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Tagebuch: Auf der Internationalen Supercomputer-Tagung

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Noch heute weckt der Name "Jülich" in mir nostalgische Gefühle. Das waren noch Zeiten, als ich noch vor dem Studium meinen ersten Ferienjob im "Zentralinstitut für Angewandte Mathematik" (ZAM) der "Kernforschungsanlage Jülich" absolvierte. Ein Großrechner von IBM mit sagenhaften 8 Megabyte Arbeitsspeicher, Fortran IV, Lochkarten, die ersten selbstgeschriebenen Programme – was war das alles erregend! Und so viele richtige Mathematiker, die souverän damit umgehen konnten.
"Zugleich laut, rau-herzlich und weltläufig" | Hans Meuer ist ehemaliger Chef des Mannheimer Uni-Rechenzentrums und seit 1986 Veranstalter der jährlich stattfindenden International Supercomputing Conference.
Besonders beeindruckte den kleinen Pöppe der große Hans Meuer, der stellvertretende Chef des Instituts, mit seiner zugleich lauten, rau-herzlichen und weltläufigen Art.

Das ist alles ziemlich lange her. Die allgemeine Begeisterung für die Kernenergie hat spürbar nachgelassen, die Kernforschungsanlage wurde entsprechend der Abkehr vom ursprünglichen Daseinszweck in "Forschungszentrum" umbenannt, Hans Meuer wurde Chef des Rechenzentrums der Mannheimer Universität und ist inzwischen pensioniert. Aber das ZAM hat überlebt und ist sogar zum Großrechenzentrum von nationaler Bedeutung herangewachsen.

Hans Meuer organisiert seit 1986 – unverändert laut und herzlich und mit Hilfe eines über die Jahre herangewachsenen Freundeskreises – die europäische Hälfte der "International Supercomputing Conference" (zu der ich in SdW eine ganze Reihe Artikel geschrieben habe), die zurzeit zum 24. Mal stattfindet, dieses Jahr erstmals in Hamburg. Wie auf dem amerikanischen Pendant, das jährlich im November abgehalten wird, wird dabei jedes Mal die aktuelle Liste der 500 weltschnellsten Computer, die "Top500", veröffentlicht.

Die leistungsfähigsten stehen in den USA – und in Jülich

Und diesmal haben der große Meuer und der kleine Pöppe Anlass zu nostalgischem Jubel. Denn Nummer 3 in der neuen Liste und leistungsfähigster Computer Europas ist ein Computer namens JUGENE vom Typ IBM Blue Gene/P in Jülich. Mit einer Leistung von 825 Teraflops (Billionen Rechenoperationen pro Sekunde) steht er den beiden Erstplatzierten (1105 beziehungsweise 1059 Teraflops) nur geringfügig nach. Und nicht nur das: Auf Platz 10 steht ebenfalls ein Jülicher Gerät namens JUROPA. Unter den ersten zehn sind diese beiden die einzigen, die nicht in den USA stehen.

Platz 1 in der Liste der Top500 ist immer noch der "Roadrunner" von Los Alamos (New Mexico), der letztes Jahr spektakulär die Petaflop-Hürde überwand: 1015 Rechenoperationen pro Sekunde (siehe Superrechner mit Playstation-Chips" in SdW August 2008). Um den ersten Rang zu halten, mussten die Erbauer noch ein paar Prozessoren dazustöpseln, denn der "Roadrunner" (wörtlich: Rennkuckuck, ein in New Mexico beheimateter, zu ungewöhnlich schnellem Lauf befähigter Vogel) spürte bereits den heißen Atem des "Jaguar" in seinem Rücken. Das Raubtier stammt aus dem Stall von Cray, dem Hersteller, dessen Name noch immer mit den ersten echten Hochleistungsrechnern Mitte der achtziger Jahre verbunden ist und der vor mehreren Jahren zerschlagen, aufgekauft und wieder neu gegründet wurde. Und sein Atem ist in der Tat heiß: Sein Energieverbrauch – und damit seine Abwärme – liegt bei knapp dem Dreifachen von jenem des Laufvogels.

An dieses Tempo muss man sich gewöhnen

Damit liegt er auf dem Niveau dessen, was auf dieser Konferenz abschätzig als "Altgerät" bezeichnet wird: diese langweiligen Dinger, die vor vier Jahren auf Platz 1 standen, inzwischen Industriestandard geworden sind und sich in absehbarer Zeit am unteren Ende der Liste wiederfinden werden. An dieses Fortschrittstempo muss man sich in der Branche gewöhnen. Ein Faktor 1000 in der Leistung in 11 Jahren gilt als normal, er ist ja auch in den letzten 30 Jahren ziemlich genau eingehalten worden. "Typischerweise landet das System auf Platz 1 in sechs bis acht Jahren auf Platz 500 und ist weitere acht bis zehn Jahre später als Notebook zu haben."

Gemessen an der Ausgleichsgeraden im logarithmischen Diagramm ist der Roadrunner sogar schon nicht mehr auf der Höhe der Zeit. Zumindest der unteren dieser zwei Grafiken zufolge, wo ihn jeweils das kleine rote Quadrat symbolisiert, das am weitesten rechts liegt, hätte ihn schon ein anderer Computer überholen müssen. Und siehe da: Die Gerüchte wollen nicht verstummen, dass der Jaguar den ersten Platz hätte kriegen können, wenn der Testlauf zur Lösung eines riesenhaften linearen Gleichungssystems (die "Linpack benchmark"), das "Qualifizierungsspiel" für die Liste, nicht kurz vor Schluss an einem dämlichen technischen Defekt gescheitert wäre. Die offizielle Version von Cray sagt, dass man bei der hohen Auslastung des "Jaguar" die 15 Stunden Rechenzeit für den Testlauf nicht erübrigen konnte.

294912? Das ist Rekord!

Wie üblich fasst am ersten Tag Erich Strohmaier vom Lawrence Berkeley National Laboratory die Neuigkeiten aus der Top500 zusammen. Den Spitzenplatz für Europa hält der genannte JUGENE, der obendrein mit 294912 Stück den Rekord in der Anzahl der Prozessoren hält. Für den Rest der Welt gibt es einige unerwartete Verschiebungen: Platz 1 in der Region "Middle East" (Platz 14 im Gesamtklassement) hält ein IBM Blue Gene an der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST) in Saudi-Arabien. In der Region "Asia" (die ein Deutscher vielleicht eher "Fernost" nennen würde) steht der schnellste Computer nicht, wie erwartet, in Japan, sondern in China.

Der "Magic Cube" von Dawning steht auf Platz 15 der Liste und läuft kurioserweise mit dem Betriebssystem Windows. Aber der "Earth Simulator", der vor sieben Jahren die Supercomputer-Welt aufschreckte und in der Zwischenzeit nach unten aus der Liste herausgefallen war, ist nach einer Aufrüstung, die fast einem Neubau gleichkommt, wieder auf Platz 22 und damit der einzige Vektorrechner in der ganzen Liste.

Überhaupt: Die Gesamtliste bietet ein ziemlich einheitliches Bild, während es auf den vordersten 50 Plätzen deutlich bunter zugeht. 80 Prozent der Prozessoren in den Geräten der Top500 stammen von Intel. Zu Computern zusammengestöpselt wurden sie überwiegend von HP und IBM; dabei hat HP bei der Anzahl der installierten Rechner die Nase vorn und IBM bei der kumulierten Rechenleistung. Stand der Technik sind 4 Prozessoren pro Chip ("Quadcore" von Intel); höhere Anzahlen finden sich im oberen Leistungssegment und fahren dort erste spektakuläre Erfolge ein.

Kompromiss zwischen der eigenen Denkgeschwindigkeit
und jener der Zuhörer


Wie sieht die Zukunft des Supercomputing aus? In seinem Hauptvortrag ("keynote speech") weist Andreas von Bechtolsheim, der legendäre Gründer von SUN und zahlreichen weiteren Firmen, der Community den Weg (vor ein paar Tagen habe ich mit ihm ein Interview geführt). Auch für die Maßstäbe dieser hochkarätig besetzten Vereinigung hat "Andy" Wunderkind-Status – was ihn nicht hindert, freundlich und bescheiden aufzutreten. Aber er findet nur mit erkennbarer Mühe einen Kompromiss zwischen seiner eigenen Denk- und Sprechgeschwindigkeit und dem Aufnahmevermögen seiner Zuschauer.

Wie wird man in den nächsten elf Jahren den nächsten Faktor 1000 zu Stande bringen? Na ja, da gibt es "Moore’s law", was hier einem Naturgesetz gleichgeachtet wird: Alle zwei Jahre verdoppelt sich die Anzahl der elementaren Bauelemente pro Flächeneinheit. Aber damit ganz oben an der Spitze das Fortschrittstempo doppelt so hoch bleibt wie in den letzten dreißig Jahren, muss man sich noch etwas mehr Mühe geben.

• Mehr Prozessoren pro Rechner? Kostet in erster Näherung nicht viel Fantasie, aber Geld. Mehr als 20 Prozent Steigerung pro Jahr wird aus den (überwiegend staatlichen) Geldgebern nicht herauszuholen sein.

• Die Schaltgeschwindigkeit der Bauteile selbst nähert sich ihren physikalischen Grenzen. Bei den aktuellen Schaltzeiten wird selbst die Lichtgeschwindigkeit quälend langsam. Vielleicht sind da noch 5 Prozent pro Jahr zu schaffen.

• Den wesentlichen Fortschritt muss die Einführung des WG-Prinzips für Prozessoren bringen. Viele Recheneinheiten ("cores") leben auf einem Chip zusammen und kommunizieren rasch und problemlos miteinander.

• Die Verständigung der WGs untereinander (über "network switches", von Bechtolsheims aktuelles Arbeitsgebiet) muss auch noch schneller werden.

• Schließlich muss der Energieverbrauch pro Prozessor drastisch sinken, wenn in zehn Jahren der schnellste Superrechner ohne ein eigenes Großkraftwerk auskommen soll.

Finanzkrise? Kein Thema

Zu all diesen Themen hat Andreas von Bechtolsheim schon relativ konkrete Vorstellungen – soweit das in diesem rasend schnellen Geschäft überhaupt möglich ist. Offensichtlich überfordert diese Geschwindigkeit auch den Chef der Veranstaltung. Als Hans Meuer die Treppe zur Bühne hinaufstürmt, um dem Redner zu gratulieren, fällt er voll auf die Nase – und rappelt sich ganz schnell wieder auf. So etwas kommt vor im Supercomputer-Geschäft – siehe Cray.

Die Konferenz selbst verzeichnet einen neuen Besucherrekord mit mehr als 1500 Teilnehmern. Nach Mannheim, Heidelberg und Dresden hat die Tagung im CCH Hamburg nun endlich Platz für alle interessierten Aussteller gefunden. Finanzkrise? Ist für die Supercomputing Community kein Thema. (Nur die Hamburger Wissenschaftssenatorin muss ihr Grußwort kurzfristig an einen Vertreter abtreten. Dringliche Budgetverhandlungen rufen!) Während die CeBIT froh sein musste, mit einem Einbruch von 20 Prozent davonzukommen, hat die ISC (die sich derzeit hier – mit Pausen – als Livestream anschauen lässt) an Größe noch einmal zugelegt.

Aber ein wesentlicher Teil der Kunden sind doch die Autohersteller? Stimmt, hieß es auf der Pressekonferenz. Und wovon sollen die jetzt ihre neuen Supercomputer bezahlen? Sie werden das Geld irgendwo herholen müssen, war die Antwort. Denn wenn sie jetzt nicht in die Entwicklung – zum Beispiel – kraftstoffsparender Autos investieren, wird's ernst: "That might shorten their lifetime". Ach so.

Christoph Pöppe

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