Tagebuch: Mineralien und Mathematik verbandelt
Oberwolfach – das ist für einen Mathematiker schon eine ziemlich gute Näherung an das Paradies. Fernab vom Getriebe der Welt, im Schwarzwald, an einem Berghang im Tale der Wolf liegt das Forschungsinstitut, in dem der Wissenschaftler alles findet, was sein Herz begehrt: Ruhe, eine umfangreiche Bibliothek, Internetanschluss, verschiedene Annehmlichkeiten und vor allem Gleichgesinnte, mit denen man eine Woche lang – so lange pflegt eine Oberwolfach-Tagung zu dauern – endlich mal über sein eigenes Arbeitsgebiet reden kann.
Nur für die Außendarstellung ist das Institut denkbar ungeeignet. Da aber auch die Mathematiker Wert darauf legen, in der Umgebung des Hauses nicht nur als die merkwürdigen Typen wahrgenommen zu werden, die sich bei der traditionellen Exkursion am Mittwochnachmittag im Wald zu verlaufen pflegen, haben sie ihre überaus erfolgreiche Ausstellung "Imaginary" (siehe den Spektrum-Artikel zum Thema) zu einer Dauereinrichtung weiterentwickelt und ein Dorf weiter (nicht Oberwolfach-Walke, sondern Oberwolfach-Kirche) im Tal angesiedelt.
Als dieses unter Platzmangel und Sanierungsbedarf litt, kamen ihm die Mathematiker als Kooperationspartner gerade recht. Nun teilen sich beide die zweieinhalb Stockwerke eines großen, frisch hergerichteten Bauernhauses im Dorfzentrum und nennen ihre Schöpfung MiMa – Mineralien- und Mathematikmuseum Oberwolfach.
Aber wenn Herr Günter – was häufig vorkommt – eine Schulklasse durch das Gebäude führt, dann muss er mit den Mineralien anfangen. Denn von der Mathematik sind die Kinder hinterher nicht mehr wegzukriegen. So etwas hören die Mathematiker eher selten, und die Mathematiklehrer unter ihnen noch seltener. Wie kann das sein?
Die Mineralien sind es nicht, die auf einmal das Interesse der Besucher am Abstrakten wecken. Sicher, unter den zahlreichen Smartboards (Tafeln, auf die das Bild vom Computer gebeamt wird und die zugleich berührungsempfindlich sind wie ein Touchscreen) ist auch eines, auf dem man durch eine virtuelle Kristallstruktur fliegen kann. Oder platonische Körper virtuell zusammen- und wieder auseinanderfalten. Aber das sind nur zwei unter den sehr vielen Anwendungen der interaktiven Geometrie-Software Cinderella. Jürgen Richter-Gebert, Mathematikprofessor an der TU München und einer der beiden Autoren von "Cinderella", hat zu seinem Werk viele neue Anwendungen dazugeschrieben und sie noch vandalensicherer gemacht.
Das gilt auch für die anderen interaktiven Exponate. Herr Günter weiß zu berichten, dass man nur selten in die Verlegenheit kommt, den Computer zu einem der Smartboards herunter- und wieder hochzufahren – womit das Problem dann auch erledigt sei.
Martin von Gagerns Programm morenaments zur Realisierung aller möglichen kristallografischen Symmetrien, ebenfalls Bestandteil der Ausstellung "Imaginary", wird eifrig genutzt.
Die inzwischen klassischen Bilder algebraischer Flächen von Herwig Hauser hängen in der Galerie unterm Dach aus. Darüber hinaus darf jeder an einem Smartboard eine algebraische Formel eingeben und bekommt die dazugehörige Fläche angezeigt. Damit wird der durchschnittliche Besucher nicht weit kommen – wer liest schon ausführliche Erläuterungen im Museum? Aber man kann das Spiel am heimischen Computer in aller Ruhe fortsetzen. Als Fortsetzung eines längst beendeten Wettbewerbs bietet "Spektrum" jedem die Gelegenheit, seine eigenen Flächen zu kreieren und allgemein zur Schau zu stellen (siehe Mathekunst). Im Moment nutzen nur zwei Unentwegte diese Möglichkeit ...
Aber die abgefahrenste Kombination besteht aus diskreter Differenzialgeometrie und Ballerspiel. Da gibt es gekrümmte Flächen, die sehr spezielle Bedingungen erfüllen, zum Beispiel minimalen Flächeninhalt zu haben. Und obendrein werden diese Bedingungen nicht wie üblich mit Tangentialebenen, Krümmungskreisen und ähnlichen Begriffen formuliert, für die man Differenzialrechnung betreiben muss, sondern eben "diskret", mit ebenen Dreiecken endlicher Größe, wie sie der Computer ohnehin für die grafische Darstellung haben muss.
Mineralien- und Mathematikmuseum
Schulstraße 5, 77709 Oberwolfach
www.mima.museum
Öffnungszeiten:
Mai – Oktober: täglich 11 bis 17 Uhr
16. Dezember – April: täglich 11 bis 16 Uhr
Geschlossen 1. 11. – 15. 12., 24./25./31. 12 und 1.1.
Führungen für Gruppen und Schulklassen nach Terminabsprache auch außerhalb der Öffnungszeiten
Nur für die Außendarstellung ist das Institut denkbar ungeeignet. Da aber auch die Mathematiker Wert darauf legen, in der Umgebung des Hauses nicht nur als die merkwürdigen Typen wahrgenommen zu werden, die sich bei der traditionellen Exkursion am Mittwochnachmittag im Wald zu verlaufen pflegen, haben sie ihre überaus erfolgreiche Ausstellung "Imaginary" (siehe den Spektrum-Artikel zum Thema) zu einer Dauereinrichtung weiterentwickelt und ein Dorf weiter (nicht Oberwolfach-Walke, sondern Oberwolfach-Kirche) im Tal angesiedelt.
Bei der Standortsuche trafen sich – eher zufällig – die Vertreter des sehr Abstrakten mit denen des sehr Konkreten, die gleichfalls einen starken Lokalbezug zum Schwarzwald aufzuweisen haben: Nahe bei Oberwolfach liegt die Grube Clara, das letzte noch in Betrieb befindliche Bergwerk im Schwarzwald. Was dort aus dem Boden kommt, ist wahrhaft reichhaltig. Von den annähernd 4800 offiziell anerkannten Mineralien kommen immerhin ungefähr 400 im Schwarzwald vor. Aktive Sammler haben zu reichlich der Hälfte davon ein oder – meistens – mehrere Exemplare zusammengetragen, woraus das Mineralienmuseum Oberwolfach entstand.
Als dieses unter Platzmangel und Sanierungsbedarf litt, kamen ihm die Mathematiker als Kooperationspartner gerade recht. Nun teilen sich beide die zweieinhalb Stockwerke eines großen, frisch hergerichteten Bauernhauses im Dorfzentrum und nennen ihre Schöpfung MiMa – Mineralien- und Mathematikmuseum Oberwolfach.
Werner Günter, Studiendirektor im Ruhestand, Vorstandsmitglied des "Vereins der Freunde von Mineralien und Bergbau Oberwolfach e. V." und einer der aktiven Betreiber des mineralischen Museumsteils, zeigt mir mit berechtigtem Stolz die Schätze seiner Sammlung. Die teilweise prachtvoll anzusehenden Gesteine werden ergänzt durch ein Modell der Grube Clara sowie historische Gegenstände aus dem Schwarzwaldbergbau. Auch wissenschaftliche Arbeit findet statt.
Aber wenn Herr Günter – was häufig vorkommt – eine Schulklasse durch das Gebäude führt, dann muss er mit den Mineralien anfangen. Denn von der Mathematik sind die Kinder hinterher nicht mehr wegzukriegen. So etwas hören die Mathematiker eher selten, und die Mathematiklehrer unter ihnen noch seltener. Wie kann das sein?
Die Mineralien sind es nicht, die auf einmal das Interesse der Besucher am Abstrakten wecken. Sicher, unter den zahlreichen Smartboards (Tafeln, auf die das Bild vom Computer gebeamt wird und die zugleich berührungsempfindlich sind wie ein Touchscreen) ist auch eines, auf dem man durch eine virtuelle Kristallstruktur fliegen kann. Oder platonische Körper virtuell zusammen- und wieder auseinanderfalten. Aber das sind nur zwei unter den sehr vielen Anwendungen der interaktiven Geometrie-Software Cinderella. Jürgen Richter-Gebert, Mathematikprofessor an der TU München und einer der beiden Autoren von "Cinderella", hat zu seinem Werk viele neue Anwendungen dazugeschrieben und sie noch vandalensicherer gemacht.
Das gilt auch für die anderen interaktiven Exponate. Herr Günter weiß zu berichten, dass man nur selten in die Verlegenheit kommt, den Computer zu einem der Smartboards herunter- und wieder hochzufahren – womit das Problem dann auch erledigt sei.
Martin von Gagerns Programm morenaments zur Realisierung aller möglichen kristallografischen Symmetrien, ebenfalls Bestandteil der Ausstellung "Imaginary", wird eifrig genutzt.
Die inzwischen klassischen Bilder algebraischer Flächen von Herwig Hauser hängen in der Galerie unterm Dach aus. Darüber hinaus darf jeder an einem Smartboard eine algebraische Formel eingeben und bekommt die dazugehörige Fläche angezeigt. Damit wird der durchschnittliche Besucher nicht weit kommen – wer liest schon ausführliche Erläuterungen im Museum? Aber man kann das Spiel am heimischen Computer in aller Ruhe fortsetzen. Als Fortsetzung eines längst beendeten Wettbewerbs bietet "Spektrum" jedem die Gelegenheit, seine eigenen Flächen zu kreieren und allgemein zur Schau zu stellen (siehe Mathekunst). Im Moment nutzen nur zwei Unentwegte diese Möglichkeit ...
Aber die abgefahrenste Kombination besteht aus diskreter Differenzialgeometrie und Ballerspiel. Da gibt es gekrümmte Flächen, die sehr spezielle Bedingungen erfüllen, zum Beispiel minimalen Flächeninhalt zu haben. Und obendrein werden diese Bedingungen nicht wie üblich mit Tangentialebenen, Krümmungskreisen und ähnlichen Begriffen formuliert, für die man Differenzialrechnung betreiben muss, sondern eben "diskret", mit ebenen Dreiecken endlicher Größe, wie sie der Computer ohnehin für die grafische Darstellung haben muss.
Erstaunlicherweise verhalten sich die in diesem Sinne "diskret gekrümmten" Gebilde sehr weit gehend so wie ihre echt gekrümmten Gegenstücke. Eine diskrete Kugel hat halt Ecken und Kanten (und steht dazu); aber sie prallt von einer diskreten gekrümmten Fläche ziemlich genauso ab wie eine echte Kugel von einer echt gekrümmten Fläche. Deswegen sieht das ziemlich echt aus, wenn man mit dem Joystick diskrete Kugeln auf diskrete Flächen abschießt. Das zieht die Besucher an!
Mineralien- und Mathematikmuseum
Schulstraße 5, 77709 Oberwolfach
www.mima.museum
Öffnungszeiten:
Mai – Oktober: täglich 11 bis 17 Uhr
16. Dezember – April: täglich 11 bis 16 Uhr
Geschlossen 1. 11. – 15. 12., 24./25./31. 12 und 1.1.
Führungen für Gruppen und Schulklassen nach Terminabsprache auch außerhalb der Öffnungszeiten
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