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Tagebuch: Kollabiert die Kollaps-These?

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Karg ist Rapa Nui. Nur im Zentrum der Insel wachsen ausgedehnte Eukalyptushaine – neuzeitliche Importware. Doch einst war das anders, bedeckten Palmenwälder das ganze Eiland. Dann kam der Mensch. Erst verhielt er sich friedlich und umweltverträglich. Ein paar Jahrhunderte später aber wurde er übermütig: Er vermehrte sich über die Maßen, stellte überall geheimnisvolle Steinkolosse auf – und rodete die Wälder. Nun hinderte nichts mehr den steten Wind, fruchtbaren Boden davonzuwehen; Krieg, Hunger, ja Kannibalismus waren die Folgen. So jedenfalls steht es in den Lehrbüchern, so brandmarkte Erfolgsautor Jared Diamond die Osterinsulaner in seinem Bestseller „Kollaps“.

Der amerikanische Archäologe Terry L. Hunt hat auf Rapa Nui gegraben und kommt zu einem ganz anderen Schluss, wie er in der Dezember-Ausgabe von „Spektrum der Wissenschaft“ darlegt. Die meisten bisherigen Datierungen befand er als unzuverlässig, der Mensch sei später auf der Insel gelandet als bislang angenommen. An Bord seiner Schiffe aber reiste die Palmensamen fressende Polynesische Ratte. Diese, nicht der Mensch, habe sich rasend schnell vermehrt und den Wäldern den Garaus gemacht. Hunt führt als Beleg seiner These Statistiken zur Rattenwirkung auf anderen Pazifikinseln an.

Dass dies der Weisheit letzter Schluss ist, bezweifelt der Kieler Geograph und Ökologe Hans-Rudolf Bork. „Die Palmen auf der Osterinsel wurden weit mehr als tausend Jahre alt. Selbst ohne Vermehrung wären die Wälder über Jahrhunderte hinweg nur lichter geworden.“ Es sei denn, der Mensch hätte den Schädlingspart übernommen. Gemeinsam mit seinem Kollegen Andreas Mieth hat Bork Spuren der Umweltkatastrophe in verschiedenen Teilen der Insel ausgegraben. Sie fanden Reste gerodeter Palmen, nämlich verbrannte Stümpfe und tief reichende Wurzelkanäle im Boden. Die Radiokarbondatierung ergab: Es fanden Rodung statt zwischen 1200 und 1550 n. Chr. In dieser kurzen Zeitspanne, so rechnen die Kieler Wissenschaftler hoch, hätten die Rapanui mehr als 16 Millionen Palmen gefällt. Und zudem: „Unter der Brandschicht fanden wir Abermillionen von Grablöchern. Es gab also eine Zeit, da haben Bauern ganz umweltverträglich Kulturpflanzen zwischen den Palmen angebaut.“ Also doch: zwei Phasen der Besiedlung.

Daten stehen hier gegen Daten, und das ist nicht das einzige Problem, das sich den Fachleuten stellt. Warum die Rapanui überhaupt Millionen von Palmen gefällt haben sollen, wissen sie nicht zu sagen. Für den gern zitierten Transport und das Aufrichten der Steinkolosse wäre diese Menge bei weitem nicht benötigt worden. Bork und Mieth vermuten, Palmensaft hätte als Trinkwasser herhalten müssen. Und als wäre das alles nicht schon kompliziert genug, deuten einige Forscher manche archäologischen Funde dahingehend, dass Rapa Nui nicht nur einmal in Besitz genommen wurde. Fegte möglicherweise eine zweite Siedlerwelle die Palmen von der Insel?

Die Angelegenheit hat ihre delikaten Seiten. Wenn Umweltforscher gegen Lobbyisten argumentieren, dient das Schicksal Rapa Nuis als abschreckendes Beispiel für die Folgen aggressiver Ressourcenausbeutung. Falls die bisherigen Modelle aber falsch sind, ließe sich das politisch ausschlachten. Klarheit können nur weitere Grabungen bringen, denn bislang wurde kaum ein Tausendstel der Osterinsel archäologisch untersucht. Doch hier ist Feinfühligkeit gefordert: Weil Archäologen ihr Forschungsobjekt – ob Gräberfeld, Siedlung oder Kultstätte – zu zerstören pflegen, ist diese Wissenschaft auf Rapa Nui, einem Land der Ahnenverehrung, nicht sonderlich beliebt.

Die Diskussion bleibt spannend.

Klaus-Dieter Linsmeier

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