Supercomputer: Der Regionalexpress
Wie die Zeit vergeht! Als vor acht Jahren ein Superrechner namens "Roadrunner" die Petaflop-Barriere durchbrach, war das ein vielbeachteter Rekord. Eine Billiarde (1015) Rechenoperationen pro Sekunde hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch kein Computer geschafft.
Mittlerweile wird diese Leistung bereits in der Regionalliga geboten – von dem Rechner, der am 4. März auf dem Campus Nord des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) feierlich eingeweiht wurde. Es handelt sich um ein echtes baden-württembergisches Landeskind, (teil-)finanziert aus Mitteln des Landeshaushalts, geliefert von der mittelständischen Firma transtec aus Reutlingen und den Bedürfnissen der im Ländle ansässigen Forscher zugedacht. Wissenschaftsministerin Theresia Bauer ließ es sich nicht nehmen, gemeinsam mit Vertretern der Betreiber und der Nutzer den symbolischen Einschaltknopf zu drücken.
Auf der Top500, der Liste der 500 weltschnellsten Rechner, wird er wahrscheinlich einen Platz in den Neunzigern einnehmen – wenn er erst seine Prüfungsaufgaben gerechnet hat. Das Gerät trägt den sperrigen Namen "ForHLR II" (Forschungs-Hochleistungsrechner II); die Vorläufermaschine mit der Nummer I steht schon auf dem Campus Süd und wird mit ihrer mächtigeren Schwester über eine spezielle Hochleistungs-Datenleitung in engem Kontakt stehen.
Die richtig großen Supercomputer stehen in Deutschland an drei Plätzen: Jülich, Stuttgart und München. Die werden reihum bedient, wenn, wie häufig, eine neue Rechnergeneration an der Reihe ist, und dort erreicht Deutschland in dem großen Prestige-Wettrennen um die größte Rechenpower, das sich im Wesentlichen in den USA und neuerdings in China abspielt, immerhin gewisse Achtungserfolge. Wozu braucht Baden-Württemberg aber einen Landessuperrechner, wenn ein Weltklassegerät in der Landeshauptstadt steht?
Hochleistungsrechner sind eigentlich immer ausgebucht. Und auch ein Forscher aus Tübingen, der in Stuttgart rechnen lassen will, muss sich gegen Anträge aus mindestens ganz Deutschland behaupten. Da kann es durchaus ein Standortvorteil sein, wenn man auf einen Rechner ausweichen kann, der nur Landeskindern zur Verfügung steht. Speziell dieser Rechner ist darauf ausgelegt, große Mengen externer Mess- oder Simulationsdaten zu verarbeiten, für die die großen Rechner keine ausreichenden Lagerkapazitäten vorsehen.
Zum neuen Rechner gibt es ein neues Gebäude. Das erlaubt dem neuen Gerät einen Nebentätigkeit als Heizofen. Im Volllastbetrieb verwandelt der Rechner ungefähr ein Megawatt elektrischer Leistung in Wärme (der Roadrunner verheizte noch das Doppelte); mit einer eigens konzipierten Heißwasserkühlung erwärmt er das Kühlwasser von 40 auf 45 Grad Celsius. Das genügt, um einerseits der Maschine einen hinreichend kühlen Kopf zu bewahren (immerhin drei Viertel der Wärme werden auf diesem Weg abgeführt) und andererseits den Menschen im Gebäude wohlige Wärme zu verschaffen.
Wer durchs Erdgeschoss wandelt (der eigentliche Rechner steht ein Stockwerk höher), fühlt sich unweigerlich wie ein Hobbit im Menschenhaus. Die Türen müssen 2,50 Meter hoch sein, um die dicken Wasserkessel und die zugehörigen Rohrleitungen hereinzulassen. In einem Nebenraum stehen reichlich 800 Batterien bereit, um bei einem Stromausfall die volle Leistung immerhin eine Viertelstunde aufrechtzuerhalten. Auch der Monitor ist etwas größer dimensioniert: Wer will, kann sich die vertraute Windows-Benutzeroberfläche im Format 6,7 mal 2,3 Meter anschauen. Aber eigentlich ist die Bildwand, die von hinten von zwei Hochleistungsprojektoren angestrahlt wird, zum Vorführen von Simulationsergebnissen vorgesehen – in Stereo: Sechzig Mal pro Sekunde zeigt die Wand abwechselnd das Bild fürs linke und fürs rechte Auge, und die Spezialbrille auf der Nase des Betrachters verdunkelt im Gleichtakt das Brillenglas vor dem jeweils falschen Auge. Der Rechner selbst würde in einem hochherrschaftlichen Wohnzimmer ohne weiteres Platz finden; nebenan ist noch einmal dieselbe Fläche freigehalten worden – für eine Erweiterung, die noch nicht beschlossen ist.
Natürlich sagen bei einer solchen Einweihung alle Beteiligten nur Gutes übereinander, und höchstens ein Seufzer im Nebensatz kündet von irgendwelchen Unstimmigkeiten. Diesmal wurde vernehmlich geseufzt, wie schwierig es war, ein Universitätsgebäude auf ein Forschungszentrumsgrundstück zu setzen. Wie war das? Seit Oktober 2009 sind die Universität Karlsruhe und das Forschungszentrum Karlsruhe zum KIT vereint. Aber ganz offensichtlich haben die Eheleute damals Gütertrennung vereinbart und nehmen das nach wie vor bitter ernst – ein bisschen schwierig nachzuvollziehen für den Außenseiter, dem es nicht so darauf ankommt, ob sein Steuergeld auf dem Weg über die Bundes- oder die Landeskasse in das Projekt fließt. Die Kunst am Bau hat diesmal eine originelle Form angenommen. Man sieht einen großen Stein auf dem Rasen vor dem Gebäude liegen – und dann denselben Stein in verschiedenen Größen!
Der Künstler Timm Ulrich hat einen echten Stein abgescannt, in den verschiedenen Größen in Bronze nachgegossen (die Gussformen im computergesteuerten 3D-Druck hergestellt) und die Repliken täuschend echt angemalt. Erst ein gezielter Faustschlag hilft, das (nicht scheppernde) Original von den Kopien zu unterscheiden.
Der Rekordmeister von 2008 lebt übrigens nicht mehr. Der "Roadrunner" wurde am 31. März 2013 endgültig außer Betrieb genommen, weil seine Energieeffizienz nicht mehr dem Stand der Technik entsprach. Seine Deintegration hat dem Vernehmen nach neun Millionen Dollar gekostet – immerhin ein Viertel des Neupreises für den ForHLR. Warum dieser Aufwand? Weil der Roadrunner auch mit Staatsgeheimnissen beschäftigt war und diese Arbeiten möglicherweise subtile Spuren in der Hardware hinterlassen haben könnten, wurde das große Gerät nicht nur auseinandergenommen, sondern jedes seiner Bestandteile einzeln unbrauchbar gemacht.
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