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Sinnesphysiologie: Sechster Sinn der Haifische

Studienergebnisse zum extrem feinen Elektrosinn der Haie könnten diese Beobachtung erklären: Attackiert der Raubfisch einen Menschen und kommt ein Rettungsschwimmer zu Hilfe, dann erlebt man nicht selten, dass der Hai die zweite Person in Ruhe lässt und nur weiterhin sein erstes Opfer angreift. Wie unterscheidet der Hai die beiden Menschen im verwirbelten, von Blut trüben Wasser?
Der amerikanische Neurobiologe R. Douglas Fields von den Nationalen Gesundheitsinstituten in Bethesda (Maryland) hat gemeinsam mit Kollegen Haifischangriffe auf offener See provoziert. Aus einem Loch im Boden ihres Spezialbootes ließen die Forscher zermahlenen rohen Fisch tropfen. Es dauerte nicht lange, bis Blauhaie unter dem Boot kreisten. Dann stieß plötzlich eine silberne Schnauze durch die Öffnung – und packte zu!

Doch die Wissenschaftler führten ihre Forschungsobjekte geschickt in die Irre: Sie hatten an dem Loch im Boot Elektroden angebracht, die sie kurz vorher anschalteten. Wie gewünscht biss der Hai in das Metall einer angeschalteten Elektrode – und nicht in den Behälter, aus dem der Fischbrei tröpfelte.

Diese Szene beschreibt Douglas in der November-Ausgabe von „Spektrum der Wissenschaft“. Die Forscher wollten herausfinden, wozu Haifische ihren elektrischen Sinn im Ozean einsetzen. Erst vor wenigen Jahrzehnten haben Sinnesphysiologen überhaupt diese Wahrnehmung bei den Knorpelfischen entdeckt. Seitdem bemühen sie sich darum, ihren Zweck zu verstehen.

Douglas skizziert die Forschungsgeschichte. Merkwürdige Strukturen in der Kopfhaut von Haien beschrieb ein italienischer Anatom zwar schon im 17. Jahrhundert. Dass es sich dabei anscheinend um ein Sinnesorgan handelt, merkten Kollegen Ende des 19. Jahrhunderts. Sie verstanden die Bedeutung aber nicht.

Vor rund 30 Jahren schließlich erkannte ein niederländischer Wissenschaftler, dass Haie die äußerst schwachen, mit Instrumenten fast nicht messbaren elektrischen Felder bemerken, die jedes lebende Tier fortwährend im Wasser erzeugt – so durch seinen Herzmuskel und durch seine Körpermuskulatur. Haifische, aber auch Rochen und Chimären, andere Knorpelfische, spüren zum Beispiel ohne weiteres reglose, im Boden vergrabene Tiere auf. Ihre elektrische Wahrnehmung ist unglaublich empfindlich. Ein Hai, rechnet Douglas vor, würde es spüren, wenn eine 1,5 Volt-Batterie angeschaltet würde, deren einer Pol im Atlantik vor New York und deren anderer vor Florida eingetaucht wäre.

Auf diesen Sinn verlässt der Raubfisch sich offenbar im Augenblick des Angriffs. Augen, Nase, Gehör, auch sein Strömungssinn könnten in dem Durcheinander wohl trügen. Die feine Elektrowahrnehmung aber bleibt verlässlich. Und wenn die Beute schon blutet, ist die Wunde der sicherste – und für den Hai am leichtesten feststellbare Ort, wo Zubeißen lohnt.

Abdruck honorarfrei bei Quellenangabe: Spektrum der Wissenschaft, 11/2007
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