Ölpest: Entwarnung am Golf von Mexiko gerechtfertigt?
Vor vier Monaten ist der Brand auf der BP-Ölplattform Deepwater Horizon ausgebrochen. Nun schien es endlich gute Nachrichten zu geben: "Mindestens 50 Prozent des ausgelaufenen Öls sind bereits vollständig aus dem System verschwunden", sagte die Direktorin der National Oceanic and Atmospheric Administration (NOAA), Jane Lubchenco, bei einer Pressekonferenz am 5. August im Weißen Haus. In einer Studie der Behörde war untersucht worden, wie viel Öl seit dem 20. April in den Golf von Mexiko ausgelaufen ist und was mit dem Öl seitdem geschah.
Auch wenn Forscher einige der Ergebnisse bestätigen, so bemängelten viele von jenen, die von der Fachzeitschrift Nature (auch Spektrum der Wissenschaft ist Teil der Nature Publishing Group, Anm. d. Red.) dazu befragt wurden, dass der Bericht die großen Unsicherheiten einiger Abschätzungen nicht deutlich macht. James Cowan etwa, Ozeanograph an der Louisiana State University in Baton Rouge, sagt: "Wissenschaftlich gesehen ist er meiner Ansicht nach unhaltbar."
Politische Interessen im Spiel?
Mehrere Forscher fragen außerdem, welche Interessen die Veröffentlichung verfolgte. Offenbar erschien der Bericht gerade zum rechten Zeitpunkt – kurz nachdem es der Ölfirma BP gelungen war, das Bohrloch abzudichten. War die zeitliche Abstimmung eher politisch als wissenschaftlich motiviert?
Demnach sollte sich der verbleibende Rest des Öls (aus den anderen Daten ergibt sich sein Anteil zu 26 Prozent) noch auf der Meeresoberfläche oder am Ufer befinden. Der größte Teil davon "zersetzt sich schnell oder wird derzeit von den Stränden entfernt", sagte Lubchenco. Ihr zufolge weisen die Zahlen "ein hohes Maß an Zuverlässigkeit" auf. Das im Wasser fein verteilte oder gelöste Öl könne allerdings weiterhin eine Bedrohung für Meereslebewesen darstellen.
Wie groß sind die Unsicherheiten wirklich?
James Cowan ist von der Darstellung nicht überzeugt: "Der Bericht bietet nicht genug Informationen, um irgend jemanden zu überzeugen, der statistisches oder ökologisches Hintergrundwissen besitzt." Jeffrey Short, Umweltchemiker in Juneau im US-Bundesstaat Alaska, sieht die Zahlen ebenfalls skeptisch. Die Menge des Öls, die aufgefangen, verbrannt oder abgeschöpft wurde, sei direkt messbar; also sollte dessen Schätzung verlässlich sein. Aber die anderen Zahlen könnten um einen Faktor zwei oder drei von der Realität abweichen, da zu wenige Daten vorlägen. Short arbeitet für die Umweltschutzorganisation Oceana und war, bevor er die NOAA verließ, an der Leitung der Untersuchung beteiligt, welche die Folgen des Exxon-Valdez-Unglücks im Jahr 1989 ermittelte.
Bill Lehr, einer der Hauptautoren des Berichts und leitender Wissenschaftler der NOAA-Abteilung für Gefahrenabwehr, stimmt zu, dass die Zahlen insbesondere zur Verdunstung des Öls und seiner Verteilung im Meerwasser die am wenigsten gesicherten seien. Er verweist aber darauf, dass das Team für die Studie absichtlich konservative Schätzungen verwendete. Im Bericht selbst wird die Größenordnung der Unsicherheiten jedoch nicht erwähnt, zudem enthält er nur spärliche Informationen darüber, wie die Zahlen berechnet wurden.
Lehr erklärt, dass die Software Oil Budget Calculator, der die Schätzungen entstammen, seit Juni von der US-Küstenwache benutzt werde, um die Schutzmaßnahmen zu planen. Die Küstenwache selbst verfüge über detaillierte Informationen zu den Unsicherheiten. Den jüngsten Bericht kommentiert der Wissenschaftler so: "Es wurde entschieden, die Durchschnittswerte zu veröffentlichen [, ohne die Unsicherheiten anzugeben]. Ob das richtig war oder nicht, darüber lässt sich streiten." Die Software sei vorhanden gewesen, "und wir haben einfach entschieden, sie würde einige der Fragen der Öffentlichkeit beantworten helfen." Die Behörde werde nun so schnell wie möglich einen Bericht zusammenstellen, der die wissenschaftlichen Details ausführen soll.
Jeffrey Short hingegen vermutet hinter der Veröffentlichung politische Motive: "Es entsteht der Eindruck, dass man versucht, ihn zeitlich mit der Abdichtung des Lecks zusammenfallen zu lassen – dass man das Ganze sozusagen mit einem schönen Schleifchen verzieren will."
Eine ganze Generation von Fischen verloren?
Viele Wissenschaftler stimmen mit der Einschätzung überein, dass die biologischen Verluste in den Küstenregionen nicht so groß waren wie befürchtet. "Die meisten von uns dürften im Großen und Ganzen davon ausgehen, dass die bisher bekannten Umweltauswirkungen weniger schrecklich sind, als man ursprünglich befürchtet hatte", sagt Short, "vor allem deshalb, weil nur ein kleiner Teil des Öls das Festland erreicht hat." Aber wie wirkt sich das im Wasser verteilte Öl auf den Nachwuchs von Meerestieren aus? "Wir könnten eine ganze Generation von Fischen, Garnelen, Austern und Krebsen verlieren", sagt Deano Bonano, Heimatschutzbeauftragte von Jefferson Parish, einem der von der Ölpest am schwersten getroffenen Gebiete, im US-Bundesstaat Louisiana.
"Der Bericht klang zwar, als ob wir das Schlimmste schon überstanden hätten", so James Cowan. "Doch bevor das jemand mit gutem Gewissen behaupten kann, sollten zunächst ein paar sehr wichtige Fragen beantwortet werden."
© Nature
Aktualisierung am 19. August 2010: Offenbar treibt entgegen anders lautenden Berichten tatsächlich eine ausgedehnte Wolke aus feinsten Ölpartikeln in den Tiefen des Golfs von Mexiko. Lesen Sie die jüngste spektrumdirekt-Meldung Forscher finden riesige Ölwolke im Golf von Mexiko.
Auch wenn Forscher einige der Ergebnisse bestätigen, so bemängelten viele von jenen, die von der Fachzeitschrift Nature (auch Spektrum der Wissenschaft ist Teil der Nature Publishing Group, Anm. d. Red.) dazu befragt wurden, dass der Bericht die großen Unsicherheiten einiger Abschätzungen nicht deutlich macht. James Cowan etwa, Ozeanograph an der Louisiana State University in Baton Rouge, sagt: "Wissenschaftlich gesehen ist er meiner Ansicht nach unhaltbar."
Politische Interessen im Spiel?
Mehrere Forscher fragen außerdem, welche Interessen die Veröffentlichung verfolgte. Offenbar erschien der Bericht gerade zum rechten Zeitpunkt – kurz nachdem es der Ölfirma BP gelungen war, das Bohrloch abzudichten. War die zeitliche Abstimmung eher politisch als wissenschaftlich motiviert?
Seit dem Untergang der Ölplattform sind etwa 0,75 Milliarden Liter Öl aus dem Bohrloch ausgetreten. Der Bericht besagt, dass rund ein Viertel des Öls direkt am Bohrloch aufgefangen, verbrannt oder von der Meeresoberfläche abgeschöpft wurde. Ähnlich viel (rund 24 Prozent) habe sich in Form winziger Tröpfchen im Meer verteilt, entweder aufgrund natürlicher Ursachen oder chemischer Dispersionsmittel. Ein weiteres Viertel verdunstete oder wurde im Meerwasser vollständig gelöst.
Demnach sollte sich der verbleibende Rest des Öls (aus den anderen Daten ergibt sich sein Anteil zu 26 Prozent) noch auf der Meeresoberfläche oder am Ufer befinden. Der größte Teil davon "zersetzt sich schnell oder wird derzeit von den Stränden entfernt", sagte Lubchenco. Ihr zufolge weisen die Zahlen "ein hohes Maß an Zuverlässigkeit" auf. Das im Wasser fein verteilte oder gelöste Öl könne allerdings weiterhin eine Bedrohung für Meereslebewesen darstellen.
Wie groß sind die Unsicherheiten wirklich?
James Cowan ist von der Darstellung nicht überzeugt: "Der Bericht bietet nicht genug Informationen, um irgend jemanden zu überzeugen, der statistisches oder ökologisches Hintergrundwissen besitzt." Jeffrey Short, Umweltchemiker in Juneau im US-Bundesstaat Alaska, sieht die Zahlen ebenfalls skeptisch. Die Menge des Öls, die aufgefangen, verbrannt oder abgeschöpft wurde, sei direkt messbar; also sollte dessen Schätzung verlässlich sein. Aber die anderen Zahlen könnten um einen Faktor zwei oder drei von der Realität abweichen, da zu wenige Daten vorlägen. Short arbeitet für die Umweltschutzorganisation Oceana und war, bevor er die NOAA verließ, an der Leitung der Untersuchung beteiligt, welche die Folgen des Exxon-Valdez-Unglücks im Jahr 1989 ermittelte.
Bill Lehr, einer der Hauptautoren des Berichts und leitender Wissenschaftler der NOAA-Abteilung für Gefahrenabwehr, stimmt zu, dass die Zahlen insbesondere zur Verdunstung des Öls und seiner Verteilung im Meerwasser die am wenigsten gesicherten seien. Er verweist aber darauf, dass das Team für die Studie absichtlich konservative Schätzungen verwendete. Im Bericht selbst wird die Größenordnung der Unsicherheiten jedoch nicht erwähnt, zudem enthält er nur spärliche Informationen darüber, wie die Zahlen berechnet wurden.
Lehr erklärt, dass die Software Oil Budget Calculator, der die Schätzungen entstammen, seit Juni von der US-Küstenwache benutzt werde, um die Schutzmaßnahmen zu planen. Die Küstenwache selbst verfüge über detaillierte Informationen zu den Unsicherheiten. Den jüngsten Bericht kommentiert der Wissenschaftler so: "Es wurde entschieden, die Durchschnittswerte zu veröffentlichen [, ohne die Unsicherheiten anzugeben]. Ob das richtig war oder nicht, darüber lässt sich streiten." Die Software sei vorhanden gewesen, "und wir haben einfach entschieden, sie würde einige der Fragen der Öffentlichkeit beantworten helfen." Die Behörde werde nun so schnell wie möglich einen Bericht zusammenstellen, der die wissenschaftlichen Details ausführen soll.
Jeffrey Short hingegen vermutet hinter der Veröffentlichung politische Motive: "Es entsteht der Eindruck, dass man versucht, ihn zeitlich mit der Abdichtung des Lecks zusammenfallen zu lassen – dass man das Ganze sozusagen mit einem schönen Schleifchen verzieren will."
Eine ganze Generation von Fischen verloren?
Viele Wissenschaftler stimmen mit der Einschätzung überein, dass die biologischen Verluste in den Küstenregionen nicht so groß waren wie befürchtet. "Die meisten von uns dürften im Großen und Ganzen davon ausgehen, dass die bisher bekannten Umweltauswirkungen weniger schrecklich sind, als man ursprünglich befürchtet hatte", sagt Short, "vor allem deshalb, weil nur ein kleiner Teil des Öls das Festland erreicht hat." Aber wie wirkt sich das im Wasser verteilte Öl auf den Nachwuchs von Meerestieren aus? "Wir könnten eine ganze Generation von Fischen, Garnelen, Austern und Krebsen verlieren", sagt Deano Bonano, Heimatschutzbeauftragte von Jefferson Parish, einem der von der Ölpest am schwersten getroffenen Gebiete, im US-Bundesstaat Louisiana.
"Der Bericht klang zwar, als ob wir das Schlimmste schon überstanden hätten", so James Cowan. "Doch bevor das jemand mit gutem Gewissen behaupten kann, sollten zunächst ein paar sehr wichtige Fragen beantwortet werden."
© Nature
Aktualisierung am 19. August 2010: Offenbar treibt entgegen anders lautenden Berichten tatsächlich eine ausgedehnte Wolke aus feinsten Ölpartikeln in den Tiefen des Golfs von Mexiko. Lesen Sie die jüngste spektrumdirekt-Meldung Forscher finden riesige Ölwolke im Golf von Mexiko.
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