Physik: Leben in der Quantenwelt
Die Gesetze der Quantenmechanik beherrschen nicht nur die Welt der Atome und Elementarteilchen, sondern liegen in größerem Maßstab auch der Natur zu Grunde. Vielleicht machen sich sogar Pflanzen bei der Fotosynthese oder Zugvögel bei der Orientierung typische Quanteneffekte zu Nutze.
Die Quantenmechanik gilt allgemein als Theorie für mikroskopisch kleine Gegenstände – Moleküle, Atome, sub-atomare Teilchen. Doch viele Physiker glauben heute, diese Theorie treffe auf alles zu, ob groß oder klein. In den letzten Jahren haben mehrere Experimente Quantenphänomene auch in makroskopischen Systemen beobachtet, beispielsweise in Salzkristallen.
Vor allem die so genannte Verschränkung, ein typischer Quanteneffekt, kann auch in großen Systemen auftreten – vielleicht sogar in lebenden Organismen. Kandidaten für makroskopische Verschränkungen sind die Fotosynthese der Pflanzen und die Magnetfeldwahrnehmung von Vögeln. Das berichtet der serbo-britische Quantenphysiker Vlatko Vedral von der Oxford University in der Septemberausgabe von Spektrum der Wissenschaft.
Für die Physiklehrbücher ist die Sache klar: Die Quantenmechanik beschreibt die Gesetze des -Mikrokosmos. Sie liefert die Theorie für Teilchen, Atome und Moleküle – während für Billardkugeln, Menschen und Planeten die klassische Physik gelten soll. Irgendwo zwischen Molekülen und Billardkugeln liegt damit eine Grenze, an der das seltsame Verhalten der Quantenobjekte in die vertraute Alltagsphysik übergeht. Doch wo liegt diese Grenze?
Diese Aufteilung der Welt ist womöglich allzu simpel. Heute glauben nur wenige Physiker, dass die klassische Physik den gleichen Rang wie die Quantenmechanik beanspruchen darf; sie ist nur eine nützliche Näherung für eine Welt, die in allen Größenordnungen Quanteneigenschaften aufweist. Dass Quanteneffekte in der Makrowelt schwieriger zu erkennen sind, hat nichts mit Größe zu tun, sondern mit der Art und Weise, wie Quantensysteme wechselwirken. In den letzten Jahren haben Physiker mehrfach experimentell belegt, dass auch in makroskopischen Größenordnungen Quantenverhalten auftreten kann.
Doch erste Indizien dafür, dass die Größe nicht entscheidet, lieferte schon 1935 ein berühmtes Gedankenexperiment: Schrödingers Katze. Der österreichische Physiker Erwin Schrödinger (1887 – 1961) wollte damit zeigen, dass Mikro- und Makrowelt eng zusammenhängen und dass es nicht möglich ist, sie zu trennen. Gemäß der Quantenmechanik kann ein radioaktives Atom zugleich einen zerfallenen und einen nicht zerfallenen Zustand einnehmen. Setzt der Atomzerfall über einen Mechanismus Gift frei und tötet eine Katze, gerät das Tier in denselben quantenmechanisch bedingten Zwischenzustand wie das Atom. Dabei spielt die Größe keine Rolle. Das Gedankenexperiment wirft die Frage auf, warum wirkliche Katzen stets entweder lebendig oder tot sind, nie beides zugleich.
Vlatko Vedral führt drei Beispiele für seine These an: Kristalle, Fotosynthese und den Vogelzug. Die meisten Physiker meinten, typische Quantenphänomene würden nur auf der Ebene einzelner Teilchen wirksam; große Teilchencluster benähmen sich klassisch. Doch neue Experimente besagen etwas anderes. Zum Beispiel zeigen die magnetischen Momente der Atome in einem Salzkristall normalerweise in beliebige Richtungen. In einem äußeren Magnetfeld richten sie sich parallel aus – und zwar schneller als von der klassischen Physik vorhergesagt. Anscheinend werden die Spins durch das Phänomen der Verschränkung – die "spukhafte Fernwirkung" zwischen Quantenteilchen – besonders wirksam geordnet.
Ein weiterer biologischer Vorgang, an dem möglicherweise Verschränkung mitwirkt, ist die Fotosynthese, mit der Pflanzen Sonnenlicht in chemische Energie umwandeln. Das einfallende Licht setzt in den Pflanzenzellen Elektronen frei, die daraufhin alle zu ein und demselben Ort gelangen – zum chemischen Reaktionszentrum, wo sie ihre Energie abgeben und die Reaktionen in Gang setzen, welche die Pflanzenzellen mit Energie versorgen. Die klassische Physik kann die nahezu perfekte Effizienz dieses Vorgangs nicht erklären. Experimente mehrerer Forschergruppen legen nahe, dass dieser hohe Wirkungsgrad quantenmechanische Gründe hat. Den dritten Beleg für seine Hypothese sieht der Theoretiker Vedral in den Zugvögeln. Rotkehlchen sind pfiffige kleine Vögel. Im Herbst übersiedeln sie vom frostigen Skandinavien ins warme Afrika und kehren im Frühling wieder zurück. Die gut 10000 Kilometer lange Rundreise bewältigen sie, ohne sich zu verirren.
Menschen haben sich lange gefragt, ob Vögel und andere Tiere einen eingebauten Kompass besitzen. In den 1970er Jahren setzten Forscher Rotkehlchen künstlichen Magnetfeldern aus. Seltsamerweise nahmen die Tiere eine Umkehr der Feldrichtung nicht wahr, konnten also Nord nicht von Süd unterscheiden. Hingegen reagierten sie auf die Inklination des Erdmagnetfelds, das heißt auf den Winkel der Feldlinien zur Erdoberfläche. Das genügt ihnen zur Navigation. Wurden ihre Augen zugeklebt, reagierten die Rotkehlchen jedoch überhaupt nicht auf ein Magnetfeld; somit nehmen die Vögel das Feld irgendwie mit diesen wahr. Im Jahr 2000 behauptete Physiker, diesem Phänomen liege quantenphysikalische Verschränkung zu Grunde. Nach seinem Modell enthält das Vogelauge einen Molekültyp, in dem zwei Elektronen ein verschränktes Paar mit Gesamtspin null bilden. Wenn dieses Molekül sichtbares Licht absorbiert, gewinnen die Elektronen genügend Energie, sich zu trennen und für externe Einflüsse wie das Erdmagnetfeld empfänglich zu werden.
Bei Inklination beeinflusst das Magnetfeld die beiden Elektronen unterschiedlich und erzeugt ein Ungleichgewicht, das die chemische Reaktion des Moleküls verändert. Im Auge wird dieser chemische Unterschied in neuronale Impulse übersetzt; so entsteht schließlich im Vogelgehirn eine Repräsentation des Magnetfelds.
Falls die Quantenmechanik also in allen Größenordnungen gilt, dann hat dies weit reichende Konsequenzen – nicht nur auf mögliche neue Anwendungen, sondern grundsätzlich auf unser Weltbild.
Vor allem die so genannte Verschränkung, ein typischer Quanteneffekt, kann auch in großen Systemen auftreten – vielleicht sogar in lebenden Organismen. Kandidaten für makroskopische Verschränkungen sind die Fotosynthese der Pflanzen und die Magnetfeldwahrnehmung von Vögeln. Das berichtet der serbo-britische Quantenphysiker Vlatko Vedral von der Oxford University in der Septemberausgabe von Spektrum der Wissenschaft.
Für die Physiklehrbücher ist die Sache klar: Die Quantenmechanik beschreibt die Gesetze des -Mikrokosmos. Sie liefert die Theorie für Teilchen, Atome und Moleküle – während für Billardkugeln, Menschen und Planeten die klassische Physik gelten soll. Irgendwo zwischen Molekülen und Billardkugeln liegt damit eine Grenze, an der das seltsame Verhalten der Quantenobjekte in die vertraute Alltagsphysik übergeht. Doch wo liegt diese Grenze?
Diese Aufteilung der Welt ist womöglich allzu simpel. Heute glauben nur wenige Physiker, dass die klassische Physik den gleichen Rang wie die Quantenmechanik beanspruchen darf; sie ist nur eine nützliche Näherung für eine Welt, die in allen Größenordnungen Quanteneigenschaften aufweist. Dass Quanteneffekte in der Makrowelt schwieriger zu erkennen sind, hat nichts mit Größe zu tun, sondern mit der Art und Weise, wie Quantensysteme wechselwirken. In den letzten Jahren haben Physiker mehrfach experimentell belegt, dass auch in makroskopischen Größenordnungen Quantenverhalten auftreten kann.
Doch erste Indizien dafür, dass die Größe nicht entscheidet, lieferte schon 1935 ein berühmtes Gedankenexperiment: Schrödingers Katze. Der österreichische Physiker Erwin Schrödinger (1887 – 1961) wollte damit zeigen, dass Mikro- und Makrowelt eng zusammenhängen und dass es nicht möglich ist, sie zu trennen. Gemäß der Quantenmechanik kann ein radioaktives Atom zugleich einen zerfallenen und einen nicht zerfallenen Zustand einnehmen. Setzt der Atomzerfall über einen Mechanismus Gift frei und tötet eine Katze, gerät das Tier in denselben quantenmechanisch bedingten Zwischenzustand wie das Atom. Dabei spielt die Größe keine Rolle. Das Gedankenexperiment wirft die Frage auf, warum wirkliche Katzen stets entweder lebendig oder tot sind, nie beides zugleich.
Vlatko Vedral führt drei Beispiele für seine These an: Kristalle, Fotosynthese und den Vogelzug. Die meisten Physiker meinten, typische Quantenphänomene würden nur auf der Ebene einzelner Teilchen wirksam; große Teilchencluster benähmen sich klassisch. Doch neue Experimente besagen etwas anderes. Zum Beispiel zeigen die magnetischen Momente der Atome in einem Salzkristall normalerweise in beliebige Richtungen. In einem äußeren Magnetfeld richten sie sich parallel aus – und zwar schneller als von der klassischen Physik vorhergesagt. Anscheinend werden die Spins durch das Phänomen der Verschränkung – die "spukhafte Fernwirkung" zwischen Quantenteilchen – besonders wirksam geordnet.
Ein weiterer biologischer Vorgang, an dem möglicherweise Verschränkung mitwirkt, ist die Fotosynthese, mit der Pflanzen Sonnenlicht in chemische Energie umwandeln. Das einfallende Licht setzt in den Pflanzenzellen Elektronen frei, die daraufhin alle zu ein und demselben Ort gelangen – zum chemischen Reaktionszentrum, wo sie ihre Energie abgeben und die Reaktionen in Gang setzen, welche die Pflanzenzellen mit Energie versorgen. Die klassische Physik kann die nahezu perfekte Effizienz dieses Vorgangs nicht erklären. Experimente mehrerer Forschergruppen legen nahe, dass dieser hohe Wirkungsgrad quantenmechanische Gründe hat. Den dritten Beleg für seine Hypothese sieht der Theoretiker Vedral in den Zugvögeln. Rotkehlchen sind pfiffige kleine Vögel. Im Herbst übersiedeln sie vom frostigen Skandinavien ins warme Afrika und kehren im Frühling wieder zurück. Die gut 10000 Kilometer lange Rundreise bewältigen sie, ohne sich zu verirren.
Menschen haben sich lange gefragt, ob Vögel und andere Tiere einen eingebauten Kompass besitzen. In den 1970er Jahren setzten Forscher Rotkehlchen künstlichen Magnetfeldern aus. Seltsamerweise nahmen die Tiere eine Umkehr der Feldrichtung nicht wahr, konnten also Nord nicht von Süd unterscheiden. Hingegen reagierten sie auf die Inklination des Erdmagnetfelds, das heißt auf den Winkel der Feldlinien zur Erdoberfläche. Das genügt ihnen zur Navigation. Wurden ihre Augen zugeklebt, reagierten die Rotkehlchen jedoch überhaupt nicht auf ein Magnetfeld; somit nehmen die Vögel das Feld irgendwie mit diesen wahr. Im Jahr 2000 behauptete Physiker, diesem Phänomen liege quantenphysikalische Verschränkung zu Grunde. Nach seinem Modell enthält das Vogelauge einen Molekültyp, in dem zwei Elektronen ein verschränktes Paar mit Gesamtspin null bilden. Wenn dieses Molekül sichtbares Licht absorbiert, gewinnen die Elektronen genügend Energie, sich zu trennen und für externe Einflüsse wie das Erdmagnetfeld empfänglich zu werden.
Bei Inklination beeinflusst das Magnetfeld die beiden Elektronen unterschiedlich und erzeugt ein Ungleichgewicht, das die chemische Reaktion des Moleküls verändert. Im Auge wird dieser chemische Unterschied in neuronale Impulse übersetzt; so entsteht schließlich im Vogelgehirn eine Repräsentation des Magnetfelds.
Falls die Quantenmechanik also in allen Größenordnungen gilt, dann hat dies weit reichende Konsequenzen – nicht nur auf mögliche neue Anwendungen, sondern grundsätzlich auf unser Weltbild.
Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, September 2011
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