Plagiate: Letzte Ausfahrt Schadensbegrenzung
Nun ist es also doch passiert: Der zuständige Fakultätsrat der Universität Düsseldorf hat nach eingehender Untersuchung entschieden, Bundesbildungsministerin Annette Schavan den 1980 erworbenen Doktortitel wegen "gravierender Mängel" in der Arbeit wieder zu entziehen. Damit verliert Frau Schavan ihren einzigen akademischen Abschluss.
Nach Prüfung der vorliegenden Berichte und Stellungnahmen des Promotionsausschusses sowie von Frau Schavan selbst, die neben ihrer eigenen weitere zwei erziehungswissenschaftliche Stellungnahmen vorlegte, entschied der Fakultätsrat der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf am Montag mit 13 Ja-Stimmen und zwei Enthaltungen, dass eine vorsätzliche Täuschung durch Plagiat vorliegt. Mit zwölf Ja-Stimmen gegen zwei Nein-Voten und einer Enthaltung beschloss das Gremium außerdem in geheimer Abstimmung, Schavans Promotionsleistung für ungültig zu erklären. In der Doktorarbeit der heutigen Bundesministerin für Bildung und Forschung seien "in bedeutendem Umfang nicht gekennzeichnete wörtliche Übernahmen fremder Texte zu finden" – so hielt es Dekan Bruno Bleckmann in einer Presseerklärung fest. Besonders die "Qualität sowie der Umfang der festgestellten Plagiatsstellen" sprächen gegen Schavan. Der Rat sah es als erwiesen an, "dass die damalige Doktorandin systematisch und vorsätzlich über die gesamte Dissertation verteilt gedankliche Leistungen vorgab, die sie in Wirklichkeit nicht selbst erbracht hatte". Schavan will nun gegen diese Entscheidung klagen; der Titelentzug läge damit zunächst auf Eis.
Unabhängig vom Ausgang eines Gerichtsverfahrens stellt sich freilich die Frage: Kann ausgerechnet eine Bundesforschungsministerin weiter ihr Amt ausüben, wenn die zuständigen Gremien der Wissenschaft den Stab über sie gebrochen haben? Ist sie jetzt noch in der Lage, mit Vertretern der Forschungs- und Bildungsinstitutionen zu verhandeln? Das freilich würden sich manche Spitzenvertreter der großen Wissenschaftsorganisationen wünschen, denn in den letzten Jahren hatte sich Schavan trotz Finanz- und Schuldenkrise stets für Aufstockungen des Forschungsetats stark gemacht – erfolgreich wohlgemerkt. Ohne Belang ist in diesem Zusammenhang, dass sie nach einem Verlust der Promotionswürde ohne akademischen Abschluss dastünde. Frau Schavan hat lange genug in der Bildungspolitik gearbeitet und Beachtliches für die Wissenschaft in Deutschland erreicht; sie könnte dieses Amt ebenso ohne Diplom- oder Magistergrad ausfüllen.
Unabhängig davon ist es eine Leistung des Wissenschaftssystems, wenn es auch in dieser heiklen Personalie die eigenen Standards wahrt. So spielte etwa das "öffentliche Interesse am Schutz der Redlichkeit wissenschaftlichen Qualifikationserwerbs" für den Fakultätsrat eine wichtige Rolle bei der Entscheidungsfindung.
Es wäre zu wünschen, dass der Fall Schavan damit abgeschlossen wäre, wenn auch mit einem Ausgang, den sich manche Wissenschaftsvertreter nicht gewünscht haben. Doch hier liegt gerade das Problem: Es ist der Öffentlichkeit kaum vermittelbar, dass über so elementare Fragen wie die einer korrekten Zitierweise Streit unter den Gelehrten herrscht. Wissenschaft, eine höchst subjektive Angelegenheit?
Denn während der Fakultätsrat sein Urteil gefällt hat, sprechen andere Experten allenfalls von formalen Fehlern, die nicht zu einer Aberkennung der Dissertation führen dürfen – so wie zuletzt etwa der Philosophieprofessor Ludger Honnefelder vom Bonner Albertus-Magnus-Institut gegenüber der "Süddeutschen Zeitung".
Für das Ansehen der Wissenschaft wäre es gut, wenn der Fall der Doktorandin Schavan bald zu den Akten gelegt werden könnte. Dass die Ministerin klagen will, ist freilich ihr gutes Recht – und der Ausgang eines Verfahrens wäre wohl offen. Diese weitere Verzögerung gilt es in einem Rechtsstaat auszuhalten.
Der Rechtsstreit wird sie jedoch viel Kraft und Zeit für die Verteidigung ihres Doktorgrades kosten, was sie politisch lähmt und damit auch den Wissenschaftsstandort Deutschland schwächt. Um Schaden von den deutschen Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen abzuwenden, sollte Frau Schavan daher bis zur Gerichtsentscheidung mindestens ihr Amt ruhen lassen. Alles andere widerspräche den von ihr selbst angemahnten hohen Standards der Wissenschaft.
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