Einsatz kommen, der bereits 1998 in einem Pilotflug an Bord eines Space Shuttles eingesetzt worden war. Doch mancher warnt, dass ein Austausch des Magneten zu einem so späten Zeitpunkt das Experiment gefährden könnte. "Test und Verifizierung sind höchst anspruchsvolle Prozesse, und man sollte dabei wirklich nichts überstürzen", mahnt Robert O’Dell von der Vanderbuilt University in Nashville, Tennessee, der lange Zeit erster Projektwissenschaftler des Hubble-Weltraumteleskops war. Wenn die Zeit zu knapp ist, bestehe das Risiko, mögliche Fehlerquellen zu übersehen.
Und nach Meinung des Astrophysikers Gregory Tarlé von der University of Michigan in Ann Arbor überschätzt das Konsortium den wissenschaftlichen Nutzen der neuen Konfiguration – selbst wenn der Magnet tatsächlich wie geplant funktioniert.
Was leistet der schwächere Magnet?
Bereits 2008 hatte das von Italien geleitete PAMELA-Experiment einen schwachen Anhaltspunkt für dunkle Materie in der Milchstraße geliefert: In den Satellitendaten wurde ein Überschuss an energiereichen Positronen (Anti-Elektronen) entdeckt (Dunkles Orakel zur Dunklen Materie, SdW 8/2009, S. 20), deren Ursprung möglicherweise in der Kollision von Teilchen der Dunklen Materie zu suchen ist. Auch das AMS soll nach solchen Überschüssen fahnden. Eine Reihe von Modifikationen an dem Silizium-Spurdetektor im Herzen des Instruments, die das Team seit Beginn der Planungen vorgenommen hat, soll die Chancen für die Detektierung solcher Positronen je nach deren Energie mittlerweile vervierfacht oder gar versechsfacht haben.
Und während die PAMELA-Daten den Energiebereich bis zu etwa 150 Gigaelektronvolt erfassten, werden ihn das AMS laut Tings Team auf bis zu 1 Teraelektronvolt ausdehnen. Tarlé ist da anderer Meinung: "Tings Behauptung, er könne mit dem schwächeren Dauermagneten immer noch Positronen bis zu 1 Teraelektronvolt aufspüren, ist einfach lächerlich."
Aber hätte das Team den Aufwand und die Kosten für die Entwicklung des supraleitenden Magneten nicht gescheut, wenn ihm früher die Idee gekommen wäre, den Spurdetektor zu verbessern? "Schwer zu sagen", meint Ting. "Ich schaue nach vorn und nicht zurück."
(In einer der kommenden Ausgaben von Spektrum der Wissenschaft wird einer der führenden deutschen Wissenschaftler des AMS-Konsortiums ausführlich über das AMS-Experiment berichten, Anm. d. Red.)
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