Teilchenphysik: Heiße Spur zum Higgs-Boson - Beweis fehlt noch
Physiker des LHC am CERN in Genf haben nach eigenen Angaben substanzielle Hinweise auf die Existenz des Higgs-Bosons entdeckt, der endgültige Nachweis des Elementarteilchens gelang ihnen jedoch noch nicht. Wie sie in einer Pressekonferenz am Dienstag bekannt gaben, beobachteten die Wissenschaftler in zwei der größten Experimente – ATLAS und CMS – deutliche Signale dafür, dass die präzise Masse des Higgs-Bosons im Bereich von etwa 125 Gigaelektronvolt (GeV) liegen dürfte: In Gigaelektronvolt messen Physiker die Masse subatomarer Partikel. Bereits vor wenigen Wochen hatten die Forscher das Teilchen zwischen 114 und 141 GeV verortet: Nun konnten sie es weiter einkreisen.
Mit einer Wahrscheinlichkeit von 95 Prozent liegt die Masse des Higgs-Bosons demnach zwischen 115 und 130 GeV, was der Bandbreite der im ATLAS-Experiment erhobenen Daten entspricht. In diesem Energiebereich maßen die beiden Experimente nun ein winzig kleines Plus an Teilchen. Das CMS-Team grenzte den Bereich sogar noch enger zwischen 117 und 127 GeV ein. Gehäuft ergaben sich Treffer bei 126 GeV. Das im Standardmodell vorausgesagte Higgs wird unter anderem genau zwischen 124 und 126 GeV erwartet. Im besten Fall ermittelten die ATLAS-Mitarbeiter jedoch "nur" ein Signal, dessen Größe das 3,6-Fache der Standardabweichung beträgt, am CMS betrug der Wert das 2,6-Fache – erst ab einer Signalgröße, die das Fünffache der Messunsicherheit übersteigt, gilt die Existenz des Teilchens als gesichert.
Neben den relativ starken Signalen im Bereich um 126 GeV wiesen die Physiker zudem noch einen etwas schwächeren Ausschlag bei 119 GeV nach. Laut dem Standardmodell wäre das Vorhandensein eines Higgs-Bosons in beiden Bereichen möglich, ebenso gilt dies für die Erweiterung dieses Modells, die Supersymmetrie. Insgesamt sei es deshalb noch zu früh, um definitive Schlussfolgerungen zu ziehen, so Fabiola Gianotti vom CERN.
"Wir haben die Masse des Higgs nun auf eine Region zwischen 116 und 130 GeV eingeschränkt", erklärte die ATLAS-Sprecherin Gianotti, "mit einem verblüffenden Überschuss um 125 GeV herum." Doch gibt auch sie zu, dass dieses Signal reiner Zufall sein könnte. "Um Genaueres sagen zu können, benötigen wir mehr Daten", sagt sie. Guido Tonelli, Sprecher des CMS-Experiments, stimmt ihr bei. Er vermutet das Higgs zwischen 115 und 127 GeV. In fünf unabhängigen Zerfallskanälen erscheint in seinem Nachweisgerät ebenfalls derzeit ein schwaches Signal. "Der Überschuss ist mit einem Higgs mit einer Masse um die 124 GeV am besten in Einklang zu bringen", sagt er – wenngleich er ebenfalls darauf hinweist, dass die Datenmenge noch nicht ausreicht, um definitive Antworten zu geben.
Auch Rolf-Dieter Heuer, Chef des CERN, hält den Ball noch flach. Erst weitere Messungen werden zeigen, ob das purer Zufall war oder Systematik hat. Wenn der LHC aber weiter so gut läuft wie in diesem Jahr, erwarten alle, dass sie das Geheimnis im nächsten Jahr endgültig lüften können. Weitere Untersuchungen und Daten sollen deshalb 2012 das Teilchen endgültig dingfest machen. Bislang haben die Experimente am LHC etwa 500 Billionen Protonenkollisionen verursacht und deren Spuren vermessen. Bis Ende 2012 soll sich diese Zahl vervierfachen.
Das Higgs-Boson wird auch das "Gottesteilchen" genannt, das Materie und damit letztlich auch uns Masse verleihen soll. Je stärker etwas mit diesem Teilchen in Wechselwirkung tritt, desto massereicher ist es. Postuliert wurde es bereits in den 1960er Jahren durch den britischen Physiker Peter Higgs – seitdem harrt es der Entdeckung.
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