Tagebuch: Das Essen als letzter Hort der Selbstbestimmung
Ein großer runder Tisch, darum versammelt etwa 40 Teilnehmer aus Industrie und Forschung: Der "Arbeitskreis für Kulturforschung des Essens" diskutierte über die Herausforderungen, die unsere Ernährung in Zukunft bringen wird. Also, wie sehen sie aus, diese Herausforderungen?
Karl-Michael Brunner von der Wirtschaftsuniversität Wien lieferte zunächst einen kurzen soziologischen Überblick. Der Inhalt zusammengefasst: Die Einstellung zur Ernährung ist abhängig vom sozialen Milieu, dem sich die Menschen zuordnen lassen, sowie unter anderem von Alter und Geschlecht. Außerdem änderten sich die Ernährungsgewohnheiten im Laufe eines Lebens oft, bedingt durch äußere Einflüsse. Also alles in allem nicht viel Unerwartetes.
Häufig war in den Vorträgen und anschließenden Diskussionen der Begriff "gutes Essen" zu hören, sinnbildlich für ... ja, für was denn genau? Gutes Essen solle zunächst gesund sein. Zwar könne man auch hier verschiedene Ansichten haben, wie man gesundes Essen definiert, aber es gebe doch wissenschaftliche Erkenntnisse, die einen gewissen Rahmen vorgäben. Mit dieser Anmerkung gaben sich die Teilnehmer allerdings bereits zufrieden und suchten alsdann nach weiteren Aspekten des guten Essens.
Freier Lauf für die Kreativität
So sollte gutes Essen nach Möglichkeit fair und nachhaltig produziert worden sein, in diesem Punkt waren sich die Anwesenden recht einig. Auch sonst gaben sie sich dem guten Leben hin: Essen sei mehr als Nahrungsaufnahme, beinhalte vielmehr ein Stück Kultur und biete oftmals die einzige Gelegenheit, zu der alle Mitglieder der modernen Familie zusammen an einen Tisch kommen und miteinander reden. Kochen und Essen sollten ein Stück Lebensfreude sein, eine lohnenswerte Tätigkeit, bei der man der Kreativität freien Lauf lassen könne. Damit diesen Aspekt auch ja niemand unterschätzt, legte die abschließende Pressemitteilung sogar noch einmal nach: Essen müsse mehr denn je "Genuss, Entspannung oder Unterhaltung bieten" und – jawohl – "zunehmend die Geborgenheit der Familie ersetzen".
Indessen gebe es immer mehr Übergewichtige, und viele Menschen essen Sachen, von denen sie nicht wissen, wo sie eigentlich herkommen oder wie sie produziert wurden. Das kritisierte Thomas Vilgis vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz, der sich an diesem Tag allerdings eher in der Rolle des ambitionierten Kochs denn als Wissenschaftler präsentierte. Ihn ärgern anonymisierte, abgepackte Produkte im Supermarkt. Denn vernünftig mit Lebensmitteln umgehen könne nur, wer auch weiß, wo sie herkommen. Daher müssten die Leute wieder lernen, was sie essen.
Schließlich kam die Frage auf, wie man das Essverhalten der Bevölkerung ändern könne. Muss die Politik eingreifen? Etwa über Zuckersteuer und Ampelkennzeichnung der Lebensmittel? Andererseits waren die Deutschen noch nie so gut ernährt wie heute, kommt der Einwurf, die Lebenserwartung steige selbst bei Übergewichtigen. Soll man das Essverhalten also überhaupt zu ändern versuchen? Eher doch nicht: Schließlich, so der Philosoph Harald Lemke von der Universität Lüneburg, sei die Ernährung doch der einzige Lebensbereich, der noch nicht vollständig reguliert sei, der noch Raum für selbst bestimmtes Handeln böte. – Die Ernährung als letzte Bastion der individuellen Freiheit? Zugegeben, aus dieser Perspektive habe ich die Thematik noch nicht betrachtet.
Tatbestand der Körperverletzung
Vielmehr seien gesetzliche Regelungen bei der Verpflegung von Kindergärten, Schulen und Altersheimen gefragt. "Was da teilweise serviert wird, erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung", spitzt Pudel zu. Und gerade die Kinder sind es, die man erreichen müsse, denn sie könnten gutes Essen leicht lernen. Bei Erwachsenen hingegen, die ihre Essgewohnheiten schon seit Jahren pflegten, stieße man wohl eher auf taube Ohren. Nicht zuletzt, so Pudel, bestünde bei den Packungsgrößen Handlungsbedarf. "XXL-Packungen gehören verboten. Da isst man immer mehr als bei einer kleinen. Die esse ich vielleicht auch leer, aber dann nicht noch mal eine oder zwei."
Als sich die Teilnehmer wieder auf den Weg machten, war man sich letztlich zwar über den Handlungsbedarf einig, eine umfassendere Strategie allerdings fehlte. Dabei wollte der Arbeitskreis doch "helfen, aktuelle und zukünftige Ernährungsprobleme zu lösen", schließlich werde "der Essalltag der Zukunft ... eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen" sein. Für viele ist er das durchaus schon jetzt.
Karl-Michael Brunner von der Wirtschaftsuniversität Wien lieferte zunächst einen kurzen soziologischen Überblick. Der Inhalt zusammengefasst: Die Einstellung zur Ernährung ist abhängig vom sozialen Milieu, dem sich die Menschen zuordnen lassen, sowie unter anderem von Alter und Geschlecht. Außerdem änderten sich die Ernährungsgewohnheiten im Laufe eines Lebens oft, bedingt durch äußere Einflüsse. Also alles in allem nicht viel Unerwartetes.
Häufig war in den Vorträgen und anschließenden Diskussionen der Begriff "gutes Essen" zu hören, sinnbildlich für ... ja, für was denn genau? Gutes Essen solle zunächst gesund sein. Zwar könne man auch hier verschiedene Ansichten haben, wie man gesundes Essen definiert, aber es gebe doch wissenschaftliche Erkenntnisse, die einen gewissen Rahmen vorgäben. Mit dieser Anmerkung gaben sich die Teilnehmer allerdings bereits zufrieden und suchten alsdann nach weiteren Aspekten des guten Essens.
Freier Lauf für die Kreativität
So sollte gutes Essen nach Möglichkeit fair und nachhaltig produziert worden sein, in diesem Punkt waren sich die Anwesenden recht einig. Auch sonst gaben sie sich dem guten Leben hin: Essen sei mehr als Nahrungsaufnahme, beinhalte vielmehr ein Stück Kultur und biete oftmals die einzige Gelegenheit, zu der alle Mitglieder der modernen Familie zusammen an einen Tisch kommen und miteinander reden. Kochen und Essen sollten ein Stück Lebensfreude sein, eine lohnenswerte Tätigkeit, bei der man der Kreativität freien Lauf lassen könne. Damit diesen Aspekt auch ja niemand unterschätzt, legte die abschließende Pressemitteilung sogar noch einmal nach: Essen müsse mehr denn je "Genuss, Entspannung oder Unterhaltung bieten" und – jawohl – "zunehmend die Geborgenheit der Familie ersetzen".
Indessen gebe es immer mehr Übergewichtige, und viele Menschen essen Sachen, von denen sie nicht wissen, wo sie eigentlich herkommen oder wie sie produziert wurden. Das kritisierte Thomas Vilgis vom Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz, der sich an diesem Tag allerdings eher in der Rolle des ambitionierten Kochs denn als Wissenschaftler präsentierte. Ihn ärgern anonymisierte, abgepackte Produkte im Supermarkt. Denn vernünftig mit Lebensmitteln umgehen könne nur, wer auch weiß, wo sie herkommen. Daher müssten die Leute wieder lernen, was sie essen.
Dazu zeigt der Forscher delikate Bilder aus einem Schlachthaus: "Wenn ich das in Schulklassen zeige, kommt das große Igitt. Aber das ist die Grundlage des Hamburgers und das müssen wir im Hinterkopf behalten, wenn wir einen essen." Dazu sei es nun mal notwendig, Tiere zu schlachten, dies müsse aber auf "anständige Art und Weise" geschehen. Seine Empfehlung: "Fleisch vom Direktvermarkter, damit man weiß, wo das Tier herkommt." Außerdem sollten die Tiere komplett verwertet werden, nicht nur ihr Fleisch.
Schließlich kam die Frage auf, wie man das Essverhalten der Bevölkerung ändern könne. Muss die Politik eingreifen? Etwa über Zuckersteuer und Ampelkennzeichnung der Lebensmittel? Andererseits waren die Deutschen noch nie so gut ernährt wie heute, kommt der Einwurf, die Lebenserwartung steige selbst bei Übergewichtigen. Soll man das Essverhalten also überhaupt zu ändern versuchen? Eher doch nicht: Schließlich, so der Philosoph Harald Lemke von der Universität Lüneburg, sei die Ernährung doch der einzige Lebensbereich, der noch nicht vollständig reguliert sei, der noch Raum für selbst bestimmtes Handeln böte. – Die Ernährung als letzte Bastion der individuellen Freiheit? Zugegeben, aus dieser Perspektive habe ich die Thematik noch nicht betrachtet.
Aber genau diese kritisierte der Tagungsleiter Volker Pudel von der Universität Göttingen. "Alle Verhaltensweisen sind doch in Deutschland geregelt, vom Autofahren bis hin zum Rauchen", so der Ernährungspsychologe. "Ich appelliere auch hier an die Fürsorgepflicht des Staates!" Die Ampelkennzeichnung hält er allerdings für wenig förderlich, weil sie nur einzelne Lebensmittel an sich betrachtet und nicht ihre tatsächliche Verwendung. "Rot bekommt immer die Salami oder das Öl. Aber keiner isst Salami pur oder trinkt Öl einfach so, sondern diese Lebensmittel werden immer im Verbund gegessen." Es gebe keine prinzipiell guten oder schlechten Lebensmittel: "Entscheidend ist immer die Menge, Kombination und Zubereitung."
Tatbestand der Körperverletzung
Vielmehr seien gesetzliche Regelungen bei der Verpflegung von Kindergärten, Schulen und Altersheimen gefragt. "Was da teilweise serviert wird, erfüllt den Tatbestand der Körperverletzung", spitzt Pudel zu. Und gerade die Kinder sind es, die man erreichen müsse, denn sie könnten gutes Essen leicht lernen. Bei Erwachsenen hingegen, die ihre Essgewohnheiten schon seit Jahren pflegten, stieße man wohl eher auf taube Ohren. Nicht zuletzt, so Pudel, bestünde bei den Packungsgrößen Handlungsbedarf. "XXL-Packungen gehören verboten. Da isst man immer mehr als bei einer kleinen. Die esse ich vielleicht auch leer, aber dann nicht noch mal eine oder zwei."
Als sich die Teilnehmer wieder auf den Weg machten, war man sich letztlich zwar über den Handlungsbedarf einig, eine umfassendere Strategie allerdings fehlte. Dabei wollte der Arbeitskreis doch "helfen, aktuelle und zukünftige Ernährungsprobleme zu lösen", schließlich werde "der Essalltag der Zukunft ... eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen" sein. Für viele ist er das durchaus schon jetzt.
Wenn Sie inhaltliche Anmerkungen zu diesem Artikel haben, können Sie die Redaktion per E-Mail informieren. Wir lesen Ihre Zuschrift, bitten jedoch um Verständnis, dass wir nicht jede beantworten können.