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Neolithische Revolution: Ostwärts

Die neolithische Revolution, die der Menschheit Ackerbau und Viehzucht bescherte, gilt zu Recht als entscheidender Wendepunkt der Kulturgeschichte. Doch wodurch breitete sich diese Revolution außerhalb des Zweistromlandes aus? Durch Einwanderer, welche die Urbevölkerung verdrängten, oder durch die Ideen, die sich langsam bei den Einheimischen durchsetzten?
Der Kontinent war unterentwickelt. Seine Bewohner lebten von der Hand in den Mund und streiften als rastlose Jäger und Sammler durch die Wälder. Seit Jahrtausenden hatte sich hier nichts Wesentliches mehr verändert: Europa befand sich vor 10 000 Jahren noch in der tiefsten Steinzeit – im Mesolithikum, um genau zu sein.

Zur selben Zeit herrschte anderswo revolutionärer Aufbruch: Im Vorderen Orient, wo heute die Staaten Iran, Irak, Syrien und die Türkei liegen, begannen die Menschen ihr unstetes Wanderleben aufzugeben und fortan als Bauern und Viehzüchter ihr Brot zu verdienen. Die Erfindung der Landwirtschaft sollte von hier aus, dem fruchtbaren Halbmond, als neolithische Revolution die Kulturgeschichte der gesamten Menschheit radikal verändern.

Die Revolution breitete sich rasant aus. Über Griechenland kommend, erreichte sie vor 7000 Jahren Mitteleuropa, und vor 5000 Jahren passten sich schließlich auch die Einwohner der letzten britischen Inseln der neuen Lebensweise an. Doch wer oder was drang da eigentlich vor?

Heutige Anthropologen streiten sich hier über zwei Modelle: Nach der Theorie der kulturellen Diffusion waren es die revolutionären Ideen aus dem Süden, die nach Europa einsickerten und von der Urbevölkerung allmählich übernommen wurden. Anhänger der demischen Diffusion sind hingegen davon überzeugt, dass es die Revolutionäre selbst waren, die in Europa einwanderten und nach und nach die Alteingesessenen verdrängten.

Genetiker könnten diesen Streit schlichten, doch leider sind deren Ergebnisse widersprüchlich: Während manche Untersuchungen dafür sprechen, dass ein Großteil der europäischen Bevölkerung von Einwanderern abstammt, die bereits vor 22 000 Jahren Europa erreicht hatten – also lange vor der neolithischen Revolution –, deuten andere Ergebnisse auf eine erhebliche genetische Vermischung in Europa vor 9000 Jahren. Die Crux liegt darin, dass letztendlich niemand weiß, wie das Erbgut der europäischen Urbevölkerung vor dem Umsturz aus dem Osten wirklich aussah.

Indien | Die von den Genetikern untersuchten Volksstämme leben in den südindischen Bundesstaaten Karnataka, Kerala und Tamil Nadu.
Nun drangen die revolutionären Ideen nicht nur nach Westen vor, sondern auch nach Osten. Richard Cordaux vom Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie begab sich daher zusammen mit seinen Kollegen auf den Spuren der neolithischen Revolution nach Indien. Im Gegensatz zu Europa existieren hier die unterschiedlichsten Kulturkreise nebeneinander: Manche leben immer noch als traditionelle Jäger und Sammler, andere betreiben – wie in Europa – seit Jahrtausenden Landwirtschaft, und dritte sind erst in den letzten 3000 Jahren – also erst kürzlich – zu Ackerbau und Viehzucht übergegangen.

Die Genetiker suchten nun nach genetischen Ähnlichkeiten – und zwar sowohl beim nur väterlich vererbten Y-Chromosom, als auch im Erbgut der Mitochondrien (mtDNA), das mütterlicherseits weitergegeben wird. So standen den Forschern Daten von 583 Männern und 632 Frauen aus verschiedenen Stämmen Süd- und Nordindiens zur Verfügung.

Die Ergebnisse waren bei Männern und Frauen gleich: Mitglieder der bäuerlichen Kulturen standen sich genetisch nah – egal ob Landwirtschaft schon seit Jahrtausenden oder erst seit kurzem betrieben wird. Die Jäger und Sammler waren dagegen genetisch mehr isoliert.

Damit zeigt sich, dass in Indien mit der Idee der Landwirtschaft auch das Erbgut in traditionelle Jäger- und Sammlerkulturen vordrang. Offensichtlich haben sich in den letzten 3000 Jahren Mitglieder der alten Bauernkulturen mit einigen der Jäger und Sammler vermischt – und hatten dabei auch die neuen Technik im Gepäck –, während andere genetisch isoliert blieben und bis heute ihrem alten Broterwerb nachgehen.

Damit bestätigt sich zumindest für Indien das Modell der demischen Diffusion. Die Frage bleibt, wer oder was Europa aus der Mittelsteinzeit holte: Ideen oder Menschen?

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