Serie Teil 2: Die Botschaft des Genoms: p53 Selbstmordknopf für defekte Zellen
In mehr als der Hälfte aller menschlichen Tumoren findet sich eine durch Genmutation untauglich gewordene Variante des Proteins p53. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sich Krebsforscher geradezu besessen darum bemühen, seine Funktion bis ins letzte Detail zu ergründen. Und in jüngster Zeit sieht es tatsächlich so aus, als würde ihre Mühe belohnt.
Obwohl p53 nur ein paar millionstel Millimeter misst, ist es im Vergleich mit vielen anderen Proteinen relativ groß. Es besteht aus vier identischen Molekülketten. Jede davon ist aus 393 Aminosäurebausteinen geknüpft und faltet sich zu einer Perlenschnur mit vier Perlen auf, den so genannten Domänen. Zusammen bilden die vier Ketten einen jener äußerst wichtigen Schalter, die entscheiden, welche Gene von einer bestimmten Zelle gerade genutzt ("exprimiert") werden und welche nicht. Fachsprachlich heißen diese Schalter Transkriptionsfaktoren, weil sie das Anfertigen von Gen-Abschriften steuern, die für die Übersetzung der Erbinformation in das zugehörige Protein erforderlich sind.
Warum ist der p53-Schalter so wichtig und sein Ausfall so verheerend? Das liegt unter anderem daran, dass er eine Schlüsselposition im Zellgeschehen einnimmt, indem er eine Reihe von wichtigen Eingangssignalen mit einer Anzahl folgenschwerer Ausgangsbefehle verbindet. Die bisher bekannten Eingangssignale haben alle etwas mit Zellstress zu tun. Die meisten berichten, dass die DNA in einer bestimmten Weise beschädigt ist. Dann sorgt p53 dafür, dass andere Proteine gebildet werden, die im Endeffekt dazu beitragen, den Schaden zu repa-rieren, den Vermehrungszyklus der Zelle anzuhalten oder die Zelle sogar zum planmäßigen Selbstmord (Apoptose) zu veranlassen. Grob vereinfacht gesagt, hindert p53 genetisch geschädigte Zellen daran, sich zu vermehren. Diese Funktion kann in vielen Fällen die Entstehung von Krebs verhindern.
Ob die Zellen eines bestimmten Tumors intaktes p53 besitzen oder nicht, kann auch ein Indiz für die Heilungschancen sein. So lassen sich Hodenkrebs und Kinderleukämie, bei denen p53 normalerweise unversehrt ist, oft mit Chemotherapie erfolgreich bekämpfen. Tumorzellen im Lungen- und Hautkrebs haben den Tumorwächter dagegen meist außer Gefecht gesetzt und sind mit Radio- oder Chemotherapie allein nicht heilbar. In solchen Fällen könnte eine neue Methode Wunder wirken, die derzeit klinisch erprobt wird. Sie arbeitet mit einem Virus, das so manipuliert wurde, dass es ausschließlich Zellen angreift und vernichtet, denen die p53-Funktion fehlt.
Umgekehrt könnte bei Krebsarten, die auf Radio- oder Chemothe-rapie ansprechen, ein Hemmstoff gegen p53 die Nebenwirkungen der Behandlung lindern. Experimente mit Mäusen haben gezeigt, dass die kurzfristige Blockade des Schalters während der Therapie das Krebsrisiko in gesunden Geweben nicht erhöht. Allerdings versteht man dieses Phänomen noch nicht richtig, sodass eine klinische Anwendung vorerst in weiter Ferne liegt.
Die noch genauere Erforschung aller Funktionen und Signalwege, an denen p53 mitwirkt, ist jedenfalls einer der vielversprechendsten Wege, vielleicht in einigen Jahrzehnten zu Heilmitteln gegen alle Krebsarten zu gelangen.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 11 / 2000, Seite 14
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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