Tödliche Seuchen vom Menschen gemacht?
Winterzeit ist Grippezeit. Das ist nichts Außergewöhnliches, wir haben uns darauf eingestellt. Anders sieht es aus, wenn das Virus in einer neuen Variante auftritt. Dann steigt das öffentliche Interesse und der Verlauf wird akribisch überwacht. Der jüngste Fall von H1N1 ist aber nicht nur allein deshalb interessant. Denn der Name "Schweinegrippe" lässt schon vermuten, dass es einen Zusammenhang zum Tier gibt. Und der besteht bei den meisten Infektionskrankheiten – fast alle stammen nämlich ursprünglich von Tieren.
"Die Geschichte vieler Infektionskrankheiten lässt sich durchaus als eine von Zivilisationskrankheiten schreiben – insofern, dass ihr Auftreten von Bedingungen abhängig war, die von Menschen geschaffen wurden", so Christoph Gradmann, Professor der Abteilung für medizinische Anthropologie und Medizingeschichte der Universität Oslo.
Was bedeutet das im Klartext? Ist die Menschheit womöglich "selbst schuld" an Masern, Influenza und Co.? Immerhin hat laut Gradmann "vermutlich der Beginn der Haustierhaltung in Eurasien zum Auftreten der Grippe beim Menschen geführt". Erst dann konnten die Influenzaviren nämlich durch genetische Veränderungen von ihrem ursprünglichen Reservoir, den Wildvögeln, über Schweine und Enten zum Menschen wandern. Diese Infektionskette gab es zuvor noch nicht.
Neue Möglichkeiten für Erreger
Einer ähnlichen Frage sind auch Evolutionsbiologe Jared Diamond und der Virologe Nathan Wolfe auf der Spur. Sie untersuchten die Ursprünge heute bekannter Seuchen. Dabei kamen sie zu einem vergleichbaren Ergebnis wie Gradmann: Vor etwa 11 000 Jahren legten unsere Vorfahren den Grundstein für den Großteil der modernen Infektionskrankheiten. Damals wurden die ersten Menschen sesshaft und begannen Viehzucht und Ackerbau zu betreiben. Das eröffnete den Krankheitserregern völlig neue Möglichkeiten: viele Menschen, die auf engem Raum und in unmittelbarer Nähe mit ihren Nutztieren zusammenlebten. Die tödlichsten Seuchen der Geschichte wurden durch diese Kombination überhaupt erst möglich. Nun gelang es nämlich mehreren Bakterien und Viren, vom Tier auf den Menschen "überzuspringen". Im Fall der heute bekannten Infektionskrankheiten mutierten sie dabei so, dass sie ausschließlich für den Menschen gefährlich wurden. Neben dem tierischen Erreger gab es ab diesem Zeitpunkt also noch einen zusätzlichen, humanpathogenen Stamm. Dieser Fall ist allerdings eher die Ausnahme als die Regel. Auch heute kennt man noch Krankheiten, die zwar vom Tier auf den Menschen, aber danach nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden. Beispiele dafür sind Tollwut oder Tularämie, einer tödlich verlaufenden Krankheit, die bei freilebenden Nagetieren auftritt.
Viele Wirte notwendig
Abgesehen davon, dass sie alle vom Tier stammen, haben Krankheiten wie Pest, Pocken, Diphtherie oder Tuberkulose noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie verlaufen sehr schnell. Innerhalb weniger Wochen stirbt der Erkrankte daran – oder aber er überlebt und ist künftig immun. Das bedeutet: Damit sich die Erreger nicht innerhalb kürzester Zeit ihrer Existenzgrundlage beraubten, brauchten sie eine große Zahl von potentiellen Wirten. Diese mussten außerdem so engen Kontakt miteinander haben, dass sie die Erreger problemlos übertragen konnten. Im Falle der ab dem Mittelalter auftretenden Masern und Keuchhusten beispielsweise mehrere hunderttausend Menschen. Solch große Populationen gab es zu Zeiten der Jäger und Sammler schlicht noch nicht.
Das bedeutet freilich nicht, dass unsere frühen Vorfahren vor der Zeit des Ackerbaus von Infektionskrankheiten verschont geblieben wären. Bei ihnen verliefen die Krankheiten allerdings anders. Das liegt daran, dass die Menschen damals in kleinen Gruppen und relativ verstreut lebten. Um in kleinen Populationen bestehen zu können, musste ein Erreger ganz andere Eigenschaften aufweisen. Er durfte beispielsweise nicht nur Menschen befallen, sondern musste gleichzeitig noch in Tieren vorkommen, um die Zahl der Wirte nicht zu sehr zu begrenzen. Dieses Phänomen kennt man vom Gelbfieber, das gleichzeitig in Primaten und Menschen auftritt und durch bestimmte Stechmücken von einer Spezies auf die andere übertragen wird. Typisch ist auch, dass die Betroffenen keine Immunität ausbildeten. So verbleiben sie, wie beispielsweise im Falle von Malaria, auch nach der Genesung noch im Pool der potentiellen Opfer. Außerdem verlaufen die Krankheiten sehr langsam, teilweise chronisch. Dadurch konnten unsere erkrankten Urahnen über Jahre hinweg neue Artgenossen infizieren. Ein Beispiel für solch einen Verlauf ist die Chagas-Krankheit. Abgesehen von einigen wenigen Abenteurern dürfte das entbehrungsreiche Leben als Jäger und Sammler den meisten heutigen Menschen ziemlich unattraktiv erscheinen. Aber genau das wäre die pandemiefreie Alternative zu unserem heutigen Leben. Vielleicht sollten wir diese Tatsache im Hinterkopf behalten, wenn wir über die nächste Grippewelle schimpfen.
Andreas Baumann studiert Wissenschaftsjournalismus an der Hochschule Darmstadt.
"Die Geschichte vieler Infektionskrankheiten lässt sich durchaus als eine von Zivilisationskrankheiten schreiben – insofern, dass ihr Auftreten von Bedingungen abhängig war, die von Menschen geschaffen wurden", so Christoph Gradmann, Professor der Abteilung für medizinische Anthropologie und Medizingeschichte der Universität Oslo.
Was bedeutet das im Klartext? Ist die Menschheit womöglich "selbst schuld" an Masern, Influenza und Co.? Immerhin hat laut Gradmann "vermutlich der Beginn der Haustierhaltung in Eurasien zum Auftreten der Grippe beim Menschen geführt". Erst dann konnten die Influenzaviren nämlich durch genetische Veränderungen von ihrem ursprünglichen Reservoir, den Wildvögeln, über Schweine und Enten zum Menschen wandern. Diese Infektionskette gab es zuvor noch nicht.
Neue Möglichkeiten für Erreger
Einer ähnlichen Frage sind auch Evolutionsbiologe Jared Diamond und der Virologe Nathan Wolfe auf der Spur. Sie untersuchten die Ursprünge heute bekannter Seuchen. Dabei kamen sie zu einem vergleichbaren Ergebnis wie Gradmann: Vor etwa 11 000 Jahren legten unsere Vorfahren den Grundstein für den Großteil der modernen Infektionskrankheiten. Damals wurden die ersten Menschen sesshaft und begannen Viehzucht und Ackerbau zu betreiben. Das eröffnete den Krankheitserregern völlig neue Möglichkeiten: viele Menschen, die auf engem Raum und in unmittelbarer Nähe mit ihren Nutztieren zusammenlebten. Die tödlichsten Seuchen der Geschichte wurden durch diese Kombination überhaupt erst möglich. Nun gelang es nämlich mehreren Bakterien und Viren, vom Tier auf den Menschen "überzuspringen". Im Fall der heute bekannten Infektionskrankheiten mutierten sie dabei so, dass sie ausschließlich für den Menschen gefährlich wurden. Neben dem tierischen Erreger gab es ab diesem Zeitpunkt also noch einen zusätzlichen, humanpathogenen Stamm. Dieser Fall ist allerdings eher die Ausnahme als die Regel. Auch heute kennt man noch Krankheiten, die zwar vom Tier auf den Menschen, aber danach nicht von Mensch zu Mensch übertragen werden. Beispiele dafür sind Tollwut oder Tularämie, einer tödlich verlaufenden Krankheit, die bei freilebenden Nagetieren auftritt.
Vergleicht man "unsere" Erreger mit den Verursachern von Tierkrankheiten, kann man in den meisten Fällen Rückschlüsse über ihre Herkunft ziehen. So kommt das Bakterium Yersinia pestis, Auslöser der Pest im Menschen, ursprünglich in Nagetieren und ihren Parasiten vor. Masern- und Pockenviren ähneln sehr stark dem entsprechenden Pendant aus Rindern beziehungsweise Kamelen. Bei Tuberkulose und Typhus kann man den ursprünglichen Wirt nicht genau zuordnen, weil sich gleich in mehreren Tieren verwandte Erreger finden.
Viele Wirte notwendig
Abgesehen davon, dass sie alle vom Tier stammen, haben Krankheiten wie Pest, Pocken, Diphtherie oder Tuberkulose noch eine weitere Gemeinsamkeit: Sie verlaufen sehr schnell. Innerhalb weniger Wochen stirbt der Erkrankte daran – oder aber er überlebt und ist künftig immun. Das bedeutet: Damit sich die Erreger nicht innerhalb kürzester Zeit ihrer Existenzgrundlage beraubten, brauchten sie eine große Zahl von potentiellen Wirten. Diese mussten außerdem so engen Kontakt miteinander haben, dass sie die Erreger problemlos übertragen konnten. Im Falle der ab dem Mittelalter auftretenden Masern und Keuchhusten beispielsweise mehrere hunderttausend Menschen. Solch große Populationen gab es zu Zeiten der Jäger und Sammler schlicht noch nicht.
Das bedeutet freilich nicht, dass unsere frühen Vorfahren vor der Zeit des Ackerbaus von Infektionskrankheiten verschont geblieben wären. Bei ihnen verliefen die Krankheiten allerdings anders. Das liegt daran, dass die Menschen damals in kleinen Gruppen und relativ verstreut lebten. Um in kleinen Populationen bestehen zu können, musste ein Erreger ganz andere Eigenschaften aufweisen. Er durfte beispielsweise nicht nur Menschen befallen, sondern musste gleichzeitig noch in Tieren vorkommen, um die Zahl der Wirte nicht zu sehr zu begrenzen. Dieses Phänomen kennt man vom Gelbfieber, das gleichzeitig in Primaten und Menschen auftritt und durch bestimmte Stechmücken von einer Spezies auf die andere übertragen wird. Typisch ist auch, dass die Betroffenen keine Immunität ausbildeten. So verbleiben sie, wie beispielsweise im Falle von Malaria, auch nach der Genesung noch im Pool der potentiellen Opfer. Außerdem verlaufen die Krankheiten sehr langsam, teilweise chronisch. Dadurch konnten unsere erkrankten Urahnen über Jahre hinweg neue Artgenossen infizieren. Ein Beispiel für solch einen Verlauf ist die Chagas-Krankheit. Abgesehen von einigen wenigen Abenteurern dürfte das entbehrungsreiche Leben als Jäger und Sammler den meisten heutigen Menschen ziemlich unattraktiv erscheinen. Aber genau das wäre die pandemiefreie Alternative zu unserem heutigen Leben. Vielleicht sollten wir diese Tatsache im Hinterkopf behalten, wenn wir über die nächste Grippewelle schimpfen.
Andreas Baumann studiert Wissenschaftsjournalismus an der Hochschule Darmstadt.
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