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Wie wir uns entscheiden

Bleiben oder gehen? Bremsen oder beschleunigen? Reden oder schweigen? Es zählt zum Wesen menschlichen Handelns, sich immer wieder entscheiden zu können. Das betrifft nicht nur spontane Aktionen, sondern auch größere, planvollere: Was will ich studieren? Mit wem will ich zusammenleben? Wo will ich wohnen? Unser subjektives Gefühl von Freiheit und Selbstverwirklichung ist eng verbunden mit dem Erlebnis, zwischen verschiedenen Optionen "frei" wählen zu können.

Der Bremer Hirnforscher Gerhard Roth legt zusammen mit dem Frankfurter Philosophen Klaus-Jürgen Grün und dem Publizisten Michel Friedman bereits zum dritten Mal den Sammelband einer Tagung zum Thema Hirnforschung und Gesellschaft vor. Während die Themen der früheren Bände "Gehirn und Freiheit" und "Entmoralisierung des Rechts – Maßstäbe der Hirnforschung für das Strafrecht" waren, geht es diesmal generell um Entscheidungen.

Unvermeidlich werden darin die grundsätzlichen Aspekte angesprochen, die menschliches Handeln kennzeichnen: Rationalität und Gefühle, Vernunft und Ökonomie, Moral und Ethik, Schuld und Verantwortung. Wer wüsste nicht gerne, wie das alles zusammenhängt, wie es uns beeinflusst, steuert und dennoch (angeblich) frei und verantwortlich entscheiden lässt? Der schmale Band liefert Einordnungen, klärt Zusammenhänge und gibt viele nützliche Hinweise, ohne ein Ratgeber sein zu wollen. Vor allem lehrt er uns, dass unser Handeln seine Ursachen "in unserer biologischen und oft unbewusst wirkenden Natur" hat und in "dem Bewusstsein nicht zugänglichen Hirnarealen maßgeblich" vorbereitet wird.

Gerhard Roths besonders erhellender Beitrag widmet sich der Frage, wie man denn die beste Entscheidung finden könne im Spannungsfeld zwischen "Verstand und Gefühl". Das kommt – wen wundert’s – auf die Art der Entscheidung an. Automatisierte Entscheidungen laufen eben anders ab als "reflektierte" oder "aufgeschobene intuitive". Roth betont, dass die Frage nicht auf die Alternative zwischen einem rationalen und einem irrationalen Verhalten hinausläuft. "Es handelt sich um zwei verschiedene Arten von Logik und Erfahrung."

Es mag manchen enttäuschen, aber bei einem so komplexen Vorgang wie dem Entscheiden ist unser "bewusstes Ich nur teilweise beteiligt". Auch die weiteren Beiträge tragen dazu bei, unser Bild bedingungsloser Wahlfreiheit zu relativieren. So wird über Frans de Waals Arbeiten zur Moralität von Primaten berichtet. Der Verhaltensforscher macht klar, dass es in der Geschichte der Evolution des Menschen einen Zustand ohne Moral und Kultur nie gegeben habe. Moralisches Verhalten ist demnach bei menschlichen wie nichtmenschlichen Primaten verankert. Ein Buch zum Nachdenken – über sich und andere Tiere.

  • Quellen
Spektrum der Wissenschaft 5/2011

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