Steinkohlebergbau: Pumpen für die Ewigkeit
Mit dem Ausstieg ist eine Großtechnologie noch lange nicht beendet. Schließlich muss man sich um ihre Hinterlassenschaften kümmern – möglicherweise bis in alle Ewigkeit. Bei solchen Sätzen denken viele Menschen an den Ausstieg aus der Kernenergie und ihren radioaktiv strahlenden Müll. Im Ruhrgebiet aber fällt in diesem Zusammenhang ein ganz anderes Stichwort: Das Ende des deutschen Steinkohlebergbaus im Jahr 2018.
Solange die Kumpel aus den Zechen das schwarze Gold holten, pumpte der Betreiber Wasser aus der Tiefe, das sonst Stollen und Schächte geflutet hätte. Doch nach dem Schließen des letzten Steinkohlebergwerks im Ruhrgebiet werden Pumpen weiter gebraucht: Dann müssen sie einen Kontakt des salzigen Wassers in der Tiefe mit dem Grundwasser verhindern. Und das dauerhaft, der Betreiber des deutschen Steinkohlebergbaus RAG AG spricht von "Ewigkeitslasten".
Um die immensen Kosten dieses Pumpens dauerhaft zu finanzieren, hat die RAG AG die RAG-Stiftung gegründet, die ab 2019 mit den Zinsen und Erträgen aus einem Vermögen von 14,3 Milliarden Euro diese Daueraufgaben finanzieren soll. Derzeit hat die Stiftung nach eigenen Angaben ein Kapital von zwei Milliarden Euro, weitere 1,6 Milliarden muss die RAG Ende 2018 an die Stiftung überweisen, zusätzlich hält sie noch rund 68 Prozent der Anteile an der Evonik Industries AG, in der unter anderem der Spezialchemie-Riese Degussa aufgegangen ist.
Ohne Pumpen würde das Ruhrgebiet zur Seenplatte.
Das ist jedoch erst einmal Zukunftsmusik: Bis 2018 muss nämlich die RAG selbst die Pumpen betreiben, die Bergwerke schließen und alle Schäden durch den Bergbau auch über das Jahr 2018 hinaus ersetzen. Dafür hat das Unternehmen, das übrigens vollständig der RAG-Stiftung gehört, Rückstellungen in Milliardenhöhe gebildet – billig ist der Ausstieg aus der Steinkohleförderung in Deutschland also keineswegs. Wobei das schwarze Gold allerdings einst auch satte Steuereinnahmen in die Kassen der Region gespült hatte.
Ein Bergwerk bricht zusammen
Seit aber aus anderen Ländern wie Australien Steinkohle den Weltmarkt flutet, die erheblich leichter zu gewinnen und damit auch viel billiger ist, hat sich diese Situation umgekehrt. Der Steinkohlebergbau wurde seit den 1960er Jahren mit hohen Summen subventioniert, seither schlossen viele Zechen und 2007 beschlossen Deutschland und die betroffenen Bundesländer mit dem Ende der Subventionen auch das Ende des Steinkohlebergbaus. Im Saarland schloss das letzte Bergwerk Mitte 2012, am Ende des gleichen Jahres folgte das Bergwerk West in Kamp-Lintfort in Nordrhein-Westfalen. Ende 2015 wird die Zeche Auguste-Victoria in Marl die letzte Steinkohle liefern und Ende 2018 beendet die letzte Schicht in den Zechen Prosper-Haniel in Bottrop und Ibbenbüren dann die Ära der Steinkohle in Deutschland.
Diese Schließungen laufen im Grunde immer gleich ab. Unter Tage unterscheiden Spezialisten wie der Ingenieur für Geotechnik und Bergbau Jens-Peter Lux vom auf Bergbautechnik spezialisierten Unternehmen DMT zwischen kurz- und langlebigen Anlagen. Ist die Kohle zum Beispiel aus einem Bereich eines Flözes abgebaut, wird dieser "alte Mann" geschlossen. Alle noch verwendbaren Materialien und Geräte werden mitgenommen und was unter Tage verbleibt, wird von Schadstoffen wie beispielsweise Ölen befreit. Dann wird die Strecke abgesperrt, das gesamte Stützwerk entfernt und der alte Mann mit einem Damm aus Beton abgeschottet, der nicht nur Wasser, sondern auch das explosive Grubengas zurückhält. Der gigantische Druck des darüber liegenden Gesteins – manche Stollen liegen 1400 Meter tief unter der Erde – lässt den alten Mann dann langsam einbrechen. Dabei senkt sich das relativ weiche, verformbare Gestein auf großer Fläche ab, dieser Prozess setzt sich häufig bis zur Oberfläche fort. Über dem noch aktiven Bergwerk Prosper-Haniel hat sich der Boden zum Beispiel um insgesamt 14 Meter gesenkt. An anderen Orten wurden in extremen Fällen sogar 25 Meter gemessen. "Solche Senkungen klingen allerdings fünf bis zehn Jahre nach dem Ende des Bergbaus ab", erklärt Jens-Peter Lux.
Seenplatte statt Ruhrgebiet?
Damit aber enden die Folgekosten keineswegs. So sind ja Bäche und Flüsse samt ihren Betten mit abgesunken. Die durch den Bergbau entstandenen Senken würden sich daher langsam mit Wasser füllen, aus dem Ruhrgebiet würde eine Seenplatte werden. Um das zu verhindern, wird bereits seit mehr als einem Jahrhundert reichlich Wasser in die Unterläufe der Gewässer gepumpt, die sich nicht abgesenkt haben und so höher liegen. Auch diese Pumpen müssen weiterlaufen, wenn nicht große Teile des Ruhrgebiets absaufen sollen. Übrigens liegt auch der Rhein heute obenauf. Weil sich die Bergbaulandschaften an seinen beiden Ufern oft um viele Meter gesenkt haben, wurden riesige Deiche gebaut. Sie verhindern, dass der Strom überläuft und die überdimensionalen Badewannen entlang seiner Ufer flutet.
Aber auch unter Tage konstruieren Bergbauingenieure riesige Sperrwerke. Dort geschieht das aus geologischen Gründen: Während die Kohleflöze im Süden zum Teil in der Nähe der Oberfläche liegen, ziehen sie sich Richtung Norden mit einer Neigung von ungefähr fünf Grad immer mehr in die Tiefe. Im Münsterland wird die Kohle bis in 1400 Metern unter der Oberfläche abgebaut. Im Lauf der Geschichte ist der Bergbau so immer weiter noch Norden und gleichzeitig in die Tiefe gewandert. Der gesamte Untergrund in dieser Region ist daher durchlöchert wie ein Emmentaler Käse. In diesen Löchern, Schächten und Stollen aber sammeln sich das nach unten sickernde Grundwasser und das langsam aus dem Berg quellende Tiefenwasser. Deshalb holten zunächst an Ketten befestigte Ledersäcke dieses Wasser nach oben und bewahrten die Bergwerke vor dem Absaufen. Nach Erfindung der Dampfmaschine übernahmen Pumpen diese Aufgabe.
Dämme unter Tage
Genau wie die Bergwerke dieser Region nordwärts in die Tiefe wanderten, bewegten sich die ausgebeuteten und geschlossenen Zechen hinterdrein. Dort wurden die kurzlebigen Bauten geleert, abgedämmt und dem Zusammenbruch überlassen. Ähnlich behandelte man die langlebigen Bauten, zu denen zum Beispiel die viel länger genutzten Transportstollen gehören. Diese sind besser ausgebaut, daher dauert es länger, bis sie zusammenbrechen. Obendrein sind ihre Auswirkungen auf die Oberfläche viel geringer und häufig vernachlässigbar, da solche Stollen ein im Vergleich mit den Flözen kleines Volumen haben.
Jedes Jahr schaffen die Pumpen im Ruhrgebiet rund 700 Millionen Badewannenfüllungen an die Oberfläche.
Damit ist es aber nicht getan, weil die Bergwerke miteinander verbunden sind. Laufen die aufgelassenen Zechen im Süden voll, fließt das Wasser daher in die tieferen Stollen und Schächte weiter im Norden. Um die dort noch arbeitenden Bergwerke vor den Fluten zu schützen, werden unter Tage Sperren gebaut, die aufgelassene von aktiven Bergwerken trennen.
Armdicke Schrauben
Auch diese Maßnahmen reichen schon heute noch nicht aus. Denn das Wasser in der Tiefe würde langsam nach oben steigen und irgendwann in die höheren Schichten eindringen, die von Geologen "Deckgebirge" genannt werden. Das aber wäre fatal, weil von dort das Grundwasser stammt, das als Trinkwasser später durch die Leitungen fließt. Das Wasser in der Tiefe ist aber viel salzhaltiger und hat in den aufgelassenen Strecken oft auch noch Eisen-, Nickel- und Manganverbindungen aufgenommen, die im Trinkwasser nichts zu suchen haben. Obendrein könnte das aufsteigende Wasser auch Schichten erreichen, die im nassen Zustand stark aufquellen, die Oberfläche anheben und neue Bergschäden anrichten.
Das sind eine ganze Reihe guter Gründe, weshalb das Aufsteigen des Wassers verhindert und überschüssiges Wasser an die Oberfläche gepumpt wird. Dabei handelt es sich keineswegs um Rinnsale, sondern um riesige Ströme. So stehen 1000 Meter unter einem Förderturm der 1986 geschlossenen Zeche Zollverein in Essen sechs mannshohe Kreiselpumpen. Die drücken das sich aus weiter Entfernung ansammelnde Wasser mit einem Druck von 100 Bar und damit dem 100-Fachen des Luftdrucks an der Oberfläche nach oben. Die gewaltigen, aufwärtsführenden Rohre bestehen aus Segmenten, die mit armdicken Schrauben zusammengeflanscht sind. Jedes Jahr schaffen die Pumpen im Ruhrgebiet mit rund 100 Millionen Kubikmetern zirka 700 Millionen Badewannenfüllungen an die Oberfläche und leiten sie in die Zuflüsse des Rheins. Dafür sind Pumpen mit einer Leistung von insgesamt 70 Megawatt installiert, die zusammen bald ein Zehntel der Energie eines großen Kohlekraftwerkes schlucken.
Pumpen für die Ewigkeit
Auch nachdem 2018 die letzte Schicht aus einem deutschen Steinkohlebergwerk ausgefahren ist, wird das Wasser in der Tiefe weiter steigen. Die Pumpen werden also auf unabsehbare Zeit weiterlaufen müssen. Womit das Wort "Ewigkeitslasten" erklärt wäre. Da gewaltige Wassermengen mit hohem Energie- und Finanzaufwand bewegt werden müssen, lohnen sich Investitionen selbst in kleine Optimierungen. Genau das tut die RAG und die RAG-Stiftung daher. So ist der Betrieb von Kreiselpumpen relativ teuer, weil sie ab und zu gewartet, repariert und manchmal sogar ausgetauscht werden müssen. Also muss der Schacht nicht nur zugänglich sein für Mechaniker, sondern auch mit Frischluft versorgt werden. Auch die Ventilatoren für diese Bewetterung verschlingen reichlich Energie.
Eine Alternative erklärt DMT-Ingenieur Jens-Peter Lux: "Statt Kreiselpumpen kann man auch Tauchpumpen einsetzen." Dazu führt man erst einmal mehrere dicke Rohre von den Schächten des Bergwerks nach unten. Danach kann der gesamte Schacht um diese Rohre herum mit Beton verfüllt werden. Auch das ist eine teure Aktion, weil jeder Schacht 50 000 bis 70 000 Tonnen Beton schluckt. Da aber alle nicht mehr für den Wasserhaushalt benötigten Schächte ohnehin verfüllt werden müssen, steht dieser Schritt in jedem Fall an. Lockeres Material wie Kies, Sand oder Bauschutt kann man dazu nicht nehmen, weil sonst das explosive Grubengas Methan aus der Tiefe nach oben strömen könnte. Daher streckt man den Beton mit Zusatzstoffen wie Sand, macht das Material so preiswerter und verschließt den Schacht damit luftdicht – bis auf die eingelassenen Rohre, durch die man später die Tauchpumpen in die Tiefe lässt.
Wasserhaushalt
Unten stecken sie im Wasser und fördern dieses an die Oberfläche. Das teure Bewettern und die Instandhaltung des Schachtes entfallen. Zum Warten oder Reparieren können die Pumpen einfach an die Oberfläche gezogen werden, die Mechaniker müssen daher nicht mehr ins Bergwerk fahren.
Um die Kosten zu senken, sollten so wenig Pumpen wie möglich betrieben werden. Daher untersuchen die Betreiber die Wasserflüsse unter Tage sehr genau und beschreiben sie in Computermodellen. Diese liefern dann Hinweise, wo das Wasser zusammenläuft und wo die Pumpen am besten installiert werden sollten. Schon vor Auflassung des Bergwerks können dann in der Tiefe Rohre verlegt werden, die das Wasser gezielt dorthin leiten.
Natürlich muss man die aufgelassenen Bergwerke nicht völlig trocken halten. Das Wasser kann durchaus einige hundert Meter in die Höhe steigen. Solange es nicht mit dem Deckgebirge in Berührung kommt und keine Quellungen verursacht, richtet es keine Schäden an. Steht das Wasser höher, schlucken die Pumpen weniger Energie und senken die Kosten. Pumpt man das Wasser statt aus 1000 nur aus 900 Metern an die Oberfläche, spart man zehn Prozent Energie. Deshalb wird im Ruhrgebiet auch genau untersucht, wie hoch das Wasser gefahrlos steigen kann. Schließlich bedeutet jeder Euro weniger eine gigantische Ersparnis, wenn man eine Ewigkeit pumpen muss.
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