Soziobiologie: Hölldobler und der Superorganismus
Beinahe ging alles schief: Nur zwei Stunden vor dem Halbfinalspiel der deutschen Fußballer bei der Weltmeisterschaft trat Bert Hölldobler zum Vortrag in Heidelberg an. Schon dreimal habe er in diesen Wochen Vorträge gehalten, wenn danach die deutsche Mannschaft spielte, berichtet der Verhaltensforscher vergnügt. Mal habe sie verloren, mal knapp gewonnen. "Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen!"
Das wichtigste Funktionsprinzip, auf dem diese hochentwickelten Sozietäten basieren, ist die Kommunikation. "Ich sage sogar: Leben ist Kommunikation", ruft Hölldobler den gebannt lauschenden Zuhörern zu. Ameisen haben im Laufe der Evolution sogar das soziale Leben erfunden, vor etwa 150 Millionen Jahren schon.
Sie nutzen elaborierte Cocktails von Duftstoffen, um ihre Wege zu markieren – flüchtige, um schnell zu einer Futterstelle oder einem bedrohlichen Feind zu gelangen, dauerhafte, um den Weg zum Nest zurückzufinden. Hölldobler hat selbst hat zahlreiche Rätsel dieser Chemiekommunikation aufgeklärt.
Leben im Sozialstaat
Die Sozialsysteme der Ameisen sind charakterisiert durch eine markante Arbeitsteilung. Auf der einen Seite reproduktive Tiere wie die Königin. Je nach Art kann sie bis zu 20 Jahre leben und in dieser Zeit vielleicht 150 Millionen Nachkommen hervorbringen. Auch das schier ein Wunder: Erst paart sich die Königin mit mehreren Männchen, dann konserviert sie per Chemie den Vorrat an 300 Millionen Samen bei tropischen Temperaturen über die Jahre hinweg. Menschen gelingt das höchstens in Tiefkühlbehältern und mit Hilfe von flüssigem Stickstoff.
Die Soldatenameisen tasten sich ab und registrieren, ob es sich um Nestverwandte oder Feinde handelt. Stellen sie dabei etwa fest, dass sie der anderen "Mannschaft" zahlenmäßig unterlegen sind, holen sie rasch Verstärkung aus dem Heimnest. "Natürlich zählen die Ameisen ihre Feinde nicht, aber die Hemmschwelle zu Flucht oder Eskalation steigt mit jeder Feindberührung."
Als er einmal an der Harvard University, wo der Ethologe lange Professor war, einen Vortrag über dieses Thema hielt, sprachen ihn hinterher Ethnologen an: Er solle sich doch dringend einmal die so genannten "Nothing Fights" bestimmter eingeborener Stämme ansehen. Das sind ritualhafte Kämpfe, bei denen aber kein Blut fließt. Da treffen sich Stammesvertreter auf einer Wiese, schütteln ihre Speere und beschimpfen einander stundenlang – und wenn die Sonne sinkt, kehrt jeder wieder zurück in seine Hütte.
An dem Abend verloren dann die deutschen Fußballer in Südafrika gegen die Spanier. Ob es doch an dem Ameisenforscher lag?
Reinhard Breuer ist Chefredakteur von Spektrum der Wissenschaft.
Das Publikum ließ sich nicht irritieren: der Saal war voll! Und wurde sogleich belohnt – mit tiefsinnigen, launigen bis zum Teil absurden Geschichten über das Treiben der Ameisen in ihren Staaten. Dargestellt hat der gebürtige Oberbayer sein Weltwissen über seine Forschungen in dem Buch Der Superorganismus, das er im letzten Jahr zusammen mit dem ebenso berühmten Soziobiologen Edward O. Wilson publizierte.
"Ameisen gehören mit zu den wichtigsten ökologischen Organismen", verkündet Hölldobler gleich zu Beginn. 14 000 Arten sind bekannt, fast doppelt so viele werden vermutet. Alle geschätzten 1015 Ameisen der Welt zusammen ergeben ungefähr ein Trockengewicht, das dem Gewicht aller Menschen entspricht. All diese Hautflügler leben "eusozial", es gibt keine solitär lebende Ameisenart, und ihre Völker können Millionen Mitglieder umfassen. In der Tierwelt stellen sie die wesentlichen Bodenumwälzer, Räuber und Herbivoren.
Das wichtigste Funktionsprinzip, auf dem diese hochentwickelten Sozietäten basieren, ist die Kommunikation. "Ich sage sogar: Leben ist Kommunikation", ruft Hölldobler den gebannt lauschenden Zuhörern zu. Ameisen haben im Laufe der Evolution sogar das soziale Leben erfunden, vor etwa 150 Millionen Jahren schon.
Sie nutzen elaborierte Cocktails von Duftstoffen, um ihre Wege zu markieren – flüchtige, um schnell zu einer Futterstelle oder einem bedrohlichen Feind zu gelangen, dauerhafte, um den Weg zum Nest zurückzufinden. Hölldobler hat selbst hat zahlreiche Rätsel dieser Chemiekommunikation aufgeklärt.
Leben im Sozialstaat
Die Sozialsysteme der Ameisen sind charakterisiert durch eine markante Arbeitsteilung. Auf der einen Seite reproduktive Tiere wie die Königin. Je nach Art kann sie bis zu 20 Jahre leben und in dieser Zeit vielleicht 150 Millionen Nachkommen hervorbringen. Auch das schier ein Wunder: Erst paart sich die Königin mit mehreren Männchen, dann konserviert sie per Chemie den Vorrat an 300 Millionen Samen bei tropischen Temperaturen über die Jahre hinweg. Menschen gelingt das höchstens in Tiefkühlbehältern und mit Hilfe von flüssigem Stickstoff.
Im aktuellen Fokus von Hölldoblers Forschung, der bis zur Emeritierung in Würzburg und seither an der Arizona State University arbeitet, stehen derzeit offenbar Ameisenturniere. Turniere? Ja, es klingt schier unglaublich, aber benachbarte Ameisenvölker kontaktieren einander andauernd und messen dabei sozusagen ihre Kräfte.
Die Soldatenameisen tasten sich ab und registrieren, ob es sich um Nestverwandte oder Feinde handelt. Stellen sie dabei etwa fest, dass sie der anderen "Mannschaft" zahlenmäßig unterlegen sind, holen sie rasch Verstärkung aus dem Heimnest. "Natürlich zählen die Ameisen ihre Feinde nicht, aber die Hemmschwelle zu Flucht oder Eskalation steigt mit jeder Feindberührung."
Gelingt es nämlich einmal nicht, genügend Nachschub zu holen, dann fällt dies den Gegnern bald auf. Sie eskalieren und planen dann schon mal einen Überfall, bei dem die Königin getötet, die Larven und Vorräte geraubt und ins eigene Nest überführt werden. "Diese Turniere sind Kommunikationszonen", sagt Hölldobler. Dabei werden auch Territorien und Ressourcen verteilt. Das beginnt morgens um sieben, und abends geht jeder wieder nach Hause.
Als er einmal an der Harvard University, wo der Ethologe lange Professor war, einen Vortrag über dieses Thema hielt, sprachen ihn hinterher Ethnologen an: Er solle sich doch dringend einmal die so genannten "Nothing Fights" bestimmter eingeborener Stämme ansehen. Das sind ritualhafte Kämpfe, bei denen aber kein Blut fließt. Da treffen sich Stammesvertreter auf einer Wiese, schütteln ihre Speere und beschimpfen einander stundenlang – und wenn die Sonne sinkt, kehrt jeder wieder zurück in seine Hütte.
"Natürlich behaupt ich nicht, dass sich hier die biologische Evolution von der Ameise bis zu Stammesritualen zieht." Aber die Natur hat für ähnliche Aufgaben immer wieder auch verwandte Lösungen entwickelt – völlig unabhängig voneinander.
An dem Abend verloren dann die deutschen Fußballer in Südafrika gegen die Spanier. Ob es doch an dem Ameisenforscher lag?
Reinhard Breuer ist Chefredakteur von Spektrum der Wissenschaft.
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