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Kommentare - - Seite 987

Ihre Beiträge sind uns willkommen! Schreiben Sie uns Ihre Fragen und Anregungen, Ihre Kritik oder Zustimmung. Wir veröffentlichen hier laufend Ihre aktuellen Zuschriften.
  • Springers Abduktion

    02.08.2010, Bernhard Becker, Duisburg
    Michael Springer ist der Auffassung, die Tatsache, „dass seit Beginn der Industrialisierung der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre gestiegen ist und dass im selben Zeitraum auch die mittlere globale Temperatur zugenommen hat“ berechtige zu der Schlußfolgerung, „dass die globale Erwärmung existiert und von Menschen verursacht wird.“ Dabei ist der erste Teil banal, indem der Zunahme der mittleren globalen Temperatur einfach nur das (überflüssige) Prädikat zuerkannt wird, dass sie „existiert“. Der zweite Teil stellt freilich eine verdeckte Abduktion dar: den Schluss vom Resultat und der (hypothetisch unterstellten) Regel auf den Fall. Denn die Temperatur ist ja auch seit der Erklärung der Menschenrechte, der Verfolgung der Onanie oder dem Ende des „Heiligen römischen Reiches deutscher Nation“ gestiegen, Ereignisse, die aber – obwohl zeitgleich – als „Ursachen“ offenbar nicht in Frage kommen. Das Bild rauchender Industrieschlote dagegen scheint so plausibel, dass die unterstellte Regel: „Industrialisierung führt zu globaler Erwärmung“ ohne weiteren Beweis akzeptiert wird.
    In der Logik führe dieser „synthetische“ Schlußmodus zwar, so Peirce, „indem wir eine Induktion völlig über die Grenzen unserer Erfahrung ausweiten“ zu einer kreativen Hypothesenbildung, die vor allen in Kriminalromanen sehr beliebt ist (und hier auch gar nicht bestritten werden soll). Doch wie man seit Hume wissen könnte, reicht das leider nicht für die Behauptung, X sei durch Y „verursacht“. Denn erst wenn die Billardkugel A immer wieder auf die Kugel B trifft – so Humes Argumentation – und diese sich daraufhin stets auf die gleiche Weise bewegt, sei es erlaubt, von „Verursachung“ zu reden, obwohl man beim x-ten Mal auch nicht mehr sieht als beim ersten Mal: nämlich bloß eine zeitliche Reihenfolge. Also: bei wie vielen Industrialisierungen hat es bereits eine Erderwärmung gegeben – oder: welche weiteren uns aus der Erdgeschichte bekannten Wärmeperioden waren „von Menschen verursacht“?
    Das tatsächliche Problem kommt aber erst noch: Bei einer Billardkugel macht es, wie nicht nur Billardspieler wissen, durchaus Sinn, sie wissenschaftlich als „Ursache“ anzusehen, bei mehreren Milliarden von „Menschen“ zu verschiedensten Zeiten (oder gar dem berüchtigten Kollektivsingular: „der“ Mensch) jedoch nicht mehr: denn dieses „reduktionistische Motivkonzept“ , so Luhmann, versuche einfach nur „die Einheit des Systems auf der Ebene von Individualmotiven zu konstruieren“. Es möchte also die vertraute Fiktion der Aufklärung retten, es seien „doch immer Menschen, Individuen, Subjekte, die handeln“. Dass „der“ Mensch, nachdem er seine Verursacherrolle durchschaut hat, nun mit Hilfe dieses neuen Wissens alles zum Besseren wenden könne, ist freilich ungefähr so naiv wie die Annahme, wer einen Krieg anfange, könne ihn auch nach Belieben wieder beenden. Denn wäre hier der Spieler (bzw. handelndes „Subjekt“): ein fiktiver Weltgeist, der den Leviathan „Gesellschaft“ lenken könnte?
    Klimaskeptiker wie -retter ertragen darum, so meine These, etwas ganz anderes nicht: dass nämlich durchaus eines Tages, so Adorno, die Welt „von einer Allheit in Brand gesetzt wird, die sie selber sind und über die sie nichts vermögen.“ Vielleicht – so meine Hoffnung – schaffen „wir“ aber nicht einmal das und der von Weltrettungs- wie Untergangsutopien geplagte Einzelmensch könnte sich endlich auf das konzentrieren, was Kant zufolge seine erste und vordinglichste Pflicht ist: das Gute zu tun, „das durch mich getan werden kann“ – in diesem Fall also: den Lesern eine bedenkenswerte Induktion nicht als zwingende Deduktion zu präsentieren. Denn selbst, wenn dadurch nicht die Welt gerettet werden könnte, würde es sie doch zu einer besseren machen.
  • Den Bock zum Gärtner gemacht

    31.07.2010, Max Feierabend, Berlin
    Mit großem Interesse habe ich die Rezension zu Alexander Unzickers Buch, das ich selbst gelesen habe, zur Kenntnis genommen. Stutzig wurde ich nicht nur, als mir klar wurde, dass der Rezensent offenbar eine andere Ausgabe von "Vom Urknall zum Durchknall" vor sich gehabt haben muss, als er seinen Artikel geschrieben hat. Es war schließlich der folgende Absatz, der mich an der Qualität dieser Buchbesprechung zweifeln ließ:
    "Er glaubt jedoch, dass die Naturgesetze von der 'kosmologischen Evolution' nicht ausgenommen sind – und damit die Gravitationskonstante auch nicht. Das ist auch meine Überzeugung. Alles andere würde einen platonischen Naturgesetzeshimmel voraussetzen, der schon immer und ewig existierte und existieren wird."
    Der Rezensent Egbert Scheunemann präsentiert sich im Folgenden als bekennender Einsteingegner. Und so gestaltet sich auch der Rest seines Textes, der in einem renommierten Wissenschaftsmagazin wie SdW mehr als fehl am Platze ist. Die klammheimliche Freude, die Scheunemann mit seinen falschen Deutungen der kosmischen Hintergrundstrahlung als "absolutes Bezugssystem" mit vielen unorthodoxen Kritikern der Relativitätstheorien teilt, weist weiter darauf hin, dass man die Besprechung solcher Bücher nur ausgewiesenen Experten überlassen sollte. Und keinen Außenseitern, die selbst Bücher wie "Irrte Einstein? Skeptische Gedanken zur Relativitätstheorie – (fast immer) allgemeinverständlich formuliert" verbrochen haben.

    Was die Redaktion von SdW geritten haben mag, als sie diese Rezension durchgewunken hat, ist eine offene Frage. Wie sie in Zukunft mit der Qualitätssicherung für ihre Leser verfahren wird, auch. Wir dürfen gespannt sein.
  • Titel Ihres Leserbriefes

    31.07.2010, Ronald Bässler
    Es ist beruhigend, dass es noch Wissenschaftler wie Hans von Storch gibt
  • Kooperation europäischer Universitäten

    27.07.2010, Manfred Simon, Siegen
    Als deutscher Projektleiter des PAMELA-Experimentes habe ich mit großem Interesse den Artikel gelesen, und es freut mich, dass unsere Messungen mit dem PAMELA-Experiment eine so große Aufmerksamkeit in der wissenschaftlichen Welt bekommen haben. Ich möchte Sie jedoch darauf hinweisen, dass unser PAMELA-Experiment kein Projekt der ESA (Europäische Weltraumagentur) ist, wie im Artikel behauptet. Es ist eine Kollaboration von Wissenschaftlern aus Italien, Russland, Deutschland und Schweden. Diese Kollaboration hatte sich aus den Aktivitäten früherer Ballonexperimente ergeben, mit denen wir ähnliche Experimente durchgeführt haben. Alle Experimentkomponenten von PAMELA wurden, wie bei den Ballonexperimenten üblich, in den Labors der beteiligten Universitäten und Instituten entworfen und aufgebaut und nicht von der Weltraumindustrie, wie es bei der ESA üblich ist.

    In den Orbit wurde es mit einer russischen Sojus-Rakete an Bord des Resurs-DK1-Satelliten gebracht. Finanziert wurde das Projekt durch die nationalen Förderungen der beteiligten Länder und auf deutscher Seite durch das DLR. Deutschland ist durch den Fachbereich Physik an der Universität in Siegen an diesem PAMELA-Projekt beteiligt, wo wir bereits über viele Jahre durch Experimente auf dem Gebiet der Teilchenastrophysik wissenschaftlich arbeiten.
  • Eine einfache Rechnung

    27.07.2010, Fritz Diem, München
    Eine einfache Rechnung ergibt für die Osmosefläche eines 25-Megawatt-Kraftwerkes die große Fläche von 5 Quadratkilometer.

    Können Sie ausnahmsweise die Zeit für die Rubrik "im Rückblick" für das Osmosewerk auf fünf Jahre verkürzen? Denn das erlebe ich vielleicht noch. Dann könnten Sie berichten, wie es dem Osmosewerk geht und wieviele norwegische Kronen es pro installiertes Kilowatt gekostet hat.
    Stellungnahme der Redaktion

    Der Energieversorger Statkraft, der im norwegischen Tofte bereits eine Pilotanlage mit 10 Kilowatt Leistung errichtet hat, arbeitet mit Membranen, die in engen Röhren zusammengerollt werden. Er geht davon aus, dass eine 25-Megawatt-Anlage rund fünf Millionen Quadratmeter Membran benötigen würde, die dann - zusammengerollt - eine Fläche von gerade einmal der Größe eines Fußballstadions belegen.

  • Psychologisch überrascht der Befund nicht

    27.07.2010, Ingo-Wolf Kittel
    Hören erfordert mitdenken. Wo mitdenken nicht möglich ist wie bei einer unbekannten Sprache versteht man nichts von dem Gesagten: kommt man nicht mit, kann man nicht folgen, "versteht" also nichts, und steht dann am Ende mit Nichts da, allein und einsam...

    Reflexartiges Mitreagieren ist allgemein, wie es scheint, natürliche Grundlage sozialen Reagierens bis hin zu "spontanem" Mitgefühl und Mitleid und sonstigem, quasi "automatischen" Mitmachen.

    Je besser dies selbst und gerade ohne Absprache aufeinander bezogen ist, umso "harmonischer" wird es bekanntlich empfunden und interessanter Weise als "stimmig" bezeichnet, dies auch deswegen, weil dann "stimmt", was und wie es sein soll: weil es den eigenen inneren oder natürlichen Neigungen "entspricht", mit ihnen also "übereinstimmt".

    Zur Poesie Neigende reden dann vielleicht vom (inneren) "Einklang" oder "Gleichklang der Herzen". Andere halten dieses reflexhafte Mitreagieren für "Einfühlsamkeit" oder sogar für "Verständnis", das sie als "intuitives" Verständnis gegen tatsächliche Verstandesleistungen dann abgrenzen.

    Die anschaulichsten Beispiele für diese natürliche Grundbereitschaft, auf andere und insbesondere auf "imposante" (durch ihre "Posen" imponierende) Vorbilder zu reagieren, sind die Phänomene der Gruppen- oder "Massenpsychologie", einschließlich der Massenpanik, aber auch die Verwunderung über Einsiedler, das "Befremden" vor ihnen wie auch ihre Bewunderung.

    (Die Entwicklung eigenständigen, selbstbewussten und selbstbestimmten Handelns ist deswegen - neben anderem - nicht "selbstverständlich". Dazu bedarf es faktisch immer auch einer, nicht selten energischen, vielleicht sogar trotzigen "Abgrenzung" gegen andere, vor allem aber einer gewissen Anstrengung, eines Bemühens und Mühens 'gegen' die eigene Grundbereitschaft und natürliche Tendenz, es wie andere zu machen, sie nachzumachen oder zu imitieren, Zuflucht bei anderen zu suchen, sich bei ihnen aufgehoben zu fühlen, in der Gruppe aufzugehen oder gar zu verschmelzen.)
  • Sowieso nicht emissionsfrei

    23.07.2010, Dr. Johannes Nix, Gütersloh
    Der Artikel zeigt klar, dass Fusionskraftwerke vorerst alles andere als emissionsfrei wären. Benötigt würden viele Kilogramm Tritium pro Jahr, die zumindest in der Anfangsphase, die selbst unter den günstigsten denkbaren Umständen viele Jahrzehnte dauern würde, aus konventionellen Urankraftwerken (genauer Schwerwasser-Reaktoren) erbrütet werden müssen. Das kann man ganz sicher nicht als emissionsfrei bezeichnen. Man sollte sich auch Gedanken machen, ob überhaupt noch so lange ausreichend Uran verfügbar sein wird, da die gegenwärtige Förderung den Bedarf seit Jahren nicht deckt.

    Wie der Artikel beschreibt, ist die Bewältigung des Tritium-Brennstoffproblems mehr als fraglich. Das läuft aber darauf hinaus, dass die Fusionsenergie nur im Verbund mit der normalen Kernenergie genutzt werden kann, mit sämtlichen bekannten Nachteilen.

    Ein weiterer kritischer Punkt ist die Sicherheit vor radioaktiver Verseuchung. Die Handhabung derartig großer Mengen an Tritium birgt Gefahren, auch wenn nur ein Teil des Brennstoffs im Reaktionsgefäß vorliegen muss. Hinzu kommen mit Magneten, Spulen, Kühlsystem usw. Materialien, die große Mengen an potenzieller Energie aufnehmen. (Beispielsweise hat die Fermi-Energie im Graphitmoderator 1957 zu einem katastrophalen Reaktorbrand in Windscale geführt.)

    Ein Austritt von Tritium aber - z.B. in Folge eines Kühlmittelbrandes, wie er 1995 im Kernkraftwerk Monju (Japan) passierte - würde zu einer nicht rückgängig zu machenden Verteilung strahlenden Materials in der Biosphäre führen. Tritium als radioaktives Wasserstoffisotop ist auch deswegen gefährlich, weil es teilweise direkt in die DNA Stränge der Zellkerne eingebaut würde.
  • Sonnenaufgang

    22.07.2010, Thomas Pruß
    sehr schöner Beitrag, doch das Bild des Sonnenaufgangs bzw. dessen Bildunterschrift stimmt bedenklich: "Morgenrot bringt Woter in´ne Soot" ("Morgenrot bringt Wasser in den Brunnen") heißt es. Und das bedeutet eben, dass dieses Morgenrot keinen schönen Tag ankündigt, sondern, dass es Regen geben wird.
    Besser wären Abendrot, denn dann bleibt das Wetter schön.

    Beste Grüße
    Thomas Pruß
  • Zöliakie"kranke"?

    22.07.2010, Anna, London
    Hi,

    ich bin zwar kein Experte auf diesem Gebiet, aber von was ich gelesen habe, gibt es einen großen Unterschied zwischen Gluten-Intoleranz und Gluten-Allergie (= Zöliakie). Diese Unterscheidung wird oft nicht gemacht, sollte aber gemacht werden. Bei einer Allergie greift das Immunsystem die Peptide an, wohingegen Intoleranz lediglich bedeutet, dass der Magen Schwierigkeiten hat, das Gluten zu verdauen. Ich selbst würde mich deshalb als glutenintolerant, nicht allergisch, bezeichnen. Wenn ich etwas glutenhaltiges esse, fühlt sich mein Magen leicht unwohl, und ich habe generell weniger Energie und Ausdauer. Diese Symptome sind aber bei weitem nicht so schlimm wie sie bei einer Allergie sein würden, oder? Ansonsten bin ich immer sehr gesund gewesen.

    Desweiteren solltet ihr auch die Formulierung eures Artikels überarbeiten. Ich finde es nicht richtig, dass ihr von "Zöliakiekranken" im Gegensatz zu "gesunden Menschen" sprecht. Wir sind nun mal von der Evolution nicht vorgesehen, Ackerbauprodukte zu essen. Unsere Vorfahren im Regenwald haben hauptsächlich Früchte und ein paar Blätter gegessen, und unser Verdauungssystem ist immer noch darauf spezialisiert. Selbst die Wildgräser damals enthielten kaum Gluten, erst mit Beginn des Ackerbaus wurden glutenreiche Getreidesorten gezüchtet, da man diese leichter zu Brot verarbeiten kann.

    Wenn ich euch z.B. eine Hand voll Sand zu essen gebe, und ihr ihn nicht richtig verdauen könnt, darf ich euch auch als "krank" bezeichnen? Unsere Gesellschaft ist krank, nicht die Leute, die ein so unnatürliches Protein wie Gluten nicht verdauen können.
  • Bei Gebrauch gut schütteln

    16.07.2010, Peter Bauer, Flein
    Ich finde die Versuche in der Schwerelosigkeit insgesamt sehr interessant und wichtig, was mich veranlasst hat, das Heft am Stück durchzulesen. Aber der Vergleich mit einer Sandburg ist in diesem Fall nicht sehr geeignet. Eine Sandburg lässt sich auch auf der Erde nur mit einem ausreichend feuchten Sand herstellen. Das aber ist Adhäsion zwischen Wasser und Sandkörnern, also eine Kapillarwirkung. Solange von unten genügend Wasser nachströmen kann, behält die Burg auch ihre Form. Und dies sollte auch unter Mikrogravitation möglich sein.

    Zwischen trockenen Sandkörnern besteht auch meines Wissens keine ausreichende Kohäsion, um sie auf der Erde so stark zusammen zu halten, um damit eine Sandburg bauen zu können. Trockener Sand rieselt und nur die Reibung verhindert, dass er wie eine Flüssigkeit vollkommen auseinander läuft. Vielleicht sollte man doch einmal versuchen, in der ISS eine "Sandburg" zu bauen.
  • Beneidenswertes Proton

    13.07.2010, Hans-Jürg Gerber, CH-5430 Wettingen
    Über Nacht hat sein Umfang um einige Nummern abgenommen! Das dürfte die Fachleute noch eine Zeitlang schön verstören. Hoffentlich nicht so die Bevölkerung um Garching herum, die aus dem (im Übrigen ausgezeichneten) Artikel von Maike Pollmann voreilig und verängstigt schliessen könnte, die Myonendusche in der kosmischen Strahlung sei bei ihnen übermassig intensiv, denn nur so wäre dort das Jahrhundertexperiment möglich geworden.
  • Verhandeln gegen die Regeln

    12.07.2010, Till Schauen, Kirchheimbolanden
    die Diskussion zum Thema ist erfreulich, geht aber an der Wirklichkeit vorbei.
    Natürlich lassen sich die Grundpositionen anhand solch extremer Taten wie Mord oder Kindesmissbrauch verdeutlichen. Das Thema ist aber vor allem deswegen so bedeutend, weil es das Alltagsleben von uns allen berührt, und zwar täglich und ständig.
    Es steckt in vielen kleinen Entscheidungen, in alltäglicher Pragmatik. Das lässt sich wunderbar am Verhalten im Straßenverkehr illustrieren: Natürlich gibt es einen Regelkatalog, der den Verkehr organisiert – im normalen Erleben empfinde ich die StVO aber als völlig unangemessen, teilweise weltfern.
    Auf einer ganz normalen Fahrt zur Arbeit verhandle ich Dutzende Male mein Verhalten gegen meine Kenntnis der Regeln: Schere ich zum Überholen auf die linke Spur ein, obwohl ich damit den Mindestabstand grob verletze (oder versauere ich hinter dem Lkw)? Halte ich mich an das Tempolimit (und bin damit der einzige)? Halte ich es ein, obwohl die Baustelle längst vorbei ist und die Straßenbauer offensichtlich vergessen haben, das Freigabeschild aufzustellen? Überhole ich rechts, wenn links ein Schleicher hartnäckig die Spur blockiert? Stelle ich mich vor der Sparkasse ins Halteverbot oder platt auf die Fahrbahn (ich muss doch nur zwei Sekunden reinspringen an den Geldautomaten)? Und so weiter und so fort ...
    Das sind ständige Gesetzesbrüche, die dadurch nicht geringfügig werden, dass es sowieso alle so machen, dass die Strafen dafür kaum der Rede wert sind und eh keiner kontrolliert.
    Eine Vielzahl von subjektiven Modifikatoren kommt hinzu: Ich habe eine sechsstellige Summe für mein Auto bezahlt, dafür erwarte ich einen Gegenwert in Gestalt von freier schneller Fahrt – ich kann besser fahren als die anderen - ich habe einen dringenden Termin – ich bin zornig/in eine Diskussion verstrickt/wichtiger als die anderen …
    Ein Gefühl der Enge senkt die Schwelle: Bei dichtem Verkehr bin ich viel geneigter, Regeln zu brechen als auf einer dreispurigen Fahrbahn bei schönem Wetter und mit nur zwei weiteren Fahrzeugen in Sicht. Noch interessanter wird es, wenn ich die Gewaltenteilung durchbreche, wenn ich also einen anderen abstrafe für sein Verhalten. Auch das ist völlig gewöhnliches Verhalten.
    Im Alltag kollidiert die situative Pragmatik mit der Gesetzestreue, und genau hier finden die entscheidenden Verschiebungen statt, nicht etwa bei den Extremfällen. Hier bewertet jeder einzelne ständig die eigenen Wünsche gegen die Regeln und hat klar nachvollziehbar die Wahl. Eben auf Grund der geringen Schwellenhöhe zeigen sich die Wahlmöglichkeiten umso deutlicher. Die Programmierungen, Erfahrungen und Ängste, die im Hintergrund einer Entscheidung stehen, lassen sich natürlich genauso gut beobachten.
    Im Straßenverkehr zeigt sich das Maß der Verantwortlichkeit, das jeder einzelne zu jedem Zeitpunkt neu für sich ermittelt, und zwar in klarer, bewusster Abwägung der Situation. Natürlich fließen schwer kontrollierbare Faktoren ein, aber Entscheidungen im Alltagsverkehr treffe ich bewusst und in Kenntnis der Alternativen. Denselben Einfluss hat der Eindruck, die Spitzen der Gesellschaft brächen ebenfalls die Gesetze und auf umfassendere Weise.
    Bitte verzeihen Sie dieses Stück Privatempirie. Ich staune darüber, dass der Alltagsverkehr nicht intensiv erforscht wird, denn nirgendwo sonst lässt sich die kollektive Verfasstheit einer Gesellschaft deutlicher beobachten.
  • Theodor Boveris Chromosomentheorie der Vererbung

    12.07.2010, Dr. Hans von Besser, Würzburg
    In dem Artikel von Ralf Dahm hat der Autor in der recht hübschen Grafik, die DNA-Doppelhelix mit den historischen Stationen von 1865 bis 1995, einen entscheidenden Meilensteine zur Geschichte der Genetik/DNA leider nicht mit aufgenommen. Denn es war Theodor Boveri (1862-1915), seit 1893 Professor für Zoologie und vergleichende Anatomie in Würzburg, der mit seinen experimentellen Arbeiten und theoretischen Ableitungen aus dem Jahre 1902 neben W. S. Suttton als Vater der Chromosomentheorie der Vererbung gilt (siehe auch Ilse Jahn, Geschichte der Biologie, S. 542; 2004, Nikol-Verlag).

    Auf der Homepage des Theodor-Boveri-Institut für Biowissenschaften der Universität Würzburg (http://www.biozentrum2.uni-wuerzburg.de/infos/theodor_boveri_1862_1915/), fasst Peter Wolbert die wissenschaftlichen Leistungen von Boveri zusammen:

    “….und schließlich der Nachweis der Chromosomenindividualität durch Theodor Boveri (1887). Boveri legte damit den Grundstein für die Formulierung der Chromosomentheorie der Vererbung (1902/1904), in der er zytologische Befunde mit Gregor Mendels gerade wiederentdeckten Vererbungsregeln zu einer synthetischen Einheit zusammenfügte. …..

    Die Befunde an Ascaris wurden durch mikroskopische Beobachtung gewonnen. Während mehrerer Aufenthalte an der Zoologischen Station in Neapel arbeitete Boveri vorwiegend mit Seeigeln. Hier setzte er vor allem das Experiment zur Klärung seiner Fragestellungen ein. Es gelang ihm, kernlose Bruchstücke von Seeigeleiern zu besamen. Sie konnten sich daraufhin zu anscheinend normalen Larven entwickeln. Umgekehrt können auch aus Eiern, die nur den mütterlichen Chromosomensatz besitzen, Larven hervorgehen. Ei- und Spermakern, bzw. väterlicher und mütterlicher Chromosomenbestand sind also nicht nur morphologisch gleich. Sie enthalten jeweils alle Faktoren, die die Bildung eines ganzen Organismus steuern. Die Chromosomen müssen als Träger der Vererbung betrachtet werden. In weiteren Versuchen mit mehrfach besamten Seeigeleiern konnte Boveri die individuelle entwicklungsphysiologische Wertigkeit der einzelnen Chromosomen als Erbträger nachweisen.“

  • Ähnliche Funde aus Mitteleuropa

    12.07.2010, Weigand Gerald, Freising
    Auch aus Mitteleuropa liegen durch begünstigte geologische Umstände immer wieder Artefaktanhäufungen vor, welche eine mögliche, frühere Begehung des Raumes vor 500 000 Jahren bezeugen könnten. Rein typologisch deuten die Steinwerkzeuge diesen Rahmen an... Eine einheitliche Behandlung verschiedener Fundpunkte (leider meist ohne Stratigraphie) entlang der großen Flüsse (Donau, Neckar, Rhein) blieb bis dato aus. Auffallend ist die hohe Übereinstimmungsrate mit Geröllgeräte-Inventaren aus Afrika (Olduvai), zu denen der beste Angleich gelingt. Umstritten aber behandlungswürdig.
  • Auswirkungen des 2005 Bebens

    09.07.2010, Paul R. Woods
    Die Auswirkungen des Bebens 2005 werden nur unzureichend wiedergegeben. Die Insel Nias vor Sumatra wurde nämlich im Dezember 2004 nur leicht getroffen, jedoch im März 2005 völlig verwüstet mit unzähligen Toten.

    Die Kollegen im Büro des Indonesischen Roten Kreuzes sagten mir am Tag danach, dass die beiden Beben sich völlig anders angefühlt hätten. Inwieweit die Erdstöße und -bewegungen sich unterschieden, geht aus Ihrem Artikel nicht allzu deutlich hervor.

    Aber die Entspannung zwischen dem Sundaschelf und der Indischen Platte gingen danach noch weiter mit starken Beben in Java und West-Sumatra.
    Stellungnahme der Redaktion

    Sehr geehrter Herr Woods,



    Sie haben recht: Das Wort "glimpflich" ist angesichts von etwa 1500 Opfern auf der Insel Nias etwas unangebracht. Ich habe es deshalb aus dem Text entfernt.



    Wie im Text bereits beschrieben, kam es bei dem Beben 2005 nur zu relativ schwachen lokalen Tsunamis, weil die Sedimente über der Bruchstelle den Schlag gedämpft haben. Außerdem verhinderten sie, dass ein ähnlich großes Plattenstück wie 2004 unter die Burmaplatte rutschen konnte, was die Wucht ebenfalls etwas gemildert hat. Und drittens fand dieses Beben näher zur Küste statt, was womöglich die Entstehung sehr großer, weiträumiger Flutwellen verhindern konnte.



    Angesichts dieser Einflüsse ist es naheliegend, dass sich die Beben unterschiedlich angefühlt haben - zumal die Epizentren an unterschiedlichen Orten lagen. Von der grundsätzlichen Tektonik liefen sie jedoch sehr ähnlich: Die Spannungen bei der Subduktion lösten sich plötzlich durch die brechenden Platten, deren Bruch in etwa 30 bis 40 Kilometern Tiefe stattfand.



    Mit freundlichen Grüßen


    Daniel Lingenhöhl


    Redaktion spektrumdirekt

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