Reportage: Wir schreiben spannende Geschichten
Normalerweise ist die Cafeteria von Spektrum der Wissenschaft in der Heidelberger Slevogtstraße nicht gerade ein Hort der Gemütlichkeit. Ziemlich kühl ist es da im Souterrain und ziemlich kahl. Aber es gibt eine Tischtennisplatte, viel Platz und für die "Wissensschreiber" einen großen Konferenztisch und riesige Bildschirme zum Arbeiten. Eine Redaktion im Kleinen also.
Kein Wunder, denn hier sollen in den nächsten drei Tagen auch die Köpfe rauchen, die Tasten klappern und die Mäuse über die Tische huschen, damit möglichste viele Texte, Fotos und Beiträge für die Webseite von "Spektrum neo" entstehen.
Chefredakteur Carsten Könneker selbst begrüßt den Nachwuchs, der aus Kiel, Stuttgart, Obertshausen, Bad Vilbel und der näheren Umgebung ins Haus gekommen ist. Der Beginn von "Spektrum neo" reicht schon fast 13 Jahre zurück, berichtet er. Damals war er selbst erst seit kurzem Redakteur, aber der Traum eines Wissenschaftsmagazins für Kinder spukte schon in seinem Kopf herum. 2003 hat er sie dann zum ersten Mal in ein Konzept gepackt und aufgeschrieben. Erst einmal ohne große Resonanz in der Spektrum-Familie. Denn so ein neues Produkt birgt immer mit viel Risiko und ist nicht gerade mit geringen Kosten verbunden.
2010 dann "Grünes Licht" und eine Redaktion der bald klar wurde, für große oder kleine Menschen zu schreiben, das sind definitiv zwei paar Stiefel. Deshalb haben sich die Neo-Gründer mit dem Leibniz Institut für Pädagogik der Naturwissenschaften und Mathematik einen starken Partner an die Seite geholt. "Wir wollten nicht im Blindflug unterwegs sein", erinnert sich Carsten Könneker und das war eine gute Idee.
Ebenso wie die, der Wissenschaft richtig auf den Zahn zu fühlen. Nicht nur tolle Forschungsergebnisse interessieren die Neo-Redaktion, sondern auch die Schwierigkeiten, Misserfolge, Kuriositäten, die so im Forscherleben passieren. Und erklärt wird natürlich jede Menge. Ganz zu schweigen von den vielen Bildern, dem kunterbunten Layout und der Konzentration auf ein Schwerpunktthema – all das, was ein bisschen zum Markenzeichen der Zeitschrift geworden ist.
Dafür, dass es nicht nur bei den guten Ideen bleibt, sondern die auch vier Mal im Jahr in ein spannendes Heft umgesetzt werden, sorgt Joachim Retzbach als "Chef vom Dienst". So heißen bei Zeitungen und Zeitschriften die Leute, die alle Fäden in der Hand halten und zu keiner Sekunde den Überblick verlieren dürfen. Wenn das Heft – wie das aktuelle mit dem Titel "Tierisch intelligent" – per Abo oder Handel zu den Lesern kommen, stecken schon drei Monate Arbeit drin. Vom Heftplan angefangen, über die Recherche, Bilder, Interviews, Schreiben, Fotografieren, bis hin zu Layout, Schlussredaktion und Marketing.
Ganz wichtig sind die Bilder. Das weiß niemand besser als Claus Schäfer, der alles miteinander dann im so genannten Layout zusammenbastelt. Er ist von Beruf Mediengestalter und demonstriert den "Wissensschreibern" eindrücklich, wie aus einer Buchstabenwüste ein quicklebendiger Neo-Artikel wird.
Da ist wirklich jede Menge zu beachten. Die Überschrift muss fetzen, der richtige Schrifttyp gewählt werden, die Absätze sollen sinnvoll sein und natürlich die Bildauswahl muss stimmen. Da auch die "Wissensschreiber" zu "Wissensfotografen" werden, gibt es anschließend eine kleine Fotoschule mit Claus. Nicht ohne Erfolg, wie die Fotos am Ende zeigen. Mit von der Partie sind auch die anderen Teile des Verlags, ohne die "Spektrum neo" schlicht nicht vorstellbar wäre. Interviewt von den "Wissensschreibern" erklären Vertreterinnen und Vertreter aus Bildredaktion, Layout, Marketing und Schlussredaktion, was ihnen an ihrer Arbeit gefällt und was sie manchmal ganz schön knifflig macht.
Mike Beckers hat Physik studiert und ist heute Redakteur bei "Spektrum der Wissenschaft". Er weiß ziemlich genau, wie man gute Artikel schreibt und hat das für "Spektrum neo" schon oft unter Beweis gestellt. "Wir schreiben spannende Geschichten", das ist die goldene Regel, die er dem Nachwuchs an die Hand gibt. Dann erläutert er noch den Unterschied zwischen Bericht (aus der Vogelperspektive, Überblick über das Thema, mit Distanz geschrieben und viel Information versehen, eher objektiv), Reportage (Spannender Zugang zu ungewöhnlichen Themen, lebendig mit Liebe zum Detail, Leser hat das Gefühl, dabei gewesen zu sein) und Interview (Rede und Antwort, der Experte darf erzählen, ist sehr glaubwürdig, muss vor Veröffentlichung autorisiert werden).
Seine Tipps sind eigentlich für alle eine gute Gedächtnisstütze:
-Informiert euch gut
-Seid aufmerksam!
-Seid mutig!
-Merkt euch Details!
Mit Christoph Böhmert, der Redakteur bei "Gehirn und Geist" war und jetzt an der Karlsruher Universität Studierende in Sachen Wissenschaftsjournalismus unterrichtet, geht’s noch einen Schritt weiter. Er erklärt, dass Recherche nicht nur das manchmal mühselige Beschaffen von Wissen ist, sondern dass es dabei ganz viele Hilfsmittel gibt. Aber, wie finde ich eine gute Quelle? Was taugen Google und Wikipedia? Und was für einen Plan brauche ich? Christoph rät zum Mindmap. Das sieht aus wie eine Art Spinnennetz auf einem Blatt Papier, gespickt mit all dem, was wir wissen und vor allem, was wir wissen wollen.
Am nächsten Tag, bevor die Reporter richtig ans Schreiben gehen, schiebt er dann noch Basiswissen nach. Beispiele gefällig? "Zwei Gedanken, zwei Sätze", gehört dazu oder "aktiv statt passiv" und "Verben statt Nomen". Auch den Füll- und Fachwörtern sagt er den Kampf an und die "Wissensschreiber" sind bald richtig gut darin, wahre Wortmonstersätze in kleine appetitliche Portionen zu zerhacken. Zuvor lernen sie aber noch, was ein "Küchenzuruf" darstellt. Das ist ein etwas altmodischer Begriff aus der Zeit, als die Eltern der "Wissensschreiber" noch klein waren und beinhaltet die wichtigste Botschaft, auf die man einen Artikel zusammenfassen kann. Die wiederum könnte jemand bequem aus dem Wohnzimmer in die Küche rufen. Oder über den Schulhof in der Pause, weshalb Christoph Böhmert den Begriff zum "Pausenzuruf" umformuliert.
Ohne Stoff, keine Story, das gilt auch bei den "Wissensschreibern". Deshalb wurden schon am ersten Tag vier Themen ausgeguckt und dazu Teams gebildet. Während das eine sich auf die Spur der malenden Affen (Link) setzte, hatte sich ein weiteres die Elefanten-Wohngemeinschaft (Link) vorgenommen, das dritte Team interessierte sich für den Artenschutz (Link), der im Heidelberger Tiergarten betrieben wird und das vierte für das Training der Mähnenrobben (Link).
Mit Steffanie Richter – für Öffentlichkeitsarbeit und Marketing zuständig – und Daniela Vogt von der Zooschule stehen an diesem Morgen die richtigen Frauen parat, die "Wissensschreibern" mit Informationen zu füttern. Das ist auch sonst ihre Aufgabe, sie versorgen die Medien, aber auch Zoobesucher allen Alters mit spannenden Fakten rund um Tiere und Tiergarten.
Was sind die die Aufgaben eines Zoos? Die meisten Antworten kommen wie aus der Pistole geschossen: Information, Bildung, Tiere vor Ausrottung zu bewahren, aber auch Erholung und Forschung. Weniger bekannt ist, dass das Zuchtbuch für alle asiatischen Goldkatzen, die es in Europa gibt, in Heidelberg geführt wird. Darin ist vermerkt, welches Tier mit welchem verwandt ist, wie alt es ist und wo es lebt.
Über dem Gehege lautes Geklapper: Das sind die Störche, die hier ein neues Zuhause gefunden haben. Eingesperrt sind sie nicht, vielmehr haben sie ganz freiwillig ihre Nester gebaut. Nicht weiter erstaunlich, besseren Fisch gibt es weit und breit nirgendwo.
Immer häufiger, weiß Daniela Vogt, werden im Zoo Lebensgemeinschaften angestrebt. Der kleine Panda, der sich ins hohe Geäst eines Nussbaums gekuschelt hat, teilt sich das Gehege mit Schildkröten und Schopfhirsch. Unweit davon bilden Waschbären und Stachelschwein eine Gemeinschaft.
Warum gelten die Trampeltiere (zweihöckrige Kamele im Gegensatz zu den einhöckrigen Dromedaren) als eines der gefährlichsten Zootiere überhaupt? Darauf kommt niemand so schnell. Des Rätsels Lösung ist eine Hornplatte zwischen den Vorderbeinen in der Größe eines Tellers. Die ist eigentlich dafür gedacht, dass sie sich auch im heißen Wüstensand ablegen können, ohne sich das Fell zu verbrennen. Die stattlichen Tiere benützen das aber auch dazu, schwächere Gegner platt zu machen, indem sie sich einfach drauf legen. Tun sie das bei einem Tierpfleger, kann das bei 400 Kilogramm Lebendgewicht der Trampeltiere tödlich enden.
Die "Wissensschreiber" lernen nicht nur, wie Tiere gehalten werden müssen, sondern auch einiges über ihre Vorlieben und Abneigungen. So reicht bei den wasserscheuen Löwen beispielsweise ein Wassergraben als Grenze. Bei den Tigern wäre das höchst gefährlich. Sie sind ausgezeichnete Schwimmer. Auch, was es bedeutet, wenn ein Zoo davon berichtet "1,2,3 Löwen zu haben", begreifen die Nachwuchs-Journalisten schnell. Im Klartext heißt das: Hier gibt es einen männlichen und einen weiblichen Löwen sowie drei Jungtiere. Der Löwenmann in Heidelberg ist nicht leicht zu erkennen, denn er verfügt über keine Mähne mehr. Grund ist, dass er kastriert wurde, dann fallen dem König der Steppe die Mähnenhaare aus.
Spielsachen gegen Langeweile haben fast alle Tiere im Heidelberger Zoo. Da wird Futter drin versteckt oder auch mal Gewürze versprüht, die sie dann übermarkieren. "Leben im Zoo ist wie im Hotel", erklärt dazu Daniela Vogt, "keine Feinde, genug zu fressen, aber manchmal fehlt die Abwechslung". Wie die Unterhaltung praktisch aussieht, erfahren die Reporter beim Training der Mähnenrobben (Link zum Interview). Hier wird auch deutlich, dass im Heidelberger Zoo alle Aktivitäten freiwillig geschehen und niemand gezwungen wird, wenn er gerade andere Dinge im Kopf hat.
Das gilt auch für die Kinder in der Zooschule. Sie sind in den Ferien freiwillig da, um jede Menge Dinge zu lernen. Zwischen Terrarien mit Stabheuschrecken, Vogelspinnen, Achatschnecken und Vogelfedern ist das Domizil untergebracht. Vor allem Schülerinnen und Schüler nützen die Camps, bei denen manchmal auch im Tiergarten übernachtet wird.
Was habt ihr gelernt? Wollen die „Wissensschreiber“ von den "Zooschülern" wissen. "Wie Bären und Affen leben. Was sie für Futter brauchen. Warum sie in freier Natur bedroht sind", lauten die Beispiele. Aber es gibt nicht nur Theorie, sondern auch ganz viel Praxis. Eisbomben aus Orangen und Fleisch haben die Jungen und Mädchen mit Hilfe der Tierpfleger und der großen Kühlkammer für die syrischen Bären gemacht und natürlich auch schon Käfige und Gehege gereinigt.
Am dritten und letzten Tag steht dann in der Stadtbücherei Heidelberg eine Vertiefung des Wissens an. Ob Zeitungsarchiv, Schlag- oder Stichworte, Lexika oder Überblicksbücher. Christiane Eisel weiß, wie man mit detektivischem Spürsinn die letzten Fragen seiner Recherche in den Griff bekommt. "Ich sehe, ich habe es hier mit Profis zu tun", das sagt die Bücherexpertin gleich mehrmals. Nach zwei Stunden lautet die Devise aber ganz eindeutig: "Zurück an die Bildschirme. Der Redaktionsschluss wartet nicht!"
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