Nachruf: Der Visionär Zum Tod von Sergey Kapitza, Wissenschaftler und Kommunikator
Die Treffen mit Sergey Kapitza (14. Februar 1928 – 14. August 2012) waren für mich stets ebenso nette wie inspirierende Erlebnisse. Nur beim ersten Mal habe ich mich dabei über sein makelloses Englisch gewundert (und den dazugehörigen britische Sinn für Humor), um mich dann aber bald über seinen Lebenslauf zu informieren: Geboren und aufgewachsen in Cambridge (UK) als Sohn des späteren Nobelpreisträgers Pjotr Leonidowitsch Kapitza musste er schon als Sechsjähriger nach Moskau umziehen. Mir – und den Lesern seiner Biografie, die leider nie ins Englische übersetzt wurde – schilderte er die harten Zeiten unter Stalin am Beispiel seines Vaters, der einen erschöpfenden Kampf um das eigene Überleben und das seiner Familie auszutragen hatte.
Der facettenreiche Werdegang Sergeys als herausragender Wissenschaftler muss hier nicht wiederholt werden. Kurz möchte ich aber das Hauptforschungsgebiet streifen, das ihn viel Jahre beschäftigt hat: nichts Geringerem als die Analyse des globalen Bevölkerungswachstums und damit die Zukunft der Menschheit. Ein durchaus passendes Interessengebiet für ihn, einem Mitglied des "Club of Rome", der vor allem als Herausgeber der Publikation "Die Grenzen des Wachstums" bekannt ist.
Dabei hat das von Sergey entwickelte mathematische Modell – um ihn selbst zu zitieren – "zu einer phänomenologischen Theorie geführt, welche die gesamte Menschheitsgeschichte beschreibt" – vom ersten Anfang vor vier bis fünf Millionen Jahren, hinweg über die maximale Wachstumsraten sprengende "demografische Transition" bis hin in die ferne Zukunft nach unserem Jahrtausend.
Auszeichnungen wie die "Goldmedaille für außergewöhnliche Leistungen bei der Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse" (einem ihm jüngst verliehenen Preis der Russischen Akademie der Wissenschaften, der Sergey auch selbst angehörte) verdankte er allerdings seiner hervorragenden Fähigkeit als Kommunikator. Als Chefredakteur von Spektrum der Wissenschaft – der deutschen Ausgabe von Scientific American – habe ich Sergey regelmäßig in den Meetings unserer internationalen Verlagsgruppe getroffen; schließlich bekleidete er den gleichen Posten für die russische Ausgabe. Und oft hat er mich in diesen Sitzungen mit seinem feinen Sinn für Humor und einer Prise britischer Ironie für sich eingenommen – und mehr noch durch scharfsinnige und wohl durchdachte Beiträge zu allen Aspekten der öffentlichkeitsnahen Wissenschaftskommunikation beeindruckt.
Auf einer dieser Sitzungen hatte er mir auch von seinem laufenden Projekt wöchentlicher TV-Interviews mit herausragenden Wissenschaftspersönlichkeiten erzählt, die zu den aktuell drängenden Problemen seines Heimatlandes befragt werden. Mittlerweile, so Sergey amüsiert, sei diese Sendereihe – hochoffiziell bestätigt vom Guinnessbuch der Rekorde – die (oder einer der) weltweit am längsten dauerhaft ausgestrahlten TV-Serien.
Dabei sind die sonst so beliebten Formate wie TV-Interview oder TV-Talk für Themenbereiche aus der Wissenschaft ja oft deutlich schwerer umzusetzen als für bedruckte Magazine: Gespickt mit abstrakten Termini und begründet auf manch bizarren Konzepten macht die moderne Wissenschaft mit ihrer Methodologie vielen das Verständnis nicht eben immer leicht. Sergey aber war ein Meister darin, seine tiefgehende Kenntnis technischer Aspekte mit der Fähigkeit zu verbinden, dem breiten Publikum immer den gerade notwendigen roten Faden an die Hand zu geben.
In unserem Streben nach den hohen Zielen der Aufklärung wussten wir Wissenschaftskommunikatoren Sergey immer als hartnäckigen Mitstreiter auf unserer Seite.
Mit tiefem Bedauern habe ich von Sergey Kapitzas Tod im Alter von 84 Jahren erfahren. Ich hoffe und wünsche mir sehr, dass die Erinnerung an ihn sowie sein Stil, mit Wissenschaft und Wissenschaftlern umzugehen, auch in russischen Medien wach gehalten wird.
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