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Das Thema Alter wurde in der Philosophiegeschichte ganz verschieden angegangen. Antike Autoren wie Platon und Cicero verehren den Greis als weise und lebenserfahren, die Existenzphilosophie der Moderne hingegen beklagt das Alter als Phase des zunehmenden geistigen und körperlichen Verfalls – so zum Beispiel der Philosoph Jean Améry (1912-1978). Jenseits von Altersverklärung und Alterspessimismus sollte eine philosophische Auseinandersetzung mit dem Thema aber vor allen Dingen das Altern selbst als conditio humana ernst nehmen und Wege aufzuzeigen, wie es in unser Leben sinnvoll integriert werden kann. Denn irgendwann treffen sie jeden von uns: die Erfahrung von Endlichkeit und Vergänglichkeit des Lebens, die Angst vor Einsamkeit, Krankheit und Tod, die Entfremdung vom eigenen Körper und die Frage nach dem Lebenssinn.

"Alter", betont die Berliner Literaturwissenschaftlerin Silvia Bovenschen, "ist zunehmende Zukunftslosigkeit" – oder, um es in den Worten Karl Valentins zu sagen: "Die Zukunft war früher auch besser." Die Irreversibilität der Zeit wird uns eben besonders beim Älterwerden bewusst. Lebenszeit ist nicht einfach mit der objektiven, durch Uhren zu messenden Zeit gleichzusetzen. In der Kindheit und Jugend scheint die Zeit viel zu langsam zu vergehen, und wir können es kaum erwarten älter zu werden. In der Mitte unseres Lebens fliegt die Zeit, ein Termin jagt den anderen, und wir haben kaum einen ruhige Minute. Als Betagte erleben wir den Alltag dann häufig als eintöniges Wiederkehren von Bekanntem und Vertrautem, oft fehlt die Kraft oder das Geld, Neues zu entdecken. Dennoch kann die verbleibende Lebenszeit subjektiv langsamer fließen und persönlich erfüllender sein, wenn das Erlebte sprachlich – beispielsweise durch Tagebuchaufzeichnungen, malerisch oder musisch festgehalten und reflektiert wird.

Die Frage nach dem Sinn des Lebens ist eine Grundfrage des Menschen, die wir uns in jedem Alter stellen. Angesichts des näher rückenden Lebensendes wird sie jedoch drängender. Zudem verändert sich das Leben selbst meist radikal: Wir scheiden aus dem Berufsleben aus, nahe stehende Personen sterben, unser soziales Netz wird immer brüchiger, und daraus resultiert das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden.

Alter bedeutet heute für viele eine Krise. Diese pessimistische Sichtweise steht im Gegensatz zur Auffassung zahlreicher Philosophen, welche die Reife des Alters schätzen, weil sie die Fähigkeit einschließt, sich in der späten Lebensphase einen Überblick über das eigene Leben zu verschaffen, Zusammenhänge zu erkennen und damit einen individuellen, möglicherweise tieferen Lebenssinn für sich zu gewinnen als in der Jugend. "Die ersten vierzig Jahre unseres Lebens", meinte Arthur Schopenhauer, "liefern den Text, die folgenden dreißig den Kommentar dazu."

Doch nicht nur ältere Menschen profitieren von einer persönlichen Lebensbilanzierung, auch jüngere Generationen ziehen Nutzen aus der Lebenserfahrung der Ältesten einer Gesellschaft. Eine Studie der John Hopkins University in Baltimore aus dem Jahr 2006 ergab, dass ehrenamtlich engagierte Senioren gesünder, aktiver und glücklicher leben – und zugleich Kinder wie Lehrer von Wissen und Lebensweisheit der Alten lernen. Die aktiven Rentner arbeiteten freiwillig in Kindergärten und Schulen, wo sie Geschichten erzählten, bei Hausaufgaben halfen, aber auch Konflikte entschärften oder lösten.

Wir sind vergänglich, und unser Leben ist endlich – das lässt sich nicht philosophisch wegdiskutieren. Doch der drohenden Last des Alters kann man entgegen wirken. Es gibt vielerlei Aufgaben für ältere Menschen, wir müssen sie nur in Anspruch nehmen. Wir brauchen die Erfahrungen der Älteren nicht nur in der Familie oder bei der Kinderbetreuung, sondern auch in Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Politik. Ob jung oder alt – es liegt an uns, das Potenzial jeder Lebensphase zu nutzen.


Literaturtipps

Améry, J.: Über das Altern. Revolte und Resignation. Stuttgart: Klett-Cotta 1968.

Bovenschen, S.: Älter werden. Frankfurt am Main: Fischer 2006.

Cicero: Über das Alter. Ditzingen: Reclam 1998.

Staudinger, U. M., Dittmann-Kohli, F.: Lebenserfahrung und Lebenssinn. In: Baltes, P. B. et al. (Hg.): Alter und Altern. Berlin/New York: Gruyter 1994, S. 408-436.

Tan, E. J. et al.: Volunteering: A Physical Activity Intervention for Older Adults. In: Journal of Urban Health: Bulletin of the New York Academy of Medicine 83(5), 2006, S. 954-969.


Was ist "gesundes" oder "richtiges" Altern? Isabella Heuser, Direktorin der Charité Berlin, und Christian Behl, Biochemiker an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, diskutieren in Gehirn&Geist Juli/August 2007 neue Ansätze zum Umgang mit dem kognitiven Älterwerden.

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