Tagebuch: Es geschieht uns ja völlig recht
Viele Banker nutzten veraltete Börsenkursmodelle, erläuterte jüngst der Freiburger Finanzmathematiker Ernst Eberlein auf der Berliner Tagung "Mathematik – die verborgene Struktur unserer Welt?"
Eberlein schimpft höchst zivilisiert und mit mathematischen Modellen untermauert. Aber auch wenn er es nicht direkt sagt, kann man doch das Wort "Deppen!" immer wieder heraushören. Warum? Hier einige der wichtigsten Gründe, die nach Eberleins Sicht zur jetzigen Krise führten. Wie so oft hat die letzte Krise die Vorlage geliefert: nämlich die niedrigen Zinsen nach dem Platzen der Internetblase 2001.
Das blähte vor allem in den USA das Volumen von Hypotheken "geringer Qualität" drastisch auf. Subprimes heißt seitdem das Schimpfwort, und alle Banken, die über ihre legitimen Töchter undurchschaubare Risiken eingingen, zumal gegenüber Kreditnehmern ohne jede Bonität, sitzen jetzt auf Wagenladungen heißer Kartoffeln.
Der Strohhalm, der dem Kamel den Rücken brach, war die Pleite der Bank Lehman Brothers praktisch über Nacht. Mich interessierte die Modellierung dieser Krise. Wenn Fachleute darüber sprechen, klingt das zwar zum Teil recht haarsträubend, wenn man im Börsenjargon nicht so firm ist. Aber klar wird doch, dass die Modelle für die Bewegungen der Aktienkurse auf dem Prinzip der Brownschen Bewegung aus der Physik beruhen. Das erste Modell dieser Art stammte übrigens von Louis Bachelier (1870-1946), einem Schüler des großen Mathematikers Henri Poincaré. Er entwickelte es fünf Jahre, bevor Einstein das Phänomen der Brownschen Bewegung erklärte. Damals unerkannt, gilt Bachelier heute als Gründer der Finanzmathematik.
Konstante oder Variable? – Kein geringer Unterschied
Nun, heute operieren die so genannten Experten auf Basis einer "geometrischen Brownschen Bewegung" nach einem Modell von Paul Samuelson von 1959, das 1973 im so genannten Black-Scholes-Modell erweitert wurde – immer noch dem Standardmodell für Kursentwicklungen. Doch es unterschätzt die Bedeutung von großen täglichen Kurssprüngen, weshalb die Theorie längst weiterentwickelt wurde und von einer Gauß-Verteilung der täglichen Kursschwankungen zu verallgemeinerten hyperbolischen Verteilungen mit fünf Parametern überging. Damit kriegt man die "Sprungprozesse" offenbar besser in den Griff.
Wo es in den Modellen ebenfalls hakt, sind – so Eberlein – die "impliziten Korrelationen". Einfach gesagt drückt dieser Faktor in einem Portfolio die wechselseitige Abhängigkeit von Krediten aus, ist ein Maß für das Systemrisiko – und letzteres war eben in der Finanzkrise sehr hoch.
In den alten Modellen aus den späten 80er Jahren werden diese Korrelationen gleich einer Konstanten gesetzt. In Wahrheit und in der beobachtbaren Börsenwirklichkeit, das zeigte Eberlein, sind sie jedoch hochvariabel. Klar fordert der Freiburger, wie alle, mehr Transparenz und einfachere "Produkte", seriösere Ratingmethoden, eine zuverlässige Validierung der eingesetzten Finanzmodelle – und eben mehr Expertise in den Finanzinstituten.
Schließlich sei die Finanzwirtschaft eine Hightech-Branche. Also sei es mehr als nur angemessen, sich mehr und anspruchsvollere Mathematik zu leisten. Ernst Eberleins bitteres Resümee: "Es ist eben sehr gefährlich, anderen Leuten Geld zu verleihen."
Reinhard Breuer
Wer Ernst Eberlein zuhört, den kann das schiere Grausen befallen. Nicht über seinen Vortrag, der war wunderbar, wenn nicht sogar aufwühlend. Ich hatte neulich das Vergnügen in Berlin, im Rahmen einer Tagung über "Mathematik und Wirklichkeit". Die fand im hübschen Deutschen Technikmuseum statt, und zwar in deren Lokschuppen, inmitten der Technik gigantischer Dampf- und Dieselloks. Ein passender Rahmen, um zu hören, wie der Finanzmathematiker von der Universität Freiburg den Bankern die Leviten liest. (In "Spektrum" werden wir im Herbst seinen Beitrag zum Thema publizieren.)
Eberlein schimpft höchst zivilisiert und mit mathematischen Modellen untermauert. Aber auch wenn er es nicht direkt sagt, kann man doch das Wort "Deppen!" immer wieder heraushören. Warum? Hier einige der wichtigsten Gründe, die nach Eberleins Sicht zur jetzigen Krise führten. Wie so oft hat die letzte Krise die Vorlage geliefert: nämlich die niedrigen Zinsen nach dem Platzen der Internetblase 2001.
Das blähte vor allem in den USA das Volumen von Hypotheken "geringer Qualität" drastisch auf. Subprimes heißt seitdem das Schimpfwort, und alle Banken, die über ihre legitimen Töchter undurchschaubare Risiken eingingen, zumal gegenüber Kreditnehmern ohne jede Bonität, sitzen jetzt auf Wagenladungen heißer Kartoffeln.
Das meiste ist heute schmerzlich, auch die seltsame, fast naive Gläubigkeit der Banken an die Ratings der Ratingagenturen – abgestraft wurden diese dafür offenbar kaum. Aber kaum einer sagt es wie Ernst Eberlein: "In den meisten Finanzinstitutionen mangelt es an Kompetenz." Die hohen Verflechtungen der Transaktionen produzierten ein Systemrisiko, das in den Finanzmodellen nicht vorgesehen war. "Viele benutzten veraltete mathematische Modelle", konstatiert der Professor. Als die Risiken sichtbar wurden, führte das ziemlich ruckartig in die Illiquidität.
Der Strohhalm, der dem Kamel den Rücken brach, war die Pleite der Bank Lehman Brothers praktisch über Nacht. Mich interessierte die Modellierung dieser Krise. Wenn Fachleute darüber sprechen, klingt das zwar zum Teil recht haarsträubend, wenn man im Börsenjargon nicht so firm ist. Aber klar wird doch, dass die Modelle für die Bewegungen der Aktienkurse auf dem Prinzip der Brownschen Bewegung aus der Physik beruhen. Das erste Modell dieser Art stammte übrigens von Louis Bachelier (1870-1946), einem Schüler des großen Mathematikers Henri Poincaré. Er entwickelte es fünf Jahre, bevor Einstein das Phänomen der Brownschen Bewegung erklärte. Damals unerkannt, gilt Bachelier heute als Gründer der Finanzmathematik.
Konstante oder Variable? – Kein geringer Unterschied
Nun, heute operieren die so genannten Experten auf Basis einer "geometrischen Brownschen Bewegung" nach einem Modell von Paul Samuelson von 1959, das 1973 im so genannten Black-Scholes-Modell erweitert wurde – immer noch dem Standardmodell für Kursentwicklungen. Doch es unterschätzt die Bedeutung von großen täglichen Kurssprüngen, weshalb die Theorie längst weiterentwickelt wurde und von einer Gauß-Verteilung der täglichen Kursschwankungen zu verallgemeinerten hyperbolischen Verteilungen mit fünf Parametern überging. Damit kriegt man die "Sprungprozesse" offenbar besser in den Griff.
Wo es in den Modellen ebenfalls hakt, sind – so Eberlein – die "impliziten Korrelationen". Einfach gesagt drückt dieser Faktor in einem Portfolio die wechselseitige Abhängigkeit von Krediten aus, ist ein Maß für das Systemrisiko – und letzteres war eben in der Finanzkrise sehr hoch.
In den alten Modellen aus den späten 80er Jahren werden diese Korrelationen gleich einer Konstanten gesetzt. In Wahrheit und in der beobachtbaren Börsenwirklichkeit, das zeigte Eberlein, sind sie jedoch hochvariabel. Klar fordert der Freiburger, wie alle, mehr Transparenz und einfachere "Produkte", seriösere Ratingmethoden, eine zuverlässige Validierung der eingesetzten Finanzmodelle – und eben mehr Expertise in den Finanzinstituten.
Schließlich sei die Finanzwirtschaft eine Hightech-Branche. Also sei es mehr als nur angemessen, sich mehr und anspruchsvollere Mathematik zu leisten. Ernst Eberleins bitteres Resümee: "Es ist eben sehr gefährlich, anderen Leuten Geld zu verleihen."
Reinhard Breuer
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