Leben vom Reißbrett: Das Versprechen der synthetischen Biologie
Ich habe die Zukunft gesehen, sie geschieht gerade jetzt.
Allein die Entwicklungen am J. Craig Venter-Institut: Im Jahr 2003 erschufen dessen Wissenschaftler eine künstliche Version des Bakteriophagen phiX147. Im Jahr 2007 verwandelten sie eine Bakterienart erfolgreich in eine andere, indem sie ihr Erbgut austauschten. Und erst kürzlich entwickelten sie eine Methode, um das komplette Genom des Bakteriums Mycoplasma genitalium synthetisch nachzubauen.
Im Vergleich zu heutigen Methoden wirkt die – damals spektakuläre – Sequenzierung des menschlichen Genoms im Jahr 2001 geradezu prähistorisch. Sequenzierungen werden immer billiger und lassen sich immer schneller durchführen, ihre Technologie entwickelt sich rasanter als die von Computerchips. Mit Hilfe neuer Erkenntnisse in Biologie und Chemie wurden die Möglichkeiten, neue, komplexe Organismen zu synthetisieren, in den letzten fünf Jahren regelrecht revolutioniert. Synthetische Gensequenzen können in fremde Zellen übertragen und dort in Proteine übersetzt werden; diese Proteine wiederum bauen funktionierende Kopien der Organismen, deren Bauplan in der synthetischen Sequenz festgelegt wurde. Venter nennt diesen Kreislauf "Software, die ihre eigene Hardware produziert". In nicht allzu langer Zeit rechne ich mit Nachrichten über den ersten komplett künstlichen Organismus, der von Grund auf konstruiert wurde und erst zum Leben erwacht, wenn die Wissenschaftler ihn völlig zusammengefügt haben.
Aus großer Kraft folgt große Verantwortung, würde Spiderman sagen
Die gegenwärtige Entwicklung der Halbleitertechnologie hin zu Strukturen im Nanometerbereich wird seit über einem Jahrzehnt als revolutionär gepriesen. Gegenüber dem Potential der Biotechnologie, Leben und Gesellschaft zu verändern, verblasst aber selbst dieser Fortschritt. Stellen Sie sich vor, was geschieht, wenn wir es der Natur gleichtun und lebende Systeme erschaffen, die Fähigkeiten besitzen, wie sie bislang in der Natur nicht vorkommen – von Mikroben, die Treibstoff produzieren oder sich von Kohlendioxid ernähren (und daraus Biokunststoffe herstellen), bis hin zu Mikroorganismen, die für den Kampf gegen Krebszellen designt wurden. In fünfzig Jahren, so bin ich überzeugt, wird die Weltwirtschaft nicht mehr durch computergenerierte Informationen, sondern durch biologisch generierte Software am Laufen gehalten.
Aus großer Kraft folgt aber auch große Verantwortung, wie Spiderman sagen würde. Hacker erschaffen heute Softwareviren, die immer wieder riesige Computernetzwerke lahm legen. Angesichts der Möglichkeiten, DNA-Sequenzen nach Wunsch herzustellen, sind nun auch DNA-Hacker vorstellbar, die von ihrem heimischen Labor aus versehentlich oder absichtlich die Welt terrorisieren – indem sie das Ebolavirus oder das Grippevirus von 1918 nachbauen, die beide ein kleineres Genom als das kürzlich synthetisierte M. genitalium besitzen. Auch die – gewollte oder ungewollte – Produktion von Viren, die gegen unsere heutigen Impfstoffe resistent sind, wird in den Bereich der Machbarkeit rücken.
Die Möglichkeit neuer Lebensformen, die alles irdische Leben auslöschen könnten – oder zumindest das menschliche –, lässt so manchen schaudern. Doch ist die Angst vermutlich unnötig. Leben auf unserem Planeten ist so robust, dass es seit über drei Milliarden Jahren fortbesteht, und nahezu keine Mutation kann so leicht die Abwehrmechanismen überlisten, die es im seither andauernden Rüstungswettstreit mit potentiellen Pathogenen entwickelt hat. Venters Argument, dass auf natürlichem Weg neu auftauchende Krankheiten viel folgenreicher sein dürften als künstliche Krankheiten, erscheint mir relativ schlüssig.
Angesichts der wachsenden Zahl von Möglichkeiten, immer kompliziertere biologische Systeme nachzubauen, hat die Forschungsgemeinde ein System der freiwilligen Selbstbeschränkung eingeführt. Es greift zum Beispiel dann, wenn Auftraggeber Gensequenzen bestellen, die Bestandteil potentiell tödlicher Organismen sind. Und wer die synthetische Biologie mit bösen Hintergedanken betreiben will, benötigt vermutlich Know-How, das derzeit selbst die Möglichkeiten von sehr raffinierten terroristischen Netzwerken übersteigt. Der wissenschaftliche Fortschritt in dieser Disziplin kann der Menschheit große Vorteile bringen – übertriebene Angst vor dem Weltuntergang sollte ihm daher nicht im Weg stehen.
Im Bereich der technischen Anwendungen, davon wird man ausgehen müssen, wird das Machbare ohnehin immer verwirklicht – wobei die Grenzen dort zu ziehen sind, wo sie unsere ethischen Grundsätze verletzen. Es liegt nun an uns, konsequent und nachdrücklich die Folgen der neuen Technologien zu untersuchen, um ihre Risiken minimieren und ihre Vorteile maximieren zu können. Auch wenn uns der Blick in die Zukunft verunsichert: Soll unsere Gesellschaft mit dem technischen Fortschritt mithalten, müssen wir uns dem Kommenden mit offenen Augen stellen.
Lawrence M. Krauss ist theoretischer Physiker und Kosmologe an der Arizona State University sowie Autor der Rubrik Critical Mass im "Scientific American", die wir hier in der Übersetzung vorstellen. In "Spektrum der Wissenschaft" erschien von ihm zuletzt der Artikel "Das kosmische Vergessen" (diese und weitere Artikel siehe Linksammlung).
In der April-Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft" werden Sie auch den Artikel "Leben zum Selbermachen" finden, der die neuen Möglichkeiten der synthetischen Biologie sowie die Frage der Verantwortung der Wissenschaftler beleuchtet.
Diese Worte gingen mir durch den Kopf, als ich kürzlich Craig Venter zuhörte, einem der Vorreiter in den neuen Forschungsdisziplinen der synthetischen Genetik und Biologie. Praktisch jeder Vortrag zu diesen Themen, so scheint mir, berichtet davon, wie Forscher eine weitere Grenze auf dem Weg zur Manipulation von Leben und letztlich seiner Erschaffung überschritten haben.
Allein die Entwicklungen am J. Craig Venter-Institut: Im Jahr 2003 erschufen dessen Wissenschaftler eine künstliche Version des Bakteriophagen phiX147. Im Jahr 2007 verwandelten sie eine Bakterienart erfolgreich in eine andere, indem sie ihr Erbgut austauschten. Und erst kürzlich entwickelten sie eine Methode, um das komplette Genom des Bakteriums Mycoplasma genitalium synthetisch nachzubauen.
Im Vergleich zu heutigen Methoden wirkt die – damals spektakuläre – Sequenzierung des menschlichen Genoms im Jahr 2001 geradezu prähistorisch. Sequenzierungen werden immer billiger und lassen sich immer schneller durchführen, ihre Technologie entwickelt sich rasanter als die von Computerchips. Mit Hilfe neuer Erkenntnisse in Biologie und Chemie wurden die Möglichkeiten, neue, komplexe Organismen zu synthetisieren, in den letzten fünf Jahren regelrecht revolutioniert. Synthetische Gensequenzen können in fremde Zellen übertragen und dort in Proteine übersetzt werden; diese Proteine wiederum bauen funktionierende Kopien der Organismen, deren Bauplan in der synthetischen Sequenz festgelegt wurde. Venter nennt diesen Kreislauf "Software, die ihre eigene Hardware produziert". In nicht allzu langer Zeit rechne ich mit Nachrichten über den ersten komplett künstlichen Organismus, der von Grund auf konstruiert wurde und erst zum Leben erwacht, wenn die Wissenschaftler ihn völlig zusammengefügt haben.
Aus großer Kraft folgt große Verantwortung, würde Spiderman sagen
Die gegenwärtige Entwicklung der Halbleitertechnologie hin zu Strukturen im Nanometerbereich wird seit über einem Jahrzehnt als revolutionär gepriesen. Gegenüber dem Potential der Biotechnologie, Leben und Gesellschaft zu verändern, verblasst aber selbst dieser Fortschritt. Stellen Sie sich vor, was geschieht, wenn wir es der Natur gleichtun und lebende Systeme erschaffen, die Fähigkeiten besitzen, wie sie bislang in der Natur nicht vorkommen – von Mikroben, die Treibstoff produzieren oder sich von Kohlendioxid ernähren (und daraus Biokunststoffe herstellen), bis hin zu Mikroorganismen, die für den Kampf gegen Krebszellen designt wurden. In fünfzig Jahren, so bin ich überzeugt, wird die Weltwirtschaft nicht mehr durch computergenerierte Informationen, sondern durch biologisch generierte Software am Laufen gehalten.
Aus großer Kraft folgt aber auch große Verantwortung, wie Spiderman sagen würde. Hacker erschaffen heute Softwareviren, die immer wieder riesige Computernetzwerke lahm legen. Angesichts der Möglichkeiten, DNA-Sequenzen nach Wunsch herzustellen, sind nun auch DNA-Hacker vorstellbar, die von ihrem heimischen Labor aus versehentlich oder absichtlich die Welt terrorisieren – indem sie das Ebolavirus oder das Grippevirus von 1918 nachbauen, die beide ein kleineres Genom als das kürzlich synthetisierte M. genitalium besitzen. Auch die – gewollte oder ungewollte – Produktion von Viren, die gegen unsere heutigen Impfstoffe resistent sind, wird in den Bereich der Machbarkeit rücken.
Die Möglichkeit neuer Lebensformen, die alles irdische Leben auslöschen könnten – oder zumindest das menschliche –, lässt so manchen schaudern. Doch ist die Angst vermutlich unnötig. Leben auf unserem Planeten ist so robust, dass es seit über drei Milliarden Jahren fortbesteht, und nahezu keine Mutation kann so leicht die Abwehrmechanismen überlisten, die es im seither andauernden Rüstungswettstreit mit potentiellen Pathogenen entwickelt hat. Venters Argument, dass auf natürlichem Weg neu auftauchende Krankheiten viel folgenreicher sein dürften als künstliche Krankheiten, erscheint mir relativ schlüssig.
Angesichts der wachsenden Zahl von Möglichkeiten, immer kompliziertere biologische Systeme nachzubauen, hat die Forschungsgemeinde ein System der freiwilligen Selbstbeschränkung eingeführt. Es greift zum Beispiel dann, wenn Auftraggeber Gensequenzen bestellen, die Bestandteil potentiell tödlicher Organismen sind. Und wer die synthetische Biologie mit bösen Hintergedanken betreiben will, benötigt vermutlich Know-How, das derzeit selbst die Möglichkeiten von sehr raffinierten terroristischen Netzwerken übersteigt. Der wissenschaftliche Fortschritt in dieser Disziplin kann der Menschheit große Vorteile bringen – übertriebene Angst vor dem Weltuntergang sollte ihm daher nicht im Weg stehen.
Im Bereich der technischen Anwendungen, davon wird man ausgehen müssen, wird das Machbare ohnehin immer verwirklicht – wobei die Grenzen dort zu ziehen sind, wo sie unsere ethischen Grundsätze verletzen. Es liegt nun an uns, konsequent und nachdrücklich die Folgen der neuen Technologien zu untersuchen, um ihre Risiken minimieren und ihre Vorteile maximieren zu können. Auch wenn uns der Blick in die Zukunft verunsichert: Soll unsere Gesellschaft mit dem technischen Fortschritt mithalten, müssen wir uns dem Kommenden mit offenen Augen stellen.
Lawrence M. Krauss ist theoretischer Physiker und Kosmologe an der Arizona State University sowie Autor der Rubrik Critical Mass im "Scientific American", die wir hier in der Übersetzung vorstellen. In "Spektrum der Wissenschaft" erschien von ihm zuletzt der Artikel "Das kosmische Vergessen" (diese und weitere Artikel siehe Linksammlung).
In der April-Ausgabe von "Spektrum der Wissenschaft" werden Sie auch den Artikel "Leben zum Selbermachen" finden, der die neuen Möglichkeiten der synthetischen Biologie sowie die Frage der Verantwortung der Wissenschaftler beleuchtet.
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