Direkt zum Inhalt

Stuhltransplantation: Hilfreiche Spende für den Darm

Immer mehr Ärzte verpflanzen den Stuhl gesunder Spender bei hartnäckigen Darmerkrankungen. Die Erfolge sind phänomenal, doch ein solider Wirknachweis fehlt.
Elektronenmikroskopische Aufname von Clostridium difficilie

Eigentlich ist es eine Organtransplantation wie jede andere auch. Gesundes Spendermaterial wird übertragen und ein geschädigtes Körperteil ersetzt oder repariert. Doch in diesem Fall geht es nicht um Hornhäute, Nieren oder gar Herzen. Bei der "Stuhltransplantation" wird der filtrierte Darminhalt und damit das komplette Ökosystem bakterieller Bewohner von einem gesunden in einen kranken Darm verpflanzt. Ein Probiotikum der besonderen Art, das im Gegensatz zu einschlägigen Jogurts wenig appetitlich erscheint, aber beachtliche Erfolge erzielt.

Davon berichten kann eine Patientin vom Universitätsspital Zürich, die sich vor über einem Jahr zu der ungewöhnlichen Therapie entschloss. Seit geraumer Zeit litt die Schweizerin an heftigen Durchfällen, hatte 18 Kilogramm Körpergewicht verloren und konnte daher nicht mehr arbeiten. Auslöser für die Turbulenzen im Darm der Frau war Clostridium difficile. Ein Stäbchenbakterium, das Toxine produziert und dadurch eine schwere Darmentzündung verursacht. Normalerweise setzt es sich gegen die natürlichen bakteriellen Darmbewohner nicht durch. Doch nach Antibiotikabehandlungen, die auch die eingespielte Darmwohngemeinschaft ausknocken können, gelingt es den Clostridien bisweilen, die Oberhand zu gewinnen – Magenkrämpfe, Durchfälle und Fieber sind die Folge.

Klassisch versucht man die Darmerreger nun ihrerseits mit wirkungsstarken Antibiotika wie etwa Vancomycin oder Metronidazol zu bekämpfen. Das gelingt meistens. Doch bei bis zu einem Drittel der Betroffenen widerstehen die Clostridien selbst wiederholten Attacken und wachsen nach dem Absetzen des Medikamentes wieder hoch. So auch bei der Schweizer Patientin, die nach der fünften erfolglosen Antibiotikarunde ihrem Arzt gegenüber den Wunsch nach einer Stuhltransplantation äußerte. Gerhard Rogler, Gastroenterologe vom Universitätsspital Zürich, willigte ein, obwohl er bisher nur von dem Verfahren gehört, es selbst aber noch nicht angewendet hatte.

Erfolgsquote von 90 Prozent

20 Gramm Stuhl einer nahen Verwandten wurden im mikrobiologischen Labor des Spitals verdünnt, auf Krankheitserreger wie HIV oder Hepatitisviren getestet, filtriert und der Patientin per Einlauf verabreicht. Schon nach einmaliger Übertragung hörten die Durchfälle auf, seither ist die Frau gesund. "Inzwischen haben wir bei drei Patientinnen mit einer pseudomembranösen Kolitis eine Stuhltransplantation durchgeführt, zweimal mit Erfolg", sagt Rogler.

Die jetzt in Zürich verwendete Methode unterscheidet sich kaum von den ersten dokumentierten Stuhltransplantationen (ST), die Ärzte vor 64 Jahren bei drei amerikanischen Patienten an der University of Colorado anwandten. Auch hier litten die Betroffenen unter einer schweren Darmentzündung, die durch Clostridium-Bakterien verursacht wurde – die Wahrscheinlichkeit, daran zu sterben, lag in den 1950er Jahren bei 75 Prozent. Als Antibiotika, Kortison und probiotische Laktobazillen nicht halfen, starteten die Ärzte in letzter Verzweiflung den Versuch, die Clostridien durch die Gabe von gesundem Spenderstuhl zu vertreiben. Es gelang. Nur wenige Tage später konnten alle drei das Krankenhaus gesund verlassen [1].

"Wir arbeiten evidenzbasiert. Klinische Studien, die eine Wirksamkeit der Stuhltherapie belegen, gibt es aber bisher nicht."Thomas Schneider

Seither sind über 300 solcher Therapieversuche in der Literatur beschrieben. Wie Ethan Gough und andere Forscher jetzt in der Fachzeitschrift "Clinical Infectious Diseases" zusammenfassen, verliefen die ST in über 90 Prozent der Fälle erfolgreich&nsbp;[2]. Kein bekanntes Arzneimittel ist so effektiv und dabei so günstig und sicher. Und dennoch hat es die Methode noch nicht in die breite Anwendung geschafft. Bisher gibt es nämlich keine klinischen Studien, die die Wirksamkeit beweisen. Für Ärzte wie Thomas Schneider, Leiter der Medizinischen Klinik für Gastroenterologie, Infektiologie und Rheumatologie am Standort Benjamin Franklin der Berliner Charite, ist die Stuhltransplantation daher aktuell noch kein wirklich gangbarer Weg: "Wir arbeiten in unserer Klinik evidenzbasiert. Klinische Studien, die eine Wirksamkeit der Stuhltherapie belegen, gibt es aber bisher nicht."

Schneider würde sich im Einzelfall nicht sperren, auf Patientenwunsch eine Stuhltransplantation durchzuführen, was bislang nicht der Fall war. "Bisher ist es uns gelungen, Clostridium-difficile-Infektionen, mit denen wir täglich zu tun haben, mit klassischen Methoden in den Griff zu bekommen", sagt der Berliner Arzt. Er vermutet, wiederkehrende Infektionen mit dem gefährlichen Keim könnten auch von einer inkonsequenten Einnahme des Antibiotikums herrühren. "Dennoch mag es Situationen geben, wo eine Stuhltransplantation sinnvoll ist", sagt Schneider.

Weg vom Image der Notlösung

Doch Ärzte wie Thomas J. Borody vom Centre for Digestive Diseases im australischen Sydney, der seit vielen Jahren gute Erfahrungen mit der ST gemacht hat, möchten der Methode ihr Image nehmen, eine bloße Notlösung zu sein. Er hofft vielmehr, dass grundlegend neu bewertet wird, wie Infektionen mit C. difficile behandelt werden: "An Stelle der Störung (durch Antibiotika) sollte man auf eine Sanierung der Darmflora setzen." [3]

Bis es so weit ist, müssen klinische Studien die Beweise liefern. Drei davon sind gerade in Kanada angelaufen, erste Ergebnisse werden für den Sommer 2013 erwartet. Wie schwer es mitunter sein kann, eine unkonventionelle Therapie durchzusetzen – an der die Pharmaindustrie überdies kein Interesse hat –, erfährt gerade der Züricher Gerhard Rogler. Sein Team hat zwar ein Studienprotokoll erstellt und bei den Behörden eingereicht, doch das Verfahren stockt: In welche Kategorie soll man eine Stuhltransplantation einsortieren? Handelt es sich hierbei um ein medikamentöses oder doch eher medizintechnisches Verfahren? Mit solchen bürokratischen Stolpersteinen haben zurzeit auch Ärzte in den USA zu kämpfen, die sich für die ST als sinnvolle Behandlungsalternative einsetzen. In Deutschland gibt es offenbar noch keine Studienvorhaben in diese Richtung.

Unklar, was im Darm geschieht

Hilfreich für eine breitere Akzeptanz der ST wäre sicher, mehr darüber zu wissen, was sich im kranken Darm nach der Übertragung der Spenderbakterien überhaupt abspielt. Obwohl der genaue Wirkmechanismus noch unklar ist, gibt es Hinweise darauf, dass sich die Darmflora des Empfängers nach der Behandlung deutlich verändert und nun derjenigen des Spenders gleicht. So berichtet Maryn McKenna im Dezember-Heft von "Scientific American" über eine 61-jährige Frau, die wegen hartnäckiger Durchfälle auf Windeln und Rollstuhl angewiesen war. Nach einer ST mit Material ihres Mannes wurde die Frau gesund, ihre Darmbesiedlung normalisierte sich und war, wie die mikrobiologischen Tests zeigten, sogar identisch mit der ihres Mannes. Eine erstaunliche Beobachtung, zumal man bisher davon ausging, dass die Darmflora eines jeden Menschen sehr individuell und nur schwer dauerhaft zu verändern ist.

Doch die Erforschung des Mikrobioms, also der Gesamtheit aller mikrobiellen Bewohner des Menschen, steckt noch in den Kinderschuhen. "Wie im Einzelnen eine gesunde Darmflora überhaupt zusammengesetzt ist und wie deshalb auch eine ideale Spenderflora aussehen muss, weiß man noch nicht", sagt Gerhard Rogler. Wichtige Fortschritte erhofft sich nicht nur Rogler von den Entschlüsselungen des amerikanischen Human Microbiome Project und seines europäischen Pendants, dem MetaHIT-Projekt.

Weitere Krankheitsbilder im Blick

Gleichzeitig mehren sich die Hinweise darauf, wie wichtig eine gut funktionierende Darmflora für die Gesundheit des Menschen insgesamt ist. Inzwischen werden die Darmbakterien als eigenständiges menschliches Organ angesehen, ohne das der Körper nicht normal funktionieren kann. So helfen die spezialisierten Bakterien bei der Entwicklung des kindlichen Immunsystems, sorgen Tag für Tag für die richtige Feineinstellung der Körperabwehr, sind an der Verdauung und dem Energiestoffwechsel beteiligt und sollen sich sogar auf die Gehirnentwicklung und das Verhalten auswirken [4].

Wegen der Bedeutung der Darmflora könnte eine ST daher zukünftig nicht nur bei Darmerkrankungen Sinn machen. Angedacht sind Anwendungen bei Autoimmunerkrankungen und Allergien oder auch bei Stoffwechselstörungen. Eine spannende Anregung hierfür lieferte ein niederländisches Forscherteam um Anne Vrieze. In Anlehnung an Experimente bei der Maus wandten sich die Amsterdamer Wissenschaftler an18 junge Männer, bei denen kurz zuvor ein "metabolisches Syndrom" diagnostiziert worden war: Sie litten unter einer Kombination von Bluthochdruck, Insulinresistenz, veränderten Blutfettwerten und Fettleibigkeit, was die Wahrscheinlichkeit von einer Herzkranzgefäßerkrankung stark erhöht.

Die Forscher reinigten den Darm der Probanden, dann erhielt die Hälfte der Männer die eigene Darmflora per ST zurück, die andere Gruppe dagegen bekam Stuhlpräparate von normalgewichtigen Spendern mit einem BMI unter 23. Nach einigen Wochen dann die bemerkenswerte Beobachtung: In der Gruppe, die die Bakterien-WG schlanker Menschen erhalten hatte, sanken die Blutfettwerte merklich ab, zudem sprach der Körper besser auf das Hormon Insulin an, ganz im Gegensatz zu der Gruppe mit unveränderter Darmflora, bei denen sich im Stoffwechsel nichts änderte [5].

Auch wenn das Verfahren zunächst ein wenig ungewöhnlich erscheint, wird man von der ST in Zukunft mehr hören. Die Patienten jedenfalls, zumindest solche, deren Lebensqualität wegen starker Durchfälle enorm beeinträchtigt ist, tun sich nicht schwer mit dem Gedanken. Das zeigte etwa eine Umfrage unter Colitis-ulcerosa-Patienten am Inflammatory Bowel Disease Center an der University of Chicago [6]: Nicht nur das Interesse, auch der Wunsch, die ST durchführen zu lassen, war groß. Eltern betroffener Kinder sahen in dem Verfahren sogar einen natürlichen und einfachen Weg, den Kindern zu helfen – abseits von Kortison und Antibiotika.

  • Quellen

[1] Eiseman, B. et al.:Fecal enema as an adjunct in the treatment of pseudomembranous enterocolitis. In: Surgery 44, S. 854–859, 1958

[2] Gough, E. et al.:Systematic Review of Intestinal Microbiota Transplantation (Fecal Bacteriotherapy) for Recurrent Clostridium difficile Infection. In: Clinical Infectious Diseases 53, S. 994–1002, 2011

[3] Borody, T.J., Khoruts, A.:Fecal microbiota transplantation and emerging applications. In: Nature Reviews Gastroenterology and Hepatology 10.1038/nrgastro.2011.244, 2011

[4] Heijtz, R.D. et al.:Normal gut microbiota modulates brain development and behavior. In: Proceedings of the National Academy of Sciences 10.1073/pnas.1010529108, 2011

[5] Vrieze, A. et al.: Metabolic effects of transplanting gut microbiota from lean donors to subjects with metabolic syndrome. 46th Annual Meeting of the European Association for the Study of Diabetes, Stockholm, 20.09–24.09.2010

[6] Kahn, S.A. et al.:Fecal bacteriotherapy for ulcerative colitis: Patients are ready, are we?. In: Inflammatory Bowel Diseases 10.1002/ibd.21775, 2011

Schreiben Sie uns!

Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.

Partnerinhalte

Bitte erlauben Sie Javascript, um die volle Funktionalität von Spektrum.de zu erhalten.