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Tagebuch: Ein Bild sagt mehr als tausend Worte!

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Berlin, 21. September 2006
2. Tag des 5. Symposiums der Internationalen Studiengruppe zur Musikarchäologie

Musikarchäologen lieben Mosaike, Fresken, Reliefs, Skulpturen, liefern sie ihnen doch mitunter Darstellungen längst vergangener Musikinstrumente und musikalischer Praktiken. Eine Hürde ist nur, die mehr als tausend Worte zu lesen. Denn die Bildsprache der Antike und unsere heutige sind nicht unbedingt identisch. What you see, is not necessarily what you get, if you are an archaeologist. Warum, so fragte Graeme Lawson vom McDonald Institute for Archaeological Research in Cambridge (England), zeigen so viele Bilder des römischen Empires die Kithara, das Renommierstück unter den antiken Leiern, doch bei Grabungen finden sich kaum eindeutige Belege für sie? Die deutlich seltener dargestellte Laute kommt weitaus häufiger zum Vorschein. Und warum malten und bildhauerten Künstler die Panflöte stets als Gebinde von Schilfrohren, getreu der Mythologie, wenn doch alle bekannten Exemplare solide Körper aus Keramik oder Holz sind?

Achtung also vor Bildern, so die Botschaft Lawsons, sie geben die historische Realität viellicht doch nicht adäquat wieder. Oder wir verstehen sie nur nicht zu lesen, raunt mir meine Banknachbarin im Hörsaal zu. Solange sich die Musikhistoriker nicht sicher über den ikonografischen Code sein können, helfen ihnen die Archäologen aus der Patsche und liefern Handfestes. Davon berichtete auch Christophe Vendries von der Université de Rennes. Sein Arbeitsgebiet: Darstellungen musikalischer Instrumente auf römischen Grabsteinen. Wie Handwerker wurden auch Musiker der Nachwelt oft mittels ihrer „Werkzeuge“ in Erinnerung gehalten. Hier ruht Marcus, er spielte die Tuba in unserer Legion. Doch nicht immer sind die Darstellungen Jahrhunderte später gut zu lesen. So gibt ein Grabstein aus Mainz Rätsel auf, da außer der Trompete mit ihrem Schalltrichter noch ein dünnes Rohr zu sehen ist und beide gemeinsam in ein dickliches Etwas münden. Das ganze erinnert an einen Dudelsack, allerdings ohne Windsack. Dementsprechend glauben manche Experten, hier den ersten Beleg für ein solches Instrument in der römischen Antike in Händen zu halten. Falsch, meint Christophe Vendries. Ein neu bearbeiteter Hortfund auf französischem Boden beweist, dass manche Tuba in mehrere Teile zerlegt werden konnte. Also hat der Steinmetz wohl dies anzudeuten versucht. Das dicke Ding ist möglicherweise ein Mundstück. Man sollte Bilder eben nicht zu wörtlich nehmen.

Da hilft mitunter ein frischer Blick von außen. Der irische Musiker Simon O'Dwyer ist ein Spezialist im Nachbau und Spiel bronzezeitlicher Instrumente. Als er zur Bebilderung eines Buches eine Darstellung König Davids aus dem Canterbury Psalter wählte, einer im 8. Jahrhundert n. Chr. entstandenen Handschrift, störte ihn die unnatürliche Körperhaltung der Schreiber, die Davids Gesang, von Gott inspiriert, nach Lehrmeinung notieren. Vier Musiker und zwei Tänzer sowie der Leier spielende David seien sehr präzise abgebildet. Und ist schon einmal jemandem aufgefallen, dass der Heiligenschein hinter dem König eher wie ein Teil seines Throns wirkt? Und was bedeutet es, dass in einem Schmuckelement auf der Linken zwei Hunde Laut geben, während ihre Pendants auf der Rechten sich die Ohren zuhalten? O'Dwyers Idee, es handele sich um eine Band, die Schreiber spielten in Wirklichkeit eine Art umgekehrte Sackpfeife, findet zwar keine Anhänger, doch ansonsten – strahlende Gesichter. Neue Fragen an alte Bilder, was will man mehr?

Von Klaus-Dieter Linsmeier

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