Tagebuch: Mal richtig abschalten - mit Theoretischer Physik
Am vergangenen Montag habe ich die Schach-Weltmeisterschaft in Bonn vor und hinter der Bühne begleitet. Begonnen haben die dreiwöchigen Spiele am 14. Oktober. Vladimir Kramnik aus Russland, der 2000 Garri Kasparov entthront hatte, tritt gegen Vishwanathan Anand aus Indien an, der im vergangenen Jahr wiederum Kramnik die Krone entriss. In der jetzt laufenden Weltmeisterschaft hat Kramnik die Chance, seinen Titel zurückzuerobern – oder aber er muss Anand den Titel überlassen.
Gespielt wird in der Bonner Kunsthalle. Ein Tisch auf einem Podest, ein Scheinwerfer darauf, und zwischen Publikum und den Spielern eine Gaze, die nur für die Zuschauer durchsichtig ist, den Blickkontakt der Schachmeister mit den Zuschauern aber vermeiden soll. Ganz zu Beginn erhalten die Journalisten Gelegenheit zu fotografieren, dann werden die Meister auf der Bühne allein gelassen und eine große Leinwand hinter dem Spieltisch zeigt ihre Spielzüge auf einem Schachbrett an.
"Bitte nicht zu viele Scherze, Herr Pfleger!"
Der Zuschauerraum ist verdunkelt, es herrscht Stille, das Publikum trägt Kopfhörer und lauscht dem Kommentar von Helmut Pfleger und Vlastimil Hort, die schon seit Jahren in Fernsehen und Zeitungskolumnen deutschlandweit die Schachwelt begleiten, kommentieren und mit herrlichen Anekdoten bereichern. Zu sehr scherzen dürfen die beiden aber nicht, denn sonst lacht das Publikum leise und stört die Konzentration der Großmeister.
Theoretische Physik führt zu ungewöhnlichen Bekanntschaften
Als ich am Montag vor Ort war, konnte ich das Geschehen begleiten – vor und hinter der Bühne. Hier in Bonn habe ich die Schachmeister einst kennengelernt. Ich sprach gerade mit einem Journalisten über theoretische Physik – da stürzte Frederic Friedel auf mich zu, stellte mir einige Fragen zu String-Theorie und Kosmologie und hängte mir daraufhin ein VIP-Schild um, um mich hinter der Bühne allen Schachmeistern und Reportern bekannt zu machen. Die theoretische Physik hat unsere Gespräche seither tatsächlich nie ganz verlassen. Mit Vishy Anand habe ich beispielsweise schon oft zusammen gesessen und über Hochenergiephysik diskutiert, die ihn brennend interessiert. Er ist ein begeisterter Hobbyastronom und seinem riesigen Gedächtnis fügt er auch gerne noch manche Kuriosität der Welt hinzu – wie zum Beispiel Details aus der Stringtheorie oder Teilchenwelt.
Die Uhr tickt
Kramnik liegt einen Punkt hinter Anand, als das Spiel beginnt. Die Freunde Anands sind schwarz gekleidet, schließlich spielt der Meister heute mit den schwarzen Figuren. Eine Semi-Slavische Eröffnung, Kramnik hat sich wieder darauf eingelassen, obwohl Anand die dritte Partie gegen ihn mit eben dieser Eröffnung gewann. Dahinter steckt Kampfpsychologie: Würde er die Eröffnung ablehnen, gewönne Anand einen psychologischen Vorteil. Denn dann gestünde Kramnik geradezu ein, die Semi-Slavische Eröffnung nicht ganz so gut zu beherrschen wie der Inder – und in einer Schachweltmeisterschaft möchte man seinem Gegner einen solchen Teilsieg keinesfalls gönnen. Psychologie ist auch hier fast alles.
Die beiden ziehen rasch, bald aber versinkt Kramnik in langes Nachdenken. Als er schon fast eine Stunde Denkzeit verbraucht hat, sind es bei Anand gerade einmal acht Minuten. Zeitmangel sollte Kramnik am Ende dann zum Verhängnis werden.
Auf der Bühne Ruhe – dahinter pure Hektik
Im Pressezentrum verfolgen die Reporter das Spiel auf Computerschirmen, auf denen das Schachprogramm Fritz automatische Stellungsanalysen anzeigt. Je länger das Spiel läuft, umso besser wird Weiß – jedenfalls laut "Fritz". Als die Bewertung nach dem 25. Zug einen klaren Vorteil für Weiß anzeigt, werden die russischen Journalisten unruhig, sprechen freudig erregt in ihre Telefone und laufen zwischen VIP- und Pressezimmer hin und her.
Dann plötzlich der Eklat: Kramnik hat auf d4 geschlagen. Ein Fehler. Geschehen in Zeitnot. Anand zieht souverän eine kurze Folgekombination und innerhalb weniger Minuten ist das Spiel zu Ende. Die Kontrahenten geben sich die Hand. Eine Katastrophe für das Team des ehemaligen Schachweltmeisters Kramnik. Aus einem Stellungsvorteil heraus aufgrund eines Fehlers zu verlieren ist psychologisch schwer zu ertragen.
Bei der anschließenden Pressekonferenz ist Kramnik blass und muss auf die Frage einer russischen Journalistin, ob seine Lage nach zwei Verlusten nun aussichtslos sei, antworten: "Ich hätte mir das Spiel besser vorstellen können." Die Journalisten lachen, Kramnik verzieht ein wenig gequält das Gesicht. Für ihn hängt ein Team an seinem Gewinn, viele Sponsoren und Gelder.
Kramnik und seine Sekundanten verschwinden bald, Anand bleibt zurück und lächelt ausgeglichen. Seine Frau Aruna hält Journalisten von ihm fern.
In welches Restaurant geht welcher Meister?
Noch bis spät abends sitze ich mit Frederic Friedel, dem Chef der Internetzeitung Chessbase, in einem Lokal und erfahre Neuigkeiten aus der Schachwelt, als sich plötzlich die Tür öffnet und Vishy, seine Frau und einige Großmeister hereinkommen.
So ganz zufällig saßen wir nicht bei dem Bonner Japaner, Anand wurde hier schon manchmal gesehen. Jetzt ist auch klar, dass Kramnik nicht auftauchen wird. Wenn die beiden auch befreundet sind, während des Matches halten sie sich voneinander fern. Nun werden Tische gerückt und ehe wir es uns versehen, sitzen wir alle zusammen. Und Vishy nutzt die Gelegenheit, die einzige Physikerin am Tisch zu befragen: "Gibt es denn jetzt eigentlich ein Schwarzes Loch im LHC?"
Da hole ich natürlich gerne etwas weiter aus. Wenn Protonen kollidieren, erkläre ich ihm, treffen immer drei Quarks mit drei Quarks zusammentreffen. Besitzen diese inneren Bestandteile der Atomkerne bei der Kollision relativ zueinander nur geringfügig verschiedene Geschwindigkeiten, ist beispielsweise eines davon 0,1 Prozent langsamer als ein Quark des entgegenkommenden Protons, dann resultiert – bezogen auf ihre fast lichtschnelle Bewegung – noch immer eine sehr hohe Nettogeschwindigkeit, mit der sich der Schwerpunkt der Kollisionstrümmer schließlich weiter bewegt.
Protonen sind auch nur Autos
Das können Sie sich so vorstellen, sage ich Vishy, als stießen zwei VW Polos zusammen. Sind beide gleich schnell und stoßen sie frontal zusammen, dann ruht der gemeinsame Schwerpunkt am Ende des Vorgangs. Fährt aber eines mit beispielsweise 30 Kilometer pro Stunde, während das andere ruht, dann bewegen sich die ineinander geschobenen Autos nach der Kollision noch eine ganze Strecke weiter, auch wenn sie allmählich aufgrund der Reibung und der beim Zusammenstauchen der Karosserien "verlorengegangenen" Energie langsamer werden.
Genau das passiert im LHC, wenn zwei Protonen zusammenstoßen: Der gemeinsame Schwerpunkt der beiden Teilchen bewegt sich weiter. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Quarks genau gleich schnell sind und dann frontal kollidieren, geht gegen Null. Entsteht nun tatsächlich ein Schwarzes Loch, ist es zum einen winzig klein, zum anderen aber würde es in kürzester Zeit die Erde verlassen – je nach den genauen Bedingungen vielleicht mit 1000 Kilometer pro Sekunde. Kein Anlass zur Sorge also.
Gut, nickt Vishy. Und ich lasse mir die Gelegenheit nicht entgehen, die Kollision im Beschleuniger nun auch noch mit der der Kollision hochenergetischer Gammastrahlen mit Partikeln in der Erdatmosphäre zu vergleichen. Denn auch hierbei entstehen ständig schwarze Löcher, unsere Erde haben sie aber dennoch nicht verschlungen. Denn erstens bewegen sie sich sehr schnell weg von ihr, und zum zweiten zerstrahlen sie sehr schnell, sie verdampfen gewissermaßen, weil sie so genannte Hawking-Strahlung abgeben. Alles verstanden?
Genug geplaudert – zurück zur Tagesordnung
Vishy hört interessiert zu, sein Team auch. Dann aber wenden sie sich doch lieber der Suppe zu – und der Diskussion über die vergangene Partie und die spannenden Wettkampftage, die noch vor Kramnik und Anand liegen. Wer kann es ihnen verübeln?
Beispielsweise auf chessbase.com kann man übrigens live verfolgen, was derzeit in Bonn geschieht und sogar den Audiokommentar von Pfleger und Hort hören. Von Schwarzen Löchern allerdings wird bei dieser WM heute wohl zum letzten Mal die Rede gewesen sein ...
Vera Spillner
Gespielt wird in der Bonner Kunsthalle. Ein Tisch auf einem Podest, ein Scheinwerfer darauf, und zwischen Publikum und den Spielern eine Gaze, die nur für die Zuschauer durchsichtig ist, den Blickkontakt der Schachmeister mit den Zuschauern aber vermeiden soll. Ganz zu Beginn erhalten die Journalisten Gelegenheit zu fotografieren, dann werden die Meister auf der Bühne allein gelassen und eine große Leinwand hinter dem Spieltisch zeigt ihre Spielzüge auf einem Schachbrett an.
"Bitte nicht zu viele Scherze, Herr Pfleger!"
Der Zuschauerraum ist verdunkelt, es herrscht Stille, das Publikum trägt Kopfhörer und lauscht dem Kommentar von Helmut Pfleger und Vlastimil Hort, die schon seit Jahren in Fernsehen und Zeitungskolumnen deutschlandweit die Schachwelt begleiten, kommentieren und mit herrlichen Anekdoten bereichern. Zu sehr scherzen dürfen die beiden aber nicht, denn sonst lacht das Publikum leise und stört die Konzentration der Großmeister.
Theoretische Physik führt zu ungewöhnlichen Bekanntschaften
Als ich am Montag vor Ort war, konnte ich das Geschehen begleiten – vor und hinter der Bühne. Hier in Bonn habe ich die Schachmeister einst kennengelernt. Ich sprach gerade mit einem Journalisten über theoretische Physik – da stürzte Frederic Friedel auf mich zu, stellte mir einige Fragen zu String-Theorie und Kosmologie und hängte mir daraufhin ein VIP-Schild um, um mich hinter der Bühne allen Schachmeistern und Reportern bekannt zu machen. Die theoretische Physik hat unsere Gespräche seither tatsächlich nie ganz verlassen. Mit Vishy Anand habe ich beispielsweise schon oft zusammen gesessen und über Hochenergiephysik diskutiert, die ihn brennend interessiert. Er ist ein begeisterter Hobbyastronom und seinem riesigen Gedächtnis fügt er auch gerne noch manche Kuriosität der Welt hinzu – wie zum Beispiel Details aus der Stringtheorie oder Teilchenwelt.
Die Uhr tickt
Kramnik liegt einen Punkt hinter Anand, als das Spiel beginnt. Die Freunde Anands sind schwarz gekleidet, schließlich spielt der Meister heute mit den schwarzen Figuren. Eine Semi-Slavische Eröffnung, Kramnik hat sich wieder darauf eingelassen, obwohl Anand die dritte Partie gegen ihn mit eben dieser Eröffnung gewann. Dahinter steckt Kampfpsychologie: Würde er die Eröffnung ablehnen, gewönne Anand einen psychologischen Vorteil. Denn dann gestünde Kramnik geradezu ein, die Semi-Slavische Eröffnung nicht ganz so gut zu beherrschen wie der Inder – und in einer Schachweltmeisterschaft möchte man seinem Gegner einen solchen Teilsieg keinesfalls gönnen. Psychologie ist auch hier fast alles.
Die beiden ziehen rasch, bald aber versinkt Kramnik in langes Nachdenken. Als er schon fast eine Stunde Denkzeit verbraucht hat, sind es bei Anand gerade einmal acht Minuten. Zeitmangel sollte Kramnik am Ende dann zum Verhängnis werden.
Auf der Bühne Ruhe – dahinter pure Hektik
Im Pressezentrum verfolgen die Reporter das Spiel auf Computerschirmen, auf denen das Schachprogramm Fritz automatische Stellungsanalysen anzeigt. Je länger das Spiel läuft, umso besser wird Weiß – jedenfalls laut "Fritz". Als die Bewertung nach dem 25. Zug einen klaren Vorteil für Weiß anzeigt, werden die russischen Journalisten unruhig, sprechen freudig erregt in ihre Telefone und laufen zwischen VIP- und Pressezimmer hin und her.
Dann plötzlich der Eklat: Kramnik hat auf d4 geschlagen. Ein Fehler. Geschehen in Zeitnot. Anand zieht souverän eine kurze Folgekombination und innerhalb weniger Minuten ist das Spiel zu Ende. Die Kontrahenten geben sich die Hand. Eine Katastrophe für das Team des ehemaligen Schachweltmeisters Kramnik. Aus einem Stellungsvorteil heraus aufgrund eines Fehlers zu verlieren ist psychologisch schwer zu ertragen.
Bei der anschließenden Pressekonferenz ist Kramnik blass und muss auf die Frage einer russischen Journalistin, ob seine Lage nach zwei Verlusten nun aussichtslos sei, antworten: "Ich hätte mir das Spiel besser vorstellen können." Die Journalisten lachen, Kramnik verzieht ein wenig gequält das Gesicht. Für ihn hängt ein Team an seinem Gewinn, viele Sponsoren und Gelder.
Kramnik und seine Sekundanten verschwinden bald, Anand bleibt zurück und lächelt ausgeglichen. Seine Frau Aruna hält Journalisten von ihm fern.
In welches Restaurant geht welcher Meister?
Noch bis spät abends sitze ich mit Frederic Friedel, dem Chef der Internetzeitung Chessbase, in einem Lokal und erfahre Neuigkeiten aus der Schachwelt, als sich plötzlich die Tür öffnet und Vishy, seine Frau und einige Großmeister hereinkommen.
So ganz zufällig saßen wir nicht bei dem Bonner Japaner, Anand wurde hier schon manchmal gesehen. Jetzt ist auch klar, dass Kramnik nicht auftauchen wird. Wenn die beiden auch befreundet sind, während des Matches halten sie sich voneinander fern. Nun werden Tische gerückt und ehe wir es uns versehen, sitzen wir alle zusammen. Und Vishy nutzt die Gelegenheit, die einzige Physikerin am Tisch zu befragen: "Gibt es denn jetzt eigentlich ein Schwarzes Loch im LHC?"
Da hole ich natürlich gerne etwas weiter aus. Wenn Protonen kollidieren, erkläre ich ihm, treffen immer drei Quarks mit drei Quarks zusammentreffen. Besitzen diese inneren Bestandteile der Atomkerne bei der Kollision relativ zueinander nur geringfügig verschiedene Geschwindigkeiten, ist beispielsweise eines davon 0,1 Prozent langsamer als ein Quark des entgegenkommenden Protons, dann resultiert – bezogen auf ihre fast lichtschnelle Bewegung – noch immer eine sehr hohe Nettogeschwindigkeit, mit der sich der Schwerpunkt der Kollisionstrümmer schließlich weiter bewegt.
Protonen sind auch nur Autos
Das können Sie sich so vorstellen, sage ich Vishy, als stießen zwei VW Polos zusammen. Sind beide gleich schnell und stoßen sie frontal zusammen, dann ruht der gemeinsame Schwerpunkt am Ende des Vorgangs. Fährt aber eines mit beispielsweise 30 Kilometer pro Stunde, während das andere ruht, dann bewegen sich die ineinander geschobenen Autos nach der Kollision noch eine ganze Strecke weiter, auch wenn sie allmählich aufgrund der Reibung und der beim Zusammenstauchen der Karosserien "verlorengegangenen" Energie langsamer werden.
Genau das passiert im LHC, wenn zwei Protonen zusammenstoßen: Der gemeinsame Schwerpunkt der beiden Teilchen bewegt sich weiter. Denn die Wahrscheinlichkeit, dass zwei Quarks genau gleich schnell sind und dann frontal kollidieren, geht gegen Null. Entsteht nun tatsächlich ein Schwarzes Loch, ist es zum einen winzig klein, zum anderen aber würde es in kürzester Zeit die Erde verlassen – je nach den genauen Bedingungen vielleicht mit 1000 Kilometer pro Sekunde. Kein Anlass zur Sorge also.
Gut, nickt Vishy. Und ich lasse mir die Gelegenheit nicht entgehen, die Kollision im Beschleuniger nun auch noch mit der der Kollision hochenergetischer Gammastrahlen mit Partikeln in der Erdatmosphäre zu vergleichen. Denn auch hierbei entstehen ständig schwarze Löcher, unsere Erde haben sie aber dennoch nicht verschlungen. Denn erstens bewegen sie sich sehr schnell weg von ihr, und zum zweiten zerstrahlen sie sehr schnell, sie verdampfen gewissermaßen, weil sie so genannte Hawking-Strahlung abgeben. Alles verstanden?
Genug geplaudert – zurück zur Tagesordnung
Vishy hört interessiert zu, sein Team auch. Dann aber wenden sie sich doch lieber der Suppe zu – und der Diskussion über die vergangene Partie und die spannenden Wettkampftage, die noch vor Kramnik und Anand liegen. Wer kann es ihnen verübeln?
Beispielsweise auf chessbase.com kann man übrigens live verfolgen, was derzeit in Bonn geschieht und sogar den Audiokommentar von Pfleger und Hort hören. Von Schwarzen Löchern allerdings wird bei dieser WM heute wohl zum letzten Mal die Rede gewesen sein ...
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