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  • Ratlose Mediziner

    21.06.2010, Michael Gansera
    der Artikel über die „Dunkle Energie des Gehirns“ war äußerst erhellend. Die Aussagen im Abschnitt „Warum ein ausgedünnter Datenstrom genügt“ kann ich sogar aufgrund eigener und zugegebenermaßen außergewöhnlicher Erfahrung bestätigen.

    Seit meinem 17. Lebensjahr vergnüge ich mich mit LHON (Lebersche hereditäre Opticusneuropathie). Es handelt sich, wie der Name schon vermuten lässt, um eine erblich bedingte Beeinträchtigung des Sehnervs; verursacht wird sie durch Gendefekte der Mitochondrien-DNA. Nur zwei Faktoren sind daran positiv: Dass ich diese lästige Sache nicht am meine süße Tochter weitervererben konnte, und dass sich mein Sehvermögen wieder verbesserte. Damit bin ich beim Thema des erwähnten Abschnitts im o.g. Artikel.

    Nach einigen Jahren fast völliger Blindheit besserte sich mein Sehvermögen so weit, dass ich ohne Hilfsmittel Biologie studieren und eine Ausbildung zum Betriebswirt abschließen konnte. Seitdem war ich in mehreren Beschäftigungsverhältnissen tätig, ebenfalls ohne Hilfsmittel. Bildschirmarbeit ist kein Problem, nur eine Zusatzausbildung als Grafiker mußte ich abbrechen, da ich Farbunterschiede ab einem bestimmten Grad nicht mehr wahrnehme.

    Der Zusammenhang mit dem Thema? Die Regeneration meines Sehvermögens beruht NICHT auf einer physischen Regeneration meines Sehnervs. Ganz im Gegenteil. Im Rahmen eines Projektes an der Universität Heidelberg-Mannheim im Jahr 1997 sagte mir der leitende Arzt, nachdem er meine Sehbahn im NMR erfaßt hatte: „Herr Gansera, von Rechts wegen dürften Sie überhaupt nichts mehr sehen.“ Mein Sehnerv ist kein solider Strang, sondern eine leere Hülle, die nur noch aus den nichtleitenden Stütz- und Nährzellen besteht. Um es bildhaft auszudrücken: Der kugelschreiberdicke Strang besteht nur noch aus der Hülle, enthält keine Miene mehr - schreibt aber trotzdem.

    Die Medizin ist ratlos. Da meine Erkrankung sehr selten ist, wurde mir jahrzehntelang unterstellt, ich simuliere meine Blindheit nur. Seit der Untersuchung in Mannheim muss ich mit dem Verdacht leben, ich simuliere nur, dass ich sehen könne. Offenbar kann man es keinem recht machen ...

    Ihr Artikel liefert eine solide Erklärung dafür, dass ich trotz eines äußerst lädierten Sehnervs noch brauchbare optische Eindrücke erhalte. Mein Gehirn arbeitet die spärlichen Seheindrücke einfach auf zu einem plausiblen „Seheindruck“. Und meine „selbstgenerierten“ Seheindrücke sind in den allermeisten Fällen zutreffend - na ja: ausreichend. Manchmal liegen sie aber auch peinlich daneben. So kommt es vor, dass ich an Orten, die ich zum ersten Mal betrete, den Kleiderständer grüße. Oder ich sehe die sprichwörtliche Fliege an der Wand - nicht aber die Person, die unter der Fliege steht. (Nein, die Fliege grüße ich nicht.)

    Gesichtsfeldtests weisen seit 35 Jahren nach, dass ich massive Gesichtsfeldausfälle habe, aber mein subjektiver Seheindruck ist vollständig. Nur wenn ein LKW aus dem Nichts erscheint, merke ich, dass die freie Straße offenbar doch nicht so ganz frei war. Aus naheliegenden Gründen habe ich nie einen Führerschein gemacht.

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