Netzwerke: Schleimiger Streckenplaner
Ein Schleimpilz schafft in wenigen Stunden, wofür Ingenieure Monate brauchen: Er ermittelt die effizientesten Verbindungen zwischen Städten im Großraum Tokio.
Sie sehen aus wie neonfarbene Farbkleckse im Wald und faszinieren die Forscher schon seit Jahrzehnten. Schleimpilze sind bizarre Mischwesen: weder Tier, noch Pflanze, noch Pilz. Sie gehören zu den Amöbozoen, sind trotz ihres irreführenden Namens also näher mit den Tieren als den Pilzen verwandt und halten mit Abstand den Größenrekord unter den Einzellern: Sie können mehrere Quadratmeter groß werden, enthalten eine Vielzahl von Kernen und können sich mit einer Geschwindigkeit von rund einem Zentimeter pro Stunde fortbewegen.
Und die Riesenzellen verhalten sich schlau. In einem Experiment von Forschern um Toshiyuki Nakagaki von der Hokkaido Universität in Sapporo fand der Schleimpilz Physarum polycephalum die verkehrstechnisch günstigsten Verbindungen zwischen Tokio und den umliegenden Städten [1].
Bereits vor einigen Jahren konnte der japanische Wissenschaftler zeigen, dass Schleimpilze den kürzesten Weg durch ein Labyrinth finden, sofern sie am Anfangs- und Endpunkt eine attraktive Mahlzeit aus Haferflocken erwartet. Mit ebensolchen Leckerbissen markierten Nakagaki und sein Team nun die Position der Städte auf einer Umgebungskarte von Tokio. Dann setzten sie Physarum in die Hauptstadt.
Zunächst überwucherte die Riesenamöbe das gesamte Gebiet wie ein Pfannkuchen, doch bereits nach acht Stunden entwickelten sich in der Schleimfläche dickere Adern, die die verschiedenen Futterquellen miteinander verbanden. Nach etwa einem Tag hatte sich der Schleimpilz komplett zu Verbindungsadern zwischen den Haferflockenstädten zusammengezogen. Das allein war nach den Ergebnissen des Labyrinthversuchs noch nicht überraschend – doch was die Forscher verblüffte, war die Effizienz, mit der Physarum die Futterquellen vernetzt hatte.
Die beiden Systeme waren zwar nicht völlig deckungsgleich, doch in keiner Kategorie schnitt das Netz von Physarum deutlich schlechter ab als das ausgefeilte Verbindungssystem der Ingenieure, teilweise war es sogar besser. Dabei bildete der Schleimpilz seine Verbindungsadern ohne einen zentralen Kontrollmechanismus, der ihm verraten könnte, wo sich die Haferflocken befinden oder wie sie sich verbinden lassen. Diese Selbstorganisation ist auch für die Entwicklung verschiedener technischer Anwendungen nützlich, meint Nakagaki: "Netzwerkingenieure könnten sich künftig Anregungen vom Schleimpilz holen."
Ein einfacher Algorithmus soll nun helfen, Physarums Fähigkeiten technisch nutzbar zu machen.
Mit Hilfe der Formel erzeugten die Wissenschaftler eine Computersimulation, bei der sie zunächst die Umgebungskarte von Tokio mit einem engmaschigen Adernetz überzogen, aus dem sich nach und nach ein Verbindungsmuster ergab. In seinen Eigenschaften ähnelte das simulierte Netzwerk sowohl dem Pilz-, als auch dem Eisenbahnnetz, doch die Forscher konnten seine Effizienz sogar noch verbessern, indem sie einzelne Parameter wie beispielsweise die Anzahl erlaubter Quervernetzungen variierten. Für Wolfgang Marwan, der an der Universität Magdeburg ebenfalls an Physarum forscht, liegt in diesen Variationsmöglichkeiten eine große Stärke des Modells [2]: "Da der Algorithmus mit seinen Parametern unabhängig vom Mechanismus des Schleimpilzes ist, lässt er sich gut auf diverse Netzwerksysteme übertragen und kann sie mit den gewünschten Eigenschaften ausstatten."
Sind Schleimpilze nun intelligenter als menschliche Planer? Eine solche Vorstellung wird auch unter Wissenschaftlern weiter umstritten bleiben. Toshiyuki Nakagaki glaubt dennoch, dass nicht nur Ingenieure von der Riesenzelle lernen können: "Physarum ist viel cleverer als ich dachte, daher möchte ich meine dumme Meinung ändern, einzellige Organismen seien dumm."
Und die Riesenzellen verhalten sich schlau. In einem Experiment von Forschern um Toshiyuki Nakagaki von der Hokkaido Universität in Sapporo fand der Schleimpilz Physarum polycephalum die verkehrstechnisch günstigsten Verbindungen zwischen Tokio und den umliegenden Städten [1].
Bereits vor einigen Jahren konnte der japanische Wissenschaftler zeigen, dass Schleimpilze den kürzesten Weg durch ein Labyrinth finden, sofern sie am Anfangs- und Endpunkt eine attraktive Mahlzeit aus Haferflocken erwartet. Mit ebensolchen Leckerbissen markierten Nakagaki und sein Team nun die Position der Städte auf einer Umgebungskarte von Tokio. Dann setzten sie Physarum in die Hauptstadt.
Zunächst überwucherte die Riesenamöbe das gesamte Gebiet wie ein Pfannkuchen, doch bereits nach acht Stunden entwickelten sich in der Schleimfläche dickere Adern, die die verschiedenen Futterquellen miteinander verbanden. Nach etwa einem Tag hatte sich der Schleimpilz komplett zu Verbindungsadern zwischen den Haferflockenstädten zusammengezogen. Das allein war nach den Ergebnissen des Labyrinthversuchs noch nicht überraschend – doch was die Forscher verblüffte, war die Effizienz, mit der Physarum die Futterquellen vernetzt hatte.
Nakagaki und seine Kollegen verglichen das Schleimpilz-Netzwerk mit dem tatsächlichen Schienensystem von Tokios Eisenbahn. Besonderes Augenmerk legten sie dabei darauf, wie effektiv der Nahrungstransport auf den Strecken funktionierte, wie leicht im Falle einer Störung auf eine andere Route ausgewichen werden konnte und wie energieaufwändig und damit im übertragenden Sinne kostspielig die Vernetzung war.
Die beiden Systeme waren zwar nicht völlig deckungsgleich, doch in keiner Kategorie schnitt das Netz von Physarum deutlich schlechter ab als das ausgefeilte Verbindungssystem der Ingenieure, teilweise war es sogar besser. Dabei bildete der Schleimpilz seine Verbindungsadern ohne einen zentralen Kontrollmechanismus, der ihm verraten könnte, wo sich die Haferflocken befinden oder wie sie sich verbinden lassen. Diese Selbstorganisation ist auch für die Entwicklung verschiedener technischer Anwendungen nützlich, meint Nakagaki: "Netzwerkingenieure könnten sich künftig Anregungen vom Schleimpilz holen."
Auch Mark Fricker von der University of Oxford, der gemeinsam mit den japanischen Forschern am Pilznetzwerk arbeitete, sieht viele Anwendungsmöglichkeiten für das Schleimpilzmodell, beispielsweise in Sensornetzen für Flut- oder Brandwarnsysteme. Anstatt wie früher die Sensoren direkt mit einer Basisstation zu verbinden, gehe man in letzter Zeit dazu über, die Signale kabellos über kürzere Strecken an Zwischenstationen zu übermitteln. Diese sind dann untereinander vernetzt und leiten die Informationen schrittweise zur Basis weiter. Laut Fricker hat dieses Verfahren gleich mehrere Vorteile: Einerseits wird die Übertragungsenergie reduziert, andererseits lassen sich Störungen einzelner Komponenten leicht ausgleichen – vorausgesetzt das System kann die Informationen dynamisch umleiten, eben genau so wie es der Schleimpilz beherrscht.
Ein einfacher Algorithmus soll nun helfen, Physarums Fähigkeiten technisch nutzbar zu machen.
"Ich möchte meine dumme Meinung ändern, einzellige Organismen seien dumm"
(Toshiyuki Nakagaki)
Die Forscher beobachteten dazu, nach welchem System manche Verbindungen verstärkt wurden, während andere verödeten. Das Gesetz hinter der Entwicklung des Netzwerks nennt Nakagaki "Nutze und Verstärke", oder präziser formuliert: "Mache eine Ader umso dicker, je mehr Zellflüssigkeit in ihr strömt!" Da die Transportaktivität zwischen zwei Futterquellen am höchsten ist, bilden sich so automatisch die günstigsten Verbindungen heraus. (Toshiyuki Nakagaki)
Mit Hilfe der Formel erzeugten die Wissenschaftler eine Computersimulation, bei der sie zunächst die Umgebungskarte von Tokio mit einem engmaschigen Adernetz überzogen, aus dem sich nach und nach ein Verbindungsmuster ergab. In seinen Eigenschaften ähnelte das simulierte Netzwerk sowohl dem Pilz-, als auch dem Eisenbahnnetz, doch die Forscher konnten seine Effizienz sogar noch verbessern, indem sie einzelne Parameter wie beispielsweise die Anzahl erlaubter Quervernetzungen variierten. Für Wolfgang Marwan, der an der Universität Magdeburg ebenfalls an Physarum forscht, liegt in diesen Variationsmöglichkeiten eine große Stärke des Modells [2]: "Da der Algorithmus mit seinen Parametern unabhängig vom Mechanismus des Schleimpilzes ist, lässt er sich gut auf diverse Netzwerksysteme übertragen und kann sie mit den gewünschten Eigenschaften ausstatten."
Die molekularen Abläufe hinter der Organisation von Physarum geben den Wissenschaftlern nach wie vor Rätsel auf. Dass sich dieser Umstand in den nächsten Jahren ändern wird, hofft auch der Magdeburger Forscher: "Physarum ist ein faszinierendes System, weil es sich wegen seiner riesigen Zellen sehr gut für makroskopische Beobachtungen eignet." Das zeige auch das Experiment der Forscher um Nakagaki.
Sind Schleimpilze nun intelligenter als menschliche Planer? Eine solche Vorstellung wird auch unter Wissenschaftlern weiter umstritten bleiben. Toshiyuki Nakagaki glaubt dennoch, dass nicht nur Ingenieure von der Riesenzelle lernen können: "Physarum ist viel cleverer als ich dachte, daher möchte ich meine dumme Meinung ändern, einzellige Organismen seien dumm."
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