Tagebuch: Die Zähmung der Komplexität
Die Frage nach der Steuerbarkeit komplexer Systeme ist ein großes Forschungsthema nicht nur für Netzwerktheoretiker, sondern auch für die Entscheidungs- und Steuerungstheorie. Anwendungen finden sich überall in Natur, Technik und Gesellschaft – fast alles was uns umgibt, ist schließlich in irgendein Netzwerk eingebunden, auch wir selbst. Es geht um folgende Fragen: Wie reagieren komplexe Systeme auf äußere Einflüsse? Und wie weit muss man gehen, um ihr Verhalten tatsächlich in den Griff zu bekommen, sie also zu einem gewünschten Ziel führen zu können?
Allen Netzwerken ist ein Muster gemeinsam
Die Computerwissenschaftler Yang-Yu Liu und Albert-László Barabási von der Northwestern University in Boston sowie Jean-Jacques Slotine vom MIT haben ihre Resultate kürzlich im Fachblatt Nature publiziert (12. Mai, S. 167). Ob soziale Systeme, regulatorische Gene oder technische Infrastrukturen wie Stromnetze oder das Internet – allen diesen Netzwerken ist ein Muster gemeinsam: Sie lassen sich beschreiben als Kombination von Knoten und ihren Verbindungen, den so genannten Kanten. In den Knoten fallen die Entscheidungen (wenn es sich etwa um Menschen handelt), allgemeiner verändern sie ihren inneren Zustand. In die Knoten werden die Informationen eingespeist, die sich dann entlang den Verbindungen zu anderen Knoten und im ganzen Netz ausbreiten.
Was die Netzwerktheoretiker vor allem interessiert: Wie schwer ist es, ein Netzwerk zu steuern, es also in endlicher Zeit von einem gegebenen Zustand kontrolliert in einen Zielzustand zu überführen? Welche und wie viele der Knoten müssen also mindestens mit Informationen gefüttert werden, damit schließlich das ganze System den Wünschen des Kontrolleurs folgt?
Speist man Informationen über bestimmte Knoten ins Netz, dann verändern sich die Zustände anderer Knoten – also etwa die Parteizugehörigkeit in einem Netzwerk politischer Meinungsträger, die Meinung von Freunden auf Facebook oder die Proteine, die eine Zelle produziert. Wie und wie schnell das abläuft, hängt natürlich davon ab, wie die Verbindungen im Netzwerk konkret aussehen (seine Topologie), welche Daten zwischen den Knoten laufen und wie diese daraufhin ihre Entscheidungen oder Zustände verändern.
Wer ein bestimmtes Netzwerk beeinflussen oder eben völlig kontrollieren will, muss also zuerst die besonderen Knoten für eine optimale Wirkung aufspüren, etwa die Stellen in einem Gewebe finden, an denen ein Medikament am besten eingespritzt wird. Geht es nur um eine möglichst rasche Ausbreitung der Information, dann reicht es, einige wichtige "Entscheidungsknoten" aufzuspüren. Aber auch die Art und Weise, wie die Information sich im Netz ausbreitet und wie die Knoten damit umgehen, um ihren Zustand verändern, ist zu berücksichtigen. Deshalb griffen die Forscher in ihrer Studie auf die Netzwerktheorie und Steuerungstheorie zurück.
Wer sind die Mächtigen im Netz?
Ja nach Netzwerktyp, so ein Ergebnis, hängt die Steuerbarkeit an der Topologie des Systems. Überraschenderweise sitzen die Entscheidungsknoten eher nicht an den Zentren mit den meisten Verbindungen. In sozialen Netzwerken kann das bedeuten, dass die wahren Beeinflusser gar nicht diejenigen mit den meisten "Followern" sind.
Auch die minimale Anzahl der Entscheiderknoten, die nötig sind, um in einem konkreten Netz die totale Kontrolle auszuüben, konnten die Forscher eruieren. So sind, jedenfalls in ihren Simulationen, soziale Netzwerke wesentlich leichter zu steuern als etwa biologische Reaktionsnetze in Zellen. Um etwa ein regulatorisches Gen-Netzwerk zu steuern, müssen mindestens 80 Prozent der Verbindungsstellen kontrolliert werden. Dagegen reichen bei manchen sozialen Netzwerken bereits 20 Prozent. Generell sind offenbar technische Netze wie Stromverbindungen oder das Internet weitaus einfacher zu steuern als soziale Netze oder gar die Genregulation in Zellen. Der Grund dafür klingt plausibel: Elektronische Systeme besitzen in der Regel viel mehr Verbindungen der Teile untereinander und sind zugleich homogener als biologische oder soziale Netzwerke.
Auf einen praktischen Punkt weisen die amerikanischen Forscher noch hin: Bisher konnten typischerweise nur sehr kleine Netze explizit numerisch berechnet werden; meist wuchs die Rechenlast bereits ab einigen Dutzend Knoten ins Unermessliche. Dieses Problem umgehen Liu und Mitarbeiter, indem sie Methoden der statistischen Physik einsetzen. "Wir besitzen jetzt die Werkzeuge", notieren die Forscher, "um die Steuerbarkeit von Netzwerken beliebiger Größe und Topologie zu behandeln." Womöglich haben sie damit einen Weg eröffnet, wie sich auch undurchschaubare komplexe Situationen und Systeme doch noch in den Griff bekommen lassen.
Je nach Konfiguration verhalten sich Netze sehr unterschiedlich. So sind nach gängiger Meinung etwa soziale Netzwerke schwerer zu steuern als zum Beispiel biologische Systeme. Aber erstaunlicherweise ist das nicht der Fall. Vielmehr scheint es, dass gerade inhomogene Netzwerke mit relativ wenigen internen Verknüpfungen, wie sie in der Natur häufig vorkommen, am allerschwierigsten zu dirigieren sind. Dagegen lassen sich dichte und homogene Netzwerke oft schon durch die Kontrolle weniger Knoten in den Griff bekommen.
Allen Netzwerken ist ein Muster gemeinsam
Die Computerwissenschaftler Yang-Yu Liu und Albert-László Barabási von der Northwestern University in Boston sowie Jean-Jacques Slotine vom MIT haben ihre Resultate kürzlich im Fachblatt Nature publiziert (12. Mai, S. 167). Ob soziale Systeme, regulatorische Gene oder technische Infrastrukturen wie Stromnetze oder das Internet – allen diesen Netzwerken ist ein Muster gemeinsam: Sie lassen sich beschreiben als Kombination von Knoten und ihren Verbindungen, den so genannten Kanten. In den Knoten fallen die Entscheidungen (wenn es sich etwa um Menschen handelt), allgemeiner verändern sie ihren inneren Zustand. In die Knoten werden die Informationen eingespeist, die sich dann entlang den Verbindungen zu anderen Knoten und im ganzen Netz ausbreiten.
Was die Netzwerktheoretiker vor allem interessiert: Wie schwer ist es, ein Netzwerk zu steuern, es also in endlicher Zeit von einem gegebenen Zustand kontrolliert in einen Zielzustand zu überführen? Welche und wie viele der Knoten müssen also mindestens mit Informationen gefüttert werden, damit schließlich das ganze System den Wünschen des Kontrolleurs folgt?
Speist man Informationen über bestimmte Knoten ins Netz, dann verändern sich die Zustände anderer Knoten – also etwa die Parteizugehörigkeit in einem Netzwerk politischer Meinungsträger, die Meinung von Freunden auf Facebook oder die Proteine, die eine Zelle produziert. Wie und wie schnell das abläuft, hängt natürlich davon ab, wie die Verbindungen im Netzwerk konkret aussehen (seine Topologie), welche Daten zwischen den Knoten laufen und wie diese daraufhin ihre Entscheidungen oder Zustände verändern.
Wer ein bestimmtes Netzwerk beeinflussen oder eben völlig kontrollieren will, muss also zuerst die besonderen Knoten für eine optimale Wirkung aufspüren, etwa die Stellen in einem Gewebe finden, an denen ein Medikament am besten eingespritzt wird. Geht es nur um eine möglichst rasche Ausbreitung der Information, dann reicht es, einige wichtige "Entscheidungsknoten" aufzuspüren. Aber auch die Art und Weise, wie die Information sich im Netz ausbreitet und wie die Knoten damit umgehen, um ihren Zustand verändern, ist zu berücksichtigen. Deshalb griffen die Forscher in ihrer Studie auf die Netzwerktheorie und Steuerungstheorie zurück.
Wer sind die Mächtigen im Netz?
Ja nach Netzwerktyp, so ein Ergebnis, hängt die Steuerbarkeit an der Topologie des Systems. Überraschenderweise sitzen die Entscheidungsknoten eher nicht an den Zentren mit den meisten Verbindungen. In sozialen Netzwerken kann das bedeuten, dass die wahren Beeinflusser gar nicht diejenigen mit den meisten "Followern" sind.
Auch die minimale Anzahl der Entscheiderknoten, die nötig sind, um in einem konkreten Netz die totale Kontrolle auszuüben, konnten die Forscher eruieren. So sind, jedenfalls in ihren Simulationen, soziale Netzwerke wesentlich leichter zu steuern als etwa biologische Reaktionsnetze in Zellen. Um etwa ein regulatorisches Gen-Netzwerk zu steuern, müssen mindestens 80 Prozent der Verbindungsstellen kontrolliert werden. Dagegen reichen bei manchen sozialen Netzwerken bereits 20 Prozent. Generell sind offenbar technische Netze wie Stromverbindungen oder das Internet weitaus einfacher zu steuern als soziale Netze oder gar die Genregulation in Zellen. Der Grund dafür klingt plausibel: Elektronische Systeme besitzen in der Regel viel mehr Verbindungen der Teile untereinander und sind zugleich homogener als biologische oder soziale Netzwerke.
Auf einen praktischen Punkt weisen die amerikanischen Forscher noch hin: Bisher konnten typischerweise nur sehr kleine Netze explizit numerisch berechnet werden; meist wuchs die Rechenlast bereits ab einigen Dutzend Knoten ins Unermessliche. Dieses Problem umgehen Liu und Mitarbeiter, indem sie Methoden der statistischen Physik einsetzen. "Wir besitzen jetzt die Werkzeuge", notieren die Forscher, "um die Steuerbarkeit von Netzwerken beliebiger Größe und Topologie zu behandeln." Womöglich haben sie damit einen Weg eröffnet, wie sich auch undurchschaubare komplexe Situationen und Systeme doch noch in den Griff bekommen lassen.
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