Tagebuch: Klemmende Bleche, klappernde Relais und heiße Röhren
Die Geschichte des Computers gibt immer wieder Anlass zu ungläubigem Staunen. Das ist doch noch gar nicht so lange her; und trotzdem haben sich die Verhältnisse so radikal verändert, dass man es kaum glauben möchte.
Zum Eröffnungssymposium, mit dem das Deutsche Technikmuseum in Berlin am 20. April den 100. Geburtstag von Konrad Zuse, dem Erfinder des ersten Computers, ein bisschen vorfeiert (eigentlich ist es erst am 22. Juni soweit), treffen sich alte Weggefährten, Jüngere, die diesen oder jenen Teil seines Werks weiterführen, und eine große Gruppe von Schülern, denen das noch bevorsteht.
Da stehen wir vor der Urversion der Festplatte: einem Trommelspeicher, ungefähr so groß wie ein Hochleistungs-Rasenmäher und auch ungefähr so laut. Ihr Elektromotor muss sie erst auf die richtige Betriebstemperatur bringen; erst dann läuft sie so rund, dass man die Daten richtig abgreifen kann. Und wie viele von den Dingern braucht man, um die Speicherkapazität eines lumpigen USB-Sticks aus dem Media-Markt zu erreichen? 30 000 Stück! Das hätte einen Lärm gegeben.
Konrad Zuse war nicht nur genialer Erfinder, sondern auch Unternehmer. Seine Zuse KG produzierte von 1949 bis 1967 ungefähr 250 Maschinen (nach neueren Schätzungen waren es sogar annähernd 400 Stück), jede von ihnen ein wandfüllendes Großgerät mit zugehörigem Stromverbrauch und Wartungsaufwand. Und die Leistungsfähigkeit? Weit unter der eines heutigen Handys! An einem langen Samstag in einem größeren Computerladen geht mehr Rechenleistung über den Tresen, als Zuses Firma während ihrer ganzen Existenz produziert hat.
Handgesägt und im elterlichen Wohnzimmer aufgebaut
Zuses Lebensleistung ist in jeder Hinsicht eindrucksvoll. Im Jahr 1936 stellte er im elterlichen Wohnzimmer den ersten – fast – frei programmierbaren Computer der Welt fertig. Die logischen Schaltungen bestanden aus ungefähr 30 000 handgesägten Blechen. Stangen griffen in die Aussparungen dieser Bleche ein und vollführten damit die logischen Operationen, auf die bis heute in jedem Computer das Rechnen zurückgeführt wird. Die Z1, wie Zuse seinen Erstling nannte, wurde ebenso wie die beiden Nachfolgemodelle Z2 und Z3, die schon mit Relaistechnik arbeiteten, mitsamt allen Planungsunterlagen durch Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstört. Aber Zuse hat seine Z1 später, als fast Achtzigjähriger, aus dem Gedächtnis nochmals entworfen und nachgebaut. Das soll ihm erstmal jemand nachmachen!
Genial sein: hilft bestimmt. Im Krieg auf der Seite der Verlierer stehen: hat bestimmt nicht geholfen. Es ist ein interessantes Gedankenspiel, sich zu überlegen, welche Nation wohl die Computerindustrie dominieren würde, wenn Zuse seine Geräte zu Friedenszeiten hätte entwickeln können. Seiner Zeit um 50 Jahre voraus sein: hilft zu Lebzeiten nicht wirklich. Schon kurz nach dem Krieg hat Zuse eine höhere Programmiersprache entworfen, den "Plankalkül", der in vielen Aspekten überraschend modern wirkt. Aber erst im Jahr 2000 hat Raúl Rojas sie nutzbar gemacht, indem er einen Compiler dafür schrieb. Oder die Idee, das ganze Universum könnte – auf einer Größenskala unterhalb jeder Messbarkeit – aus lauter kleinen Maschinchen bestehen, und alles Geschehen der Welt entstehe dadurch, dass diese sehr einfachen Automaten mit ihren nächsten Nachbarn interagieren. Zuse hat sie 1967 unter dem Namen Rechnender Raum (der Nachdruck des Artikels in einem Spektrum-Spezial kann hier kostenfrei heruntergeladen werden) veröffentlicht. Aber den richtigen Wirbel machte erst 40 Jahre später Stephen Wolfram mit seinem Buch "A New Kind of Science" zum selben Thema.
Sein kurvenreicher Berufsweg wirkt wie anachronistischer Luxus
Aber sonst? Gibt es irgendetwas, in dem man dem großen Meister mit Aussicht auf Erfolg nacheifern könnte? Na ja – Zuse hat zwei Studiengänge (Maschinenbau und Architektur) abgebrochen, den dritten (Bauingenieur) immerhin beendet, sich dann aber auf ein viertes Fach gestürzt, das mit dem Bauingenieurwesen nur so viel Beziehung hat wie zu so ziemlich jeder Wissenschaft, nämlich als unentbehrliches Hilfsmittel: das wissenschaftliche Rechnen. Zu Zeiten der Bologna-Studiengänge wirkt ein solch kurvenreicher – und von Papa finanzierter – Berufsweg wie ein anachronistischer Luxus.
Und seine Unternehmertätigkeit? Heute dominiert die Tatsache, dass er als Unternehmer letztlich gescheitert ist, die öffentliche Wahrnehmung. Aber verschiedene Redner auf dem Podium weisen darauf hin, dass Computerfirmen damals ganz allgemein nicht besonders alt wurden; die einzige, die aus Zuses Zeiten überlebt hat, ist IBM. Auch die Gründe des Scheiterns sind nicht in einem großen Fehler zu suchen, den der nächste Unternehmer nur vermeiden müsste, sondern ziemlich banal.
Wussten Sie, dass man in dem Moment, wo ein Relais schaltet, die Stromversorgung der geschalteten Kontakte unterbrechen muss? Sonst gibt es Funken, und auf die Dauer oxidieren die Kontakte und werden unbrauchbar. Vor der Auslieferung wurde das Gerät mit abgenommener Verkleidung in einem stockfinsteren Raum in Betrieb genommen, und die Leute mussten zum Teil drunterkriechen und sich vergewissern, dass nirgends ein Funke sprühte.
Zwei Monate lang defekte Lötstellen nachbessern
Bei der Gelegenheit erzählt uns Horst Zuse auch einige Ereignisse, die zum Zusammenbruch der Firma beigetragen haben. Die Banken hatten eigentlich immer Probleme, sich vorzustellen, dass diese merkwürdigen Maschinen das Geld zum Zurückzahlen der Kredite wieder einbringen würden. Ein Computermodell für kommerzielle Zwecke (ohne Gleitkommaarithmetik) geriet in der Planung zu groß und zu teuer. Und dann haben Zuses Leute die Anweisung missverstanden, wie eine neue Sorte Transistoren richtig einzulöten sei, mit dem Effekt, dass die Firma zwei Monate lang nichts anderes tat, als die defekten Lötstellen nachzubessern: ein Millionenverlust.
Auf dem Rückweg von Berlin, schon in der S-Bahn von Mannheim nach Heidelberg, sitzt ein braungebrannter, sportlicher, stoppelbärtiger Typ neben mir, der erzählt mir, dass er noch auf einer Zuse-Maschine programmieren musste. Drei lineare Gleichungen mit drei Unbekannten: Mit Papier und Bleistift ist das ziemlich flott erledigt. Aber die Löcher an den richtigen Stellen in den Lochstreifen zu machen, damit der Computer dieselbe Arbeit ausführen kann, aber eben für beliebige Gleichungssysteme dieser Größe: Das war so unglaublich mühsam, dass der Mann sich schwor, nie wieder zu programmieren. Na ja, dann studierte er Physik, und es kam alles ganz anders. Heute ist Hans Günther Kruse Chef des Rechenzentrums der Universität Mannheim.
Zum Eröffnungssymposium, mit dem das Deutsche Technikmuseum in Berlin am 20. April den 100. Geburtstag von Konrad Zuse, dem Erfinder des ersten Computers, ein bisschen vorfeiert (eigentlich ist es erst am 22. Juni soweit), treffen sich alte Weggefährten, Jüngere, die diesen oder jenen Teil seines Werks weiterführen, und eine große Gruppe von Schülern, denen das noch bevorsteht.
Da stehen wir vor der Urversion der Festplatte: einem Trommelspeicher, ungefähr so groß wie ein Hochleistungs-Rasenmäher und auch ungefähr so laut. Ihr Elektromotor muss sie erst auf die richtige Betriebstemperatur bringen; erst dann läuft sie so rund, dass man die Daten richtig abgreifen kann. Und wie viele von den Dingern braucht man, um die Speicherkapazität eines lumpigen USB-Sticks aus dem Media-Markt zu erreichen? 30 000 Stück! Das hätte einen Lärm gegeben.
Konrad Zuse war nicht nur genialer Erfinder, sondern auch Unternehmer. Seine Zuse KG produzierte von 1949 bis 1967 ungefähr 250 Maschinen (nach neueren Schätzungen waren es sogar annähernd 400 Stück), jede von ihnen ein wandfüllendes Großgerät mit zugehörigem Stromverbrauch und Wartungsaufwand. Und die Leistungsfähigkeit? Weit unter der eines heutigen Handys! An einem langen Samstag in einem größeren Computerladen geht mehr Rechenleistung über den Tresen, als Zuses Firma während ihrer ganzen Existenz produziert hat.
Handgesägt und im elterlichen Wohnzimmer aufgebaut
Zuses Lebensleistung ist in jeder Hinsicht eindrucksvoll. Im Jahr 1936 stellte er im elterlichen Wohnzimmer den ersten – fast – frei programmierbaren Computer der Welt fertig. Die logischen Schaltungen bestanden aus ungefähr 30 000 handgesägten Blechen. Stangen griffen in die Aussparungen dieser Bleche ein und vollführten damit die logischen Operationen, auf die bis heute in jedem Computer das Rechnen zurückgeführt wird. Die Z1, wie Zuse seinen Erstling nannte, wurde ebenso wie die beiden Nachfolgemodelle Z2 und Z3, die schon mit Relaistechnik arbeiteten, mitsamt allen Planungsunterlagen durch Bombenangriffe im Zweiten Weltkrieg zerstört. Aber Zuse hat seine Z1 später, als fast Achtzigjähriger, aus dem Gedächtnis nochmals entworfen und nachgebaut. Das soll ihm erstmal jemand nachmachen!
Beim Eröffnungssymposium sitzen hochrangige Vertreter der Wissenschaft auf dem Podium und versuchen der nachwachsenden Generation aufzuzeigen, in welcher Hinsicht man sich Zuse zum Vorbild nehmen könne. Das Ergebnis ist ernüchternd.
Genial sein: hilft bestimmt. Im Krieg auf der Seite der Verlierer stehen: hat bestimmt nicht geholfen. Es ist ein interessantes Gedankenspiel, sich zu überlegen, welche Nation wohl die Computerindustrie dominieren würde, wenn Zuse seine Geräte zu Friedenszeiten hätte entwickeln können. Seiner Zeit um 50 Jahre voraus sein: hilft zu Lebzeiten nicht wirklich. Schon kurz nach dem Krieg hat Zuse eine höhere Programmiersprache entworfen, den "Plankalkül", der in vielen Aspekten überraschend modern wirkt. Aber erst im Jahr 2000 hat Raúl Rojas sie nutzbar gemacht, indem er einen Compiler dafür schrieb. Oder die Idee, das ganze Universum könnte – auf einer Größenskala unterhalb jeder Messbarkeit – aus lauter kleinen Maschinchen bestehen, und alles Geschehen der Welt entstehe dadurch, dass diese sehr einfachen Automaten mit ihren nächsten Nachbarn interagieren. Zuse hat sie 1967 unter dem Namen Rechnender Raum (der Nachdruck des Artikels in einem Spektrum-Spezial kann hier kostenfrei heruntergeladen werden) veröffentlicht. Aber den richtigen Wirbel machte erst 40 Jahre später Stephen Wolfram mit seinem Buch "A New Kind of Science" zum selben Thema.
Sein kurvenreicher Berufsweg wirkt wie anachronistischer Luxus
Aber sonst? Gibt es irgendetwas, in dem man dem großen Meister mit Aussicht auf Erfolg nacheifern könnte? Na ja – Zuse hat zwei Studiengänge (Maschinenbau und Architektur) abgebrochen, den dritten (Bauingenieur) immerhin beendet, sich dann aber auf ein viertes Fach gestürzt, das mit dem Bauingenieurwesen nur so viel Beziehung hat wie zu so ziemlich jeder Wissenschaft, nämlich als unentbehrliches Hilfsmittel: das wissenschaftliche Rechnen. Zu Zeiten der Bologna-Studiengänge wirkt ein solch kurvenreicher – und von Papa finanzierter – Berufsweg wie ein anachronistischer Luxus.
Und seine Unternehmertätigkeit? Heute dominiert die Tatsache, dass er als Unternehmer letztlich gescheitert ist, die öffentliche Wahrnehmung. Aber verschiedene Redner auf dem Podium weisen darauf hin, dass Computerfirmen damals ganz allgemein nicht besonders alt wurden; die einzige, die aus Zuses Zeiten überlebt hat, ist IBM. Auch die Gründe des Scheiterns sind nicht in einem großen Fehler zu suchen, den der nächste Unternehmer nur vermeiden müsste, sondern ziemlich banal.
Über den Unternehmer Zuse wissen die zahlreichen Zeitgenossen eigentlich nur Gutes zu berichten – so sehr, dass der Moderator Sascha Hingst schließlich gezielt nach Schwächen fragt. Da kommt dann ganz zögerlich, dass Zuse beim Geldausgeben eine zu lockere Hand hatte, sehr vertrauensselig war und es beim Delegieren vielleicht manchmal etwas übertrieb. Frau Breil, seine damalige Sekretärin, weiß von einer Anfrage eines Medizingeräteherstellers zu berichten, ob denn die neuartigen Maschinen auch für medizinische Zwecke verwendbar seien. Den Brief hat ihr Zuse hingelegt mit dem Vermerk "Beantworten". Was schreibt man da?
Am Nachmittag führt uns Konrad Zuses ältester Sohn Horst Zuse, selbst Informatik-Professor, durch die Ausstellung mit den Maschinen seines Vaters (einschließlich der nachgebauten Z1). Dabei kommt eine Fülle von technischen Details zu Tage, an die heute kein Mensch mehr denkt.
Wussten Sie, dass man in dem Moment, wo ein Relais schaltet, die Stromversorgung der geschalteten Kontakte unterbrechen muss? Sonst gibt es Funken, und auf die Dauer oxidieren die Kontakte und werden unbrauchbar. Vor der Auslieferung wurde das Gerät mit abgenommener Verkleidung in einem stockfinsteren Raum in Betrieb genommen, und die Leute mussten zum Teil drunterkriechen und sich vergewissern, dass nirgends ein Funke sprühte.
Zwei Monate lang defekte Lötstellen nachbessern
Bei der Gelegenheit erzählt uns Horst Zuse auch einige Ereignisse, die zum Zusammenbruch der Firma beigetragen haben. Die Banken hatten eigentlich immer Probleme, sich vorzustellen, dass diese merkwürdigen Maschinen das Geld zum Zurückzahlen der Kredite wieder einbringen würden. Ein Computermodell für kommerzielle Zwecke (ohne Gleitkommaarithmetik) geriet in der Planung zu groß und zu teuer. Und dann haben Zuses Leute die Anweisung missverstanden, wie eine neue Sorte Transistoren richtig einzulöten sei, mit dem Effekt, dass die Firma zwei Monate lang nichts anderes tat, als die defekten Lötstellen nachzubessern: ein Millionenverlust.
Das Prachtstück der Ausstellung, die nachgebaute Z1, läuft übrigens auch nicht mehr. Sie leidet unter finaler Verklemmung, und es wäre überaus schwierig, sie nach den Plänen, die der alte Zuse – zum zweiten Mal – gezeichnet hat, wieder instandzusetzen. Das Problem ist nicht wirklich neu: Schon die erste Z1 hatte häufig geklemmt, woraufhin der junge Zuse von dem mechanischen Bauprinzip ab- und zur Relaistechnik überging.
Auf dem Rückweg von Berlin, schon in der S-Bahn von Mannheim nach Heidelberg, sitzt ein braungebrannter, sportlicher, stoppelbärtiger Typ neben mir, der erzählt mir, dass er noch auf einer Zuse-Maschine programmieren musste. Drei lineare Gleichungen mit drei Unbekannten: Mit Papier und Bleistift ist das ziemlich flott erledigt. Aber die Löcher an den richtigen Stellen in den Lochstreifen zu machen, damit der Computer dieselbe Arbeit ausführen kann, aber eben für beliebige Gleichungssysteme dieser Größe: Das war so unglaublich mühsam, dass der Mann sich schwor, nie wieder zu programmieren. Na ja, dann studierte er Physik, und es kam alles ganz anders. Heute ist Hans Günther Kruse Chef des Rechenzentrums der Universität Mannheim.
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