Tagebuch: Warum der Casimir-Effekt Physiker so begeistert (III)
Gestern durfte ich mich dem Ausflug einiger ausländischer Wissenschaftler nach Moskau anschließen. Per Metro und zu Fuß ging es zu den Sehenswürdigkeiten, nur auf den Roten Platz gelangten wir nicht. Warum? "Zakryto i vsjo – "Geschlossen. Und das ist alles.", sagte einer der vielen Polizisten auf Nachfrage. Ein anderer erklärte immerhin, dort würde der Stadtgeburtstag vorbereitet, der wie immer Anfang September gefeiert wird.
Moskau faszinierte natürlich dennoch: durch seine großen Straßen, die hohen alten grauen Hausfassaden, Denkmäler, Kirchen und die hohe rote Mauer um den Kreml. Doch bei aller touristischen Begeisterung vermisste ich fröhliche Gesichter auf den Straßen. Die Menschen schauten zum Großteil ernst und ein wenig grimmig zur Seite, sie ließen sich nicht gerne ansprechen.
Auch jene, die gerade ihre Arbeit verrichteten, waren kurz angebunden. Von meinen Mitreisenden wurde ich allein an diesem einen Tag mehrmals ermahnt, bei Fragen von Beamten in der Metro, an Schaltern und seitens der Polizei lieber nur kurz zu antworten und keine Rückfragen zu stellen. Schon gegen Abend bemerkte ich immer öfter, wie ich lieber den Blick senkte statt kritisch, freundlich oder fragend in Gesichter zu blicken. Bei all diesen Erlebnissen erschien mir das Lachen einer jungen Russin bereits geradezu auffällig. Und der nette alte Mann, der uns am Nachmittag den Weg zum Arbat wies – der berühmten Flaniermeile –, konnte schon fast als Ausnahmeerscheinung gelten.
Über Georgien hörte, las und sah man übrigens nichts.
Umso glücklicher nach diesen Erlebnissen war ich, als mich heute wieder die heimelige und freundliche Atmosphäre hier im Institut in Dubna umfing. Zwei Vorträge faszinierten mich besonders und lassen sich sogar in verständliche Worte fassen. Der erste behandelte endlich den Casimir-Effekt. Für den Vortragenden Yuri Pismak von der Staatsuniversität in Sankt Petersburg stand zwar dessen mathematische Behandlung im Zentrum, doch hier soll es mir darum gehen, warum der Casimir-Effekt Physiker so begeistert: Er ist nämlich ein Beweis dafür, dass der leere Raum nicht leer ist.
Quantenfeldtheorie zum Anfassen
Wäre er leer, dann ließe sich nie verstehen, warum zwei im Vakuum dicht nebeneinander stehende Platten sich anziehen. Nimmt man hingegen an, der Raum sei, egal wie gut man ihn evakuiert, mit so genannten "virtuellen Teilchen" gefüllt, kann man den Platteneffekt plötzlich verstehen. Denn zwischen den Platten können nicht so viele verschiedene Teilchen existieren wie im Außenraum – das liegt daran, dass Teilchen auch Welleneigenschaften haben und nicht alle Wellenlängen zwischen die Platten "passen". Folglich drücken von außen mehr und von innen weniger Teilchen auf die Platten, sodass sich diese dann aufeinander zu bewegen. (Im Fall von Luftteilchen würde Vergleichbares passieren: Dort, wo weniger Teilchen sind, entsteht Unterdruck.)
Das ist ein fantastisches Experiment, zeigt es uns doch Quantenfeldtheorie auf makroskopischer Ebene, nämlich zum Anfassen. Virtuelle Teilchen sind übrigens keine normalen Elementarteilchen. Sie sind vielmehr sehr kurzlebig und entstehen, löschen sich aus und entstehen wieder – man darf sich das Vakuum also wie einen brodelnden Kessel von werdenden und vergehenden Teilchen vorstellen.
Auch David Broadhurst von der britischen Open University gelang ein spannender Vortrag, unter anderem über Regenbögen, Ketten und Bäume. Was nach einer "flower power"-Reise in die wilden 60er Jahre klingt, ist in Wirklichkeit ein nützliches Spiel mit Formeln und Grafiken. Im Zentrum von Broadhursts Arbeit stehen Elementarteilchen, die miteinander interagieren. Veranschaulichen lässt sich die komplizierte Mathematik, die solche Prozesse beschreibt, durch so genannte Feynman-Graphen.
Verzwickt wird es trotzdem
Diese Bilder bestehen im Wesentlichen aus Linien, die man sich fast als Teilchenspuren vorstellen kann. Da kommen zwei Teilchen aufeinander zu, interagieren und entfernen sich wieder voneinander. Jede Linie repräsentiert dabei einen komplizierten mathematischen Ausdruck. Einige der verzwickteren Graphen, die Broadhurst vorstellte, sahen nun aus wie Regenbögen, andere wie Ketten unter Regenbögen. Schließlich verband er die in der Hierarchie höchsten Stellen der Regenbögen und Kettenfragmente miteinander zu "Bäumen". Und tatsächlich hatten diese Strukturen Ähnlichkeit mit Familienstammbäumen.
Dank ihrer kann man unter anderem verschiedene von gleichen (Teil-)Graphen leichter unterscheiden. Das ist nützlich, denn jetzt müssen die Mathematiker nicht mehr alle mathematischen Terme einer Teilcheninteraktion berechnen, sondern nur noch diejenigen, die tatsächlich verschieden sind. Über den grafischen Prozess reduzierte Folk also die Anzahl relevanter Terme und sorgte so dafür, dass sich die Wechselwirkung von Teilchen leichter berechnen lässt.
(Eigentlich zeigte er den Experten vor allem, dass bestimmte mathematische Relationen tatsächlich gelten. Aber wie könnte ich das hier genauer ausführen? Das dargestellte Prinzip, wie man aus relativ einfachen Bildern hilfreiche Kategorien für komplexe Formelwerke schaffen kann, scheint mir schon interessant genug.)
Morgen mehr aus Dubna!
Vera Spillner
Moskau faszinierte natürlich dennoch: durch seine großen Straßen, die hohen alten grauen Hausfassaden, Denkmäler, Kirchen und die hohe rote Mauer um den Kreml. Doch bei aller touristischen Begeisterung vermisste ich fröhliche Gesichter auf den Straßen. Die Menschen schauten zum Großteil ernst und ein wenig grimmig zur Seite, sie ließen sich nicht gerne ansprechen.
Auch jene, die gerade ihre Arbeit verrichteten, waren kurz angebunden. Von meinen Mitreisenden wurde ich allein an diesem einen Tag mehrmals ermahnt, bei Fragen von Beamten in der Metro, an Schaltern und seitens der Polizei lieber nur kurz zu antworten und keine Rückfragen zu stellen. Schon gegen Abend bemerkte ich immer öfter, wie ich lieber den Blick senkte statt kritisch, freundlich oder fragend in Gesichter zu blicken. Bei all diesen Erlebnissen erschien mir das Lachen einer jungen Russin bereits geradezu auffällig. Und der nette alte Mann, der uns am Nachmittag den Weg zum Arbat wies – der berühmten Flaniermeile –, konnte schon fast als Ausnahmeerscheinung gelten.
Über Georgien hörte, las und sah man übrigens nichts.
Umso glücklicher nach diesen Erlebnissen war ich, als mich heute wieder die heimelige und freundliche Atmosphäre hier im Institut in Dubna umfing. Zwei Vorträge faszinierten mich besonders und lassen sich sogar in verständliche Worte fassen. Der erste behandelte endlich den Casimir-Effekt. Für den Vortragenden Yuri Pismak von der Staatsuniversität in Sankt Petersburg stand zwar dessen mathematische Behandlung im Zentrum, doch hier soll es mir darum gehen, warum der Casimir-Effekt Physiker so begeistert: Er ist nämlich ein Beweis dafür, dass der leere Raum nicht leer ist.
Quantenfeldtheorie zum Anfassen
Wäre er leer, dann ließe sich nie verstehen, warum zwei im Vakuum dicht nebeneinander stehende Platten sich anziehen. Nimmt man hingegen an, der Raum sei, egal wie gut man ihn evakuiert, mit so genannten "virtuellen Teilchen" gefüllt, kann man den Platteneffekt plötzlich verstehen. Denn zwischen den Platten können nicht so viele verschiedene Teilchen existieren wie im Außenraum – das liegt daran, dass Teilchen auch Welleneigenschaften haben und nicht alle Wellenlängen zwischen die Platten "passen". Folglich drücken von außen mehr und von innen weniger Teilchen auf die Platten, sodass sich diese dann aufeinander zu bewegen. (Im Fall von Luftteilchen würde Vergleichbares passieren: Dort, wo weniger Teilchen sind, entsteht Unterdruck.)
Das ist ein fantastisches Experiment, zeigt es uns doch Quantenfeldtheorie auf makroskopischer Ebene, nämlich zum Anfassen. Virtuelle Teilchen sind übrigens keine normalen Elementarteilchen. Sie sind vielmehr sehr kurzlebig und entstehen, löschen sich aus und entstehen wieder – man darf sich das Vakuum also wie einen brodelnden Kessel von werdenden und vergehenden Teilchen vorstellen.
Auch David Broadhurst von der britischen Open University gelang ein spannender Vortrag, unter anderem über Regenbögen, Ketten und Bäume. Was nach einer "flower power"-Reise in die wilden 60er Jahre klingt, ist in Wirklichkeit ein nützliches Spiel mit Formeln und Grafiken. Im Zentrum von Broadhursts Arbeit stehen Elementarteilchen, die miteinander interagieren. Veranschaulichen lässt sich die komplizierte Mathematik, die solche Prozesse beschreibt, durch so genannte Feynman-Graphen.
Verzwickt wird es trotzdem
Diese Bilder bestehen im Wesentlichen aus Linien, die man sich fast als Teilchenspuren vorstellen kann. Da kommen zwei Teilchen aufeinander zu, interagieren und entfernen sich wieder voneinander. Jede Linie repräsentiert dabei einen komplizierten mathematischen Ausdruck. Einige der verzwickteren Graphen, die Broadhurst vorstellte, sahen nun aus wie Regenbögen, andere wie Ketten unter Regenbögen. Schließlich verband er die in der Hierarchie höchsten Stellen der Regenbögen und Kettenfragmente miteinander zu "Bäumen". Und tatsächlich hatten diese Strukturen Ähnlichkeit mit Familienstammbäumen.
Dank ihrer kann man unter anderem verschiedene von gleichen (Teil-)Graphen leichter unterscheiden. Das ist nützlich, denn jetzt müssen die Mathematiker nicht mehr alle mathematischen Terme einer Teilcheninteraktion berechnen, sondern nur noch diejenigen, die tatsächlich verschieden sind. Über den grafischen Prozess reduzierte Folk also die Anzahl relevanter Terme und sorgte so dafür, dass sich die Wechselwirkung von Teilchen leichter berechnen lässt.
(Eigentlich zeigte er den Experten vor allem, dass bestimmte mathematische Relationen tatsächlich gelten. Aber wie könnte ich das hier genauer ausführen? Das dargestellte Prinzip, wie man aus relativ einfachen Bildern hilfreiche Kategorien für komplexe Formelwerke schaffen kann, scheint mir schon interessant genug.)
Morgen mehr aus Dubna!
Vera Spillner
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