Nachruf: Rückstoßfrei zum Nobelpreis
Mit den Legenden in der Wissenschaft ist das so eine Sache. Wenn man als Physikstudent in entsprechenden Vorlesungen etwa vom "rückstoßfreien Kernresonanzeffekt" hört und das im Lehrbuch einfach als ein weiteres Kapitel für die Prüfung lernt, dann ist man doch überrascht, wenn bei nächster Gelegenheit etwa ein quicklebendiger Professor Mößbauer in einem Vortrag vor einem steht, der wirklich einmal selber den "Mössbauer-Effekt" entdeckt hat.
Aber das ist schon ein Anglizismus, denn Rudolph Mößbauer schreibt sich mit "ß", auch wenn seine Entdeckung im Englischen zumeist mit einem "ss" zitiert wird.
Als ich Rudolf Mößbauer als junger Postdoc in München in einem Vortrag hörte, da berichtete er über den Stand der Experimente zur Neutrinomasse. Ein schwieriges Problem! Denn nach dem Standardmodell der Teilchenphysik, auf dem praktisch die gesamte Physik aufbaut, haben Neutrinos eigentlich keine Ruhemasse. Aber schon 1977, als Mößbauer von Grenoble an die TU München zurückkehrte, wo er bis dahin das Laue-Langevin-Institut fünf Jahre lang als Direktor geleitet hatte, gab es erste Hinweise etwa in Experimenten, die dem widersprachen.
Nicht nur verblüffte mich, endlich den großen Forscher leibhaftig zu sehen, sondern auch sein Thema: Natürlich hatte ich gehofft, etwas über den aktuellen Stand beim Mößbauereffekt zu hören. Doch schon in Grenoble hatte sich Mößbauer einem ganz anderen Gebiet, nämlich der Neutrinophysik zugewandt, offensichtlich angeregt durch die Diskrepanzen zum physikalischen Lehrgebäude. In München baute er danach eine international anerkannte Gruppe zur Neutrinophysik auf.
Aber da traute sich also ein arrivierter Forscher, der 1961 den Nobelpreis für Physik bekam, sich mitten in seiner Karriere einem neuen und ziemlich haarigen Forschungsthema zuzuwenden. Das ist auch für Nobelpreisträger nicht immer selbstverständlich – und das Problem der Neutrinomasse ist bis heute nicht gelöst, trotz erheblicher weltweiter Anstrengungen, zu denen auch Mößbauer damals in einer Art Zweitkarriere beitrug.
Kurz danach, noch im Jahr 1958, muss es passiert sein: Zurückgekehrt an seine Experimentierstätte in Heidelberg gelingt ihm der Nachweis dessen, was seither als Mößbauer-Effekt Allgemeingut ist. Wie nicht selten bei großen Entdeckungen, wirken sie im Rückblick vergleichsweise simpel. Ein Atom, etwa das von Mößbauer benutzte Iridium-Isotop 191m (das "m" bezeichnet einen angeregten Zustand), zerfällt innerhalb weniger Sekunden in seinen stabilen Grundzustand und sendet dabei ein Gammateilchen aus. Normalerweise erfährt dabei auch das Atom einen Rückstoß und das Gammateilchen verliert etwas an Energie – wie wenn jemand von einem Boot ins Wasser springt und dabei auch das Boot etwas zurückstößt. Baut man das Isotop allerdings fest in ein Kristallgitter ein (das Boot fest vertäut mit vielen anderen Booten), dann federt das Gitter diesen Rückstoß ab und das Gammateilchen kann seine ganze Energie mitnehmen. (Der Sprung ins Wasser stößt das Boot kaum mehr zurück, er ist "rückstoßfrei".) Trifft es nun etwa wieder auf ein anderes Iridium-191-Atom, dann kann dieses das Gammateilchen wieder vollständig absorbieren. Das nennen Physiker Resonanzabsorption.
Der Nobelpreis von 1961, den Mößbauer zusammen mit Robert Hofstadter erhielt, würdigte die "Untersuchungen zur Resonanzabsorption von Gammastrahlung und die in diesem Zusammenhang gemachte Entdeckung des nach ihm benannten Effektes". Möglich wurden damit Präzisionsmessungen in vielen Gebieten. Mößbauer hatte der Physik ein Universalwerkzeug in die Hand gegeben, das die Technik ebenso umwälzte wie die Grundlagenforschung. So gelang 1960 den US-Forschern Robert Pound und Glen Rebka erstmals der Nachweis, dass Lichtteilchen im Schwerefeld Energie verlieren, ihre Wellenlängen also "rotverschoben" werden – ein wichtiger Beleg für die Relativitätstheorie.
Als ich 1969 erstmals in den USA zu einem Forschungsaufenthalt war, kam ich mit meinem dortigen Betreuer zufällig auch auf Mößbauer zu sprechen, dessen Nobelpreis damals noch nicht so lange zurücklag. "He was lucky", meinte er, und es klang etwas Neid auf Mößbauer durch, dem wohl so eine Art Zufallsfund gelungen war. Das Experiment sei eigentlich auch nicht schwierig und es hätten ja auch viele andere machen können. "Well", fragte ich zurück, "why didn’t then somebody else do it before Mößbauer?"
Aber das ist schon ein Anglizismus, denn Rudolph Mößbauer schreibt sich mit "ß", auch wenn seine Entdeckung im Englischen zumeist mit einem "ss" zitiert wird.
Als ich Rudolf Mößbauer als junger Postdoc in München in einem Vortrag hörte, da berichtete er über den Stand der Experimente zur Neutrinomasse. Ein schwieriges Problem! Denn nach dem Standardmodell der Teilchenphysik, auf dem praktisch die gesamte Physik aufbaut, haben Neutrinos eigentlich keine Ruhemasse. Aber schon 1977, als Mößbauer von Grenoble an die TU München zurückkehrte, wo er bis dahin das Laue-Langevin-Institut fünf Jahre lang als Direktor geleitet hatte, gab es erste Hinweise etwa in Experimenten, die dem widersprachen.
Nicht nur verblüffte mich, endlich den großen Forscher leibhaftig zu sehen, sondern auch sein Thema: Natürlich hatte ich gehofft, etwas über den aktuellen Stand beim Mößbauereffekt zu hören. Doch schon in Grenoble hatte sich Mößbauer einem ganz anderen Gebiet, nämlich der Neutrinophysik zugewandt, offensichtlich angeregt durch die Diskrepanzen zum physikalischen Lehrgebäude. In München baute er danach eine international anerkannte Gruppe zur Neutrinophysik auf.
Aber da traute sich also ein arrivierter Forscher, der 1961 den Nobelpreis für Physik bekam, sich mitten in seiner Karriere einem neuen und ziemlich haarigen Forschungsthema zuzuwenden. Das ist auch für Nobelpreisträger nicht immer selbstverständlich – und das Problem der Neutrinomasse ist bis heute nicht gelöst, trotz erheblicher weltweiter Anstrengungen, zu denen auch Mößbauer damals in einer Art Zweitkarriere beitrug.
Die Grundlagen für seinen Ruhm legte der 1929 in München geborene Forscher bereits als junger Wissenschaftler. Besuche im Deutschen Museum sollen ihn zum Physikstudium angeregt haben, das er 1949 an der damaligen Technischen Hochschule München, später Technischen Universität, begann und 1958 bei Professor Heinz Maier-Leibnitz abschloss. Die Experimente zu einer Doktorarbeit hatte er in Heidelberg am Max-Planck-Institut für experimentelle Forschung durchgeführt. Es ging um "Kernresonanz-Fluoreszenz von Gammastrahlen in Iridium-191", so der Titel seiner Dissertation.
Kurz danach, noch im Jahr 1958, muss es passiert sein: Zurückgekehrt an seine Experimentierstätte in Heidelberg gelingt ihm der Nachweis dessen, was seither als Mößbauer-Effekt Allgemeingut ist. Wie nicht selten bei großen Entdeckungen, wirken sie im Rückblick vergleichsweise simpel. Ein Atom, etwa das von Mößbauer benutzte Iridium-Isotop 191m (das "m" bezeichnet einen angeregten Zustand), zerfällt innerhalb weniger Sekunden in seinen stabilen Grundzustand und sendet dabei ein Gammateilchen aus. Normalerweise erfährt dabei auch das Atom einen Rückstoß und das Gammateilchen verliert etwas an Energie – wie wenn jemand von einem Boot ins Wasser springt und dabei auch das Boot etwas zurückstößt. Baut man das Isotop allerdings fest in ein Kristallgitter ein (das Boot fest vertäut mit vielen anderen Booten), dann federt das Gitter diesen Rückstoß ab und das Gammateilchen kann seine ganze Energie mitnehmen. (Der Sprung ins Wasser stößt das Boot kaum mehr zurück, er ist "rückstoßfrei".) Trifft es nun etwa wieder auf ein anderes Iridium-191-Atom, dann kann dieses das Gammateilchen wieder vollständig absorbieren. Das nennen Physiker Resonanzabsorption.
Der Nobelpreis von 1961, den Mößbauer zusammen mit Robert Hofstadter erhielt, würdigte die "Untersuchungen zur Resonanzabsorption von Gammastrahlung und die in diesem Zusammenhang gemachte Entdeckung des nach ihm benannten Effektes". Möglich wurden damit Präzisionsmessungen in vielen Gebieten. Mößbauer hatte der Physik ein Universalwerkzeug in die Hand gegeben, das die Technik ebenso umwälzte wie die Grundlagenforschung. So gelang 1960 den US-Forschern Robert Pound und Glen Rebka erstmals der Nachweis, dass Lichtteilchen im Schwerefeld Energie verlieren, ihre Wellenlängen also "rotverschoben" werden – ein wichtiger Beleg für die Relativitätstheorie.
Immer wieder habe ich seinerzeit Debatten miterlebt, ob nicht auch Mößbauers Münchner Doktorvater Maier-Leibnitz an dem Nobelpreis hätte beteiligt werden müssen. Schließlich hatte er den Nachwuchsforscher auf das "richtige" Thema angesetzt. Bei Nobelpreisen wird allerdings sehr häufig diskutiert, welche Kollegen und Mitarbeiter eigentlich mit ausgezeichnet hätten werden sollten, und zweifellos gebührt dem Ideengeber, auch bei Mößbauer, allergrößte Anerkennung. Wie "fair" solche Nobel-Entscheidungen letztlich sind, können aber höchstens die unmittelbar Beteiligten wirklich beurteilen. Und für die Physikerinnung ist es letztlich zweitrangig – sie alle profitierten in unglaublichem Maße von Mößbauers Durchbruch.
Als ich 1969 erstmals in den USA zu einem Forschungsaufenthalt war, kam ich mit meinem dortigen Betreuer zufällig auch auf Mößbauer zu sprechen, dessen Nobelpreis damals noch nicht so lange zurücklag. "He was lucky", meinte er, und es klang etwas Neid auf Mößbauer durch, dem wohl so eine Art Zufallsfund gelungen war. Das Experiment sei eigentlich auch nicht schwierig und es hätten ja auch viele andere machen können. "Well", fragte ich zurück, "why didn’t then somebody else do it before Mößbauer?"
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