Nobelpreise 2011: Arabische Kacheln in 3-D
Der Nobelpreis für Chemie geht 2011 an einen hartnäckigen Außenseiter: Seine Entdeckung einer zuvor undenkbaren inneren Struktur fester Materie hat erst den Laureaten Dan Shechtman selbst überzeugen müssen, dann einige höhnische Kollegen – und sorgte schließlich dafür, dass ein Dogma der Festkörperchemie aufgegeben werden musste.
Begonnen hat alles am Morgen des 8. April 1982 am US National Institute of Standards and Technology bei Baltimore, wo der Israeli Dan Shechtman verblüfft die Ergebnisse seines letzten Experiments nicht glauben wollte. Shechtman hatte die innere Struktur einer rasch abgekühlten Legierung aus Aluminium und Magnesium durch Elektronenbeugung analysiert.
Die drei Fragezeichen
Was das bedeutet, konnte auch das Nobelkomitee bei der Preisverkündung am besten mit Puzzlestücken und Schautafeln veranschaulichen. In der ordentlichen Kristallstruktur eines Festkörpers ist – je nach chemischer Zusammensetzung – ein einzelnes Atom beispielsweise von genau drei Bindungspartnern umgeben, die stets im gleichen Abstand die gleiche relative Position zueinander einnehmen. Dabei entstehen notwendigerweise dreizählige Symmetrieachsen, die man durch die Gitterstruktur legen kann, das Grundmuster kann sich an diesen entlang immer exakt gleich wiederholen. Eine "Elementarzelle" des Kristalls zu kennen – also zwei Atome in typischer Beziehung zueinander –, reicht aus, um die gesamte Kristallstruktur zu beschreiben, sie wiederholt sich ja immer wieder.
Zu Hilfe: Arabesken und Mathematik
Nach und nach bekam Shechtman dann aber Unterstützung von mehreren Seiten. Verschiedene Kristallografen erkannten, dass die Arbeit solide und praktisch reproduzierbar war. Immer mehr Experimentatoren bemerkten auch, dass sie Ähnliches früher schon im eigenen Labor gesehen und, als offensichtlichen Verstoß gegen die Lehrmeinung, verworfen hatten. Und schließlich bekam die Idee der Quasikristalle, wie sie seit 1984 getauft waren, fachfremde Unterstützung und einen theoretischen Unterbau aus Mathematik und Kunst.
Tatsächlich war es dem Kristallografen Alan Mackay gelungen – zufällig auch im Jahr 1982 –, Penrose-Mosaikmuster und Beugungsmuster von Quasikristallen in Übereinstimmung zu bringen. Theoretisch war nun durchaus denkbar, dass eine Kristallstruktur existiert, bei der sich Atome an Schnittpunkten anordnen, die ein Penrose-Muster vorgibt.
Theorie oder auch Praxis?
Es dauerte dennoch, bis alle Fäden verknüpft waren und die Idee der Quasikristalle sich in der Wissenschaftswelt durchgesetzt hatte – erst zehn Jahr nach Shechtmans überraschendem Experiment änderte die International Union of Cristallography ihre Definition eines Kristalls, um den neuen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Die Erkenntnisse und Fortschritte kamen nun aber Schlag auf Schlag.
Längst haben Festkörperchemiker seitdem ausbaldowert, wie und wo die Atome in einem Quasikristall angeordnet sein müssen, um die typischen Eigenschaften hervorzubringen. Es gelang auch schon, Hunderte verschiedener Quasikristalle künstlich zu produzieren; und gerade erst vor zwei Jahren hat man auch einen natürlich entstandenen, mineralischen Quasikristall gefunden: in einem ostrussischen Flussbett.
Dan Shechtman, der 1941 in Tel Aviv geboren wurde und seit 1984 am Technion, dem Israel Institute of Technology im israelischen Haifa arbeitet, hat den Preis allerdings nicht wegen der unerhörten praktischen Bedeutung der Quasikristalle erhalten. Er verdient ihn sich, meint das Nobelpreiskomitee, vor allem für seine Hartnäckigkeit und den Mut, gegen die gängige Meinung der Mehrheit eigenen Ideen zu vertrauen – bis ihre Zeit gekommen ist.
Das dabei entstandene Beugungsmuster legte allerdings einen Aufbau nahe, der in den Gesetzen der Kristallografie zumindest in den 1980ern überhaupt nicht vorgesehen war: Offenbar hatte das Material eine ganz eigene innere "Quasisymmetrie", bei der einzelnen Bausteine einerseits nicht wild, also amorph, durcheinandergeworfen waren. Andererseits waren sie auch nicht, wie in Kristallen, immer exakt gleich zueinander angeordnet, um sich im Material immer und immer wieder periodisch zu spiegeln. Gleichzeitig bildeten sie aber, wie eben bei Kristallen, trotzdem eindeutig übergeordnete Muster. Shechtmans Probe war ein Quasikristall. Oder, wie es heute wissenschaftlich-lexikalisch exakt beschrieben heißt: ein Material mit "Orientierungsfernordnung über nichtkristallografische Symmetrieoperationen, aber keiner Translationsfernordnung".
Die drei Fragezeichen
Was das bedeutet, konnte auch das Nobelkomitee bei der Preisverkündung am besten mit Puzzlestücken und Schautafeln veranschaulichen. In der ordentlichen Kristallstruktur eines Festkörpers ist – je nach chemischer Zusammensetzung – ein einzelnes Atom beispielsweise von genau drei Bindungspartnern umgeben, die stets im gleichen Abstand die gleiche relative Position zueinander einnehmen. Dabei entstehen notwendigerweise dreizählige Symmetrieachsen, die man durch die Gitterstruktur legen kann, das Grundmuster kann sich an diesen entlang immer exakt gleich wiederholen. Eine "Elementarzelle" des Kristalls zu kennen – also zwei Atome in typischer Beziehung zueinander –, reicht aus, um die gesamte Kristallstruktur zu beschreiben, sie wiederholt sich ja immer wieder.
Das funktioniert auch mit vier oder sechs Atomen: Es resultieren vier- oder sechszählige Symmetrie-Drehachsen. Dreht man den Kristall entlang dieser Achsen um 90 oder 60 Grad, so erscheinen stets dieselben, deckungsgleichen Muster. Unmöglich im symmetrischen Kristall sind allerdings zum Beispiel fünfzählige oder zehnzählige Achsen: In ihrem Raster können sich die einzelnen Atome nie so anordnen, dass der Abstand zu allen Nachbarn gleich ist. Somit kann man ein solches Material auch entlang aller Achsen drehen und wenden, wie man will: Ein exakt wiederholtes übergeordnetes Muster – die lexikalische "Translationsfernordnung" – ist nicht möglich.
Shechtman aber erkannte in den zehn musterhaft symmetrischen Reflexen des Beugungsmusters nun genau dies: Offenbar hatte er einen unmöglichen ikosaedersymmetrischen Kristall mit fünfzähliger Drehachse gefunden. Kein Wunder, dass er in seinem Laborbuch erst einmal drei Fragezeichen neben "10-fach" schrieb. Die einfachste Erklärung war für ihn zunächst, an ein typisches Laborartefakt zu glauben, wie es etwa an der Grenzschicht von zwei zufällig beim Abkühlen nebeneinander gewachsenen Kristallen auftreten kann.
Diese einfache Ursache konnte er bald ausräumen – sich selbst gegenüber zumindest, denn von seinen Kollegen glaubte ihm lange erst einmal niemand. Tatsächlich wurde Shechtman, der seine Ergebnisse hartnäckig herumzeigte und auf Interpretationshilfe hoffte, angeblich von seinem Institutsleiter nahegelegt, doch besser seinen Arbeitsplatz zu wechseln. Auch die Veröffentlichung der Daten gestaltete sich schwierig: Niemand wollte glauben, dass es einen Kristall mit fünfachsiger Symmetrie gibt, weil es ihn nach Lehrbuchmeinung nicht geben durfte.
Zu Hilfe: Arabesken und Mathematik
Nach und nach bekam Shechtman dann aber Unterstützung von mehreren Seiten. Verschiedene Kristallografen erkannten, dass die Arbeit solide und praktisch reproduzierbar war. Immer mehr Experimentatoren bemerkten auch, dass sie Ähnliches früher schon im eigenen Labor gesehen und, als offensichtlichen Verstoß gegen die Lehrmeinung, verworfen hatten. Und schließlich bekam die Idee der Quasikristalle, wie sie seit 1984 getauft waren, fachfremde Unterstützung und einen theoretischen Unterbau aus Mathematik und Kunst.
So war es dem Mathematiker Roger Penrose Mitte der 1970er Jahre gelungen, ein Mosaik aus nur zwei unterschiedlichen rhombusförmigen Puzzlestücken zusammenzusetzen, die ein übergeordnetes, sich aber nie wiederholendes Muster formen. Auf der Basis von Penroses Idee gelang es dann, jene verwirrenden Muster mathematisch zu fassen, die arabisch-islamische Künstler im Mittelalter in ihren Mosaiken zur Perfektion gebracht hatten. Die mittelalterlichen Girih-Kacheln – wie sie etwa die Alhambra in Andalusien oder den Darb-i-Imam-Schrein im Iran schmücken – bestehen aus nur fünf einzelnen Kacheln, die gemeinsam aperiodisch wiederholte Muster formen.
Tatsächlich war es dem Kristallografen Alan Mackay gelungen – zufällig auch im Jahr 1982 –, Penrose-Mosaikmuster und Beugungsmuster von Quasikristallen in Übereinstimmung zu bringen. Theoretisch war nun durchaus denkbar, dass eine Kristallstruktur existiert, bei der sich Atome an Schnittpunkten anordnen, die ein Penrose-Muster vorgibt.
Theorie oder auch Praxis?
Es dauerte dennoch, bis alle Fäden verknüpft waren und die Idee der Quasikristalle sich in der Wissenschaftswelt durchgesetzt hatte – erst zehn Jahr nach Shechtmans überraschendem Experiment änderte die International Union of Cristallography ihre Definition eines Kristalls, um den neuen Erkenntnissen Rechnung zu tragen. Die Erkenntnisse und Fortschritte kamen nun aber Schlag auf Schlag.
Längst haben Festkörperchemiker seitdem ausbaldowert, wie und wo die Atome in einem Quasikristall angeordnet sein müssen, um die typischen Eigenschaften hervorzubringen. Es gelang auch schon, Hunderte verschiedener Quasikristalle künstlich zu produzieren; und gerade erst vor zwei Jahren hat man auch einen natürlich entstandenen, mineralischen Quasikristall gefunden: in einem ostrussischen Flussbett.
Die besonderen Eigenschaften der Quasikristalle – sie sind etwa sehr hart und spröde – dienen in der Praxis heute zum Beispiel dazu, eine besonders harte Sorte von Stahl zu produzieren. Intermetallische, also aus zwei Metallen zusammengesetzte Quasikristalle sind zudem sehr schlechte thermoelektrische Leiter: Wo in anderen Festkörpern der Transport von Wärme oder Elektronen durch die Gitterschwingungen des Kristalls (also durch Phononen) verstärkt wird, lässt die Struktur der Quasikristalle dies nicht im gleichen Maß zu. Damit eignen sich Quasikristalle gut als Oberflächenbeschichtung etwa für Bratpfannen.
Dan Shechtman, der 1941 in Tel Aviv geboren wurde und seit 1984 am Technion, dem Israel Institute of Technology im israelischen Haifa arbeitet, hat den Preis allerdings nicht wegen der unerhörten praktischen Bedeutung der Quasikristalle erhalten. Er verdient ihn sich, meint das Nobelpreiskomitee, vor allem für seine Hartnäckigkeit und den Mut, gegen die gängige Meinung der Mehrheit eigenen Ideen zu vertrauen – bis ihre Zeit gekommen ist.
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