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Tagebuch: Roger und die Raumstation

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Tennis ist langweilig. Das sagen zumindest meine Freunde, wenn sie mir mal wieder stundenlang bei meinen Matches in der Kreisliga zugeschaut haben. Ich kann dieser Kritik natürlich nichts abgewinnen – Tennis ist Kampf, Schweiß und Leidenschaft, halte ich dagegen. Vergeblich. Wirkliche Anerkennung für seine Leiden im roten Sand bekommt nur, wer ein großes Turnier gewinnt. Das ist in der Wissenschaft nicht anders. Wahrgenommen werden nur die Resultate der Forschung – alles andere interessiert den Laien in der Regel nicht: der alltägliche Kampf mit Messwerten, die haarsträubenden theoretischen Modelle, die widerspenstigen Computerprogramme. Den Alltag in dunklen Laboratorien in den Kellern der Institute dieser Welt will niemand sehen. Doch gilt dies auch, wenn dieser Alltag in der vermutlich spektakulärsten Forschungsumgebung überhaupt stattfindet?

Seit nunmehr sieben Jahren kreist die Internationale Raumstation ISS um den blauen Planeten und bietet jeweils einem Mini-Team von Wissenschaftlern und Ingenieuren aus aller Welt die Möglichkeit, 350 Kilometer über der Erdoberfläche in absoluter Schwerelosigkeit zu forschen. Allein die Reise dorthin ist offenbar so spektakulär, dass es sehr verlockend scheint, sich kurz vor dem Start ein bisschen Mut anzutrinken, wie jüngst aus Nasa-Kreisen heraussickerte.

Seit kurzem nun kann man den Astronauten bei ihrer Arbeit auf der ISS gewissermaßen über die Schulter schauen und einen Eindruck davon gewinnen, wie es aussieht, auf der Internationalen Raumstation von Raum zu Raum zu schweben. Möglich macht es ein „interactive reference guide“, den die Nasa jüngst auf ihre Homepage stellte und der einen „nie zuvor“ möglich gewesenen Blick in die ISS verspricht. Doch kann man mit Hilfe des Internets wirklich Weltraumluft schnuppern?

Hinter der Wand die Weite des Weltalls

Nach nur wenigen Klicks auf der Nasa-Homepage steht das virtuelle Ich vor einer kahlen Wand. Dahinter erstreckt sich wohl die endlose Weite des Weltalls, wo der Tod auf druckabhängige Säugetiere wie mich wartet. Doch schon beim kleinsten Mausschwenk dreht sich das Bild und simuliert das Gefühl, das Alter ego schwebe tatsächlich im Innenraum der ISS. Willkommen im Herzstück der virtuellen Führung: die 360°-Tour durch das Innere der Raumstation.

Der Rundgang startet im Zvezda-Modul mit den Mannschaftsquartieren. Schlaflogen, Laufband und Küchentisch sucht man jedoch vergebens: Das Zentrum des Raums kann der Beobachter nicht verlassen und so bleiben die an angrenzenden Crewbereiche unbegehbar. Ein Blick aus der Linse einer schwenkbaren Webcam also – da hatte man sich aber mehr erhofft!

Doch mit einem Mausklick geht es weiter ins Destiny-Laboratorium, das die älteren Teile der Station mit den neueren Forschungslaboren verbindet. Postkartengroße Sticker kleben an der Wand: die Fahnen der Nationen, die an der ISS beteiligt sind. Immerhin ein Beleg dafür, dass hier tatsächlich Menschen zu Gange sind.

Kurze Zeit später: Im Harmony-Node 2, von dem aus man in die modernsten Forschungslabore der ISS gelangt, zieren Bildschirme und Schalttafeln die Wände. Sterile Kunststofftische mit schwarzen Laptops darauf stehen verloren im röhrenförmigen Raum. Am Ende des Gangs liegen die Weltraumlaboratorien Columbus und Kibo (japanisch für Hoffnung). Das Wirrwarr an Knöpfen und Anzeigetafeln könnte glatt dem Raumschiff Enterprise entstammen.

Raumstation der lebenden Toten

Findet hier nun aufregender All-Tag statt? Statt futuristischer Unterhaltung bieten die Bilder nur lange kalte Gänge, die klaustrophobische Anwandlungen auslösen, und die quadratmetergroßen Fächer in der Wand lassen vor allem an „Leichenhalle“ denken. So ist das also im Weltraum, wo Zweckmäßigkeit im Überlebenskampf gegen die widrigen Bedingungen für Ästhetik keinen Platz lässt.

Spannend(er) wird es erst nach dem Verlassen der virtuellen Tour. Dem Leben auf der Raumstation haben die Macher des Guides eine eigene Sektion gewidmet. In kurzen, unterhaltsamen Videoclips erzählt hier Mike Fincke, der Kommandant der achtzehnten ISS-Besatzung, wie die Astronauten essen, schlafen und trainieren. Highlight ist wohl das Video über die Laufband-Nutzung in der Schwerelosigkeit, die von Astronautin Sunita Williams recht eigenwillig vorgeführt wird: Als erster Mensch läuft sie einen 42-Kilometer Marathon im Weltall – mit einem Lächeln im Gesicht, das man bei Extremsportlern auf der Erdoberfläche eher vergeblich sucht.

Das mag ein bisschen an der mangelnden Schwerkraft liegen, denn auch wenn die Läuferin mit Hilfe eines Bauchgurts auf das Laufband gepresst wird, ist die körperliche Anstrengung geringer. Einen mindestens ebenso großen Anteil an der Freude der Läuferin hat aber sicherlich ihr Gefühl, dass sie etwas sehr Außergewöhnliches tut. Und so gelingt den simplen Videofilmen, was der interaktive Rundgang versäumt: den faszinierenden Alltag der ISS-Besatzung zum Leben zu erwecken.

Verkehrte Welt

Doch wie steht es eigentlich um die Ergebnisse der Forschung in der Schwerelosigkeit, die ja immerhin neue Erkenntnisse zu Physik, Materialforschung, Kristallzüchtung, Biologie und Medizin verspricht? Über die erfährt man wenig und will es als Gast-Astronaut auch gar nicht unbedingt wissen. Und so ist die Forschung im All absolut konträr zur Wissenschaft auf Mutter Erde: Die Ergebnisse lassen die Menschen kalt, der Alltag aber begeistert.

Verkehrte Welt also. Und doch kann ich ein ähnliches Phänomen in meinem direkten Umfeld beobachten: Roger Federer hat im diesjährigen Wimbledon-Finale Rafael Nadal in einem atemberaubenden Fünfsatzkrimi niedergerungen. Und wer schaut sich das Match in voller Länge an? Meine Freunde. Der Ausgang ist da eher sekundär, Hauptsache die Bälle fliegen schneller als bei mir in der Kreisliga. Touristentennis nenne ich das. Vielleicht gibt’s ja auch bald einen virtuellen Guide, der einen über den grünen Rasen Wimbledons schreiten lässt. Ob man mit diesem wohl die englische Landluft wird riechen können?

Robert Gast

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