: Energie im Überfluss?
In zwanzig – wahlweise auch fünfzig – Jahren ist es soweit: Dann geht der erste Fusionsreaktor ans Netz. Dies haben Wissenschaftler schon zu Beginn der Fusionsforschung in den 1950er Jahren versprochen, und sie tun es auch heute noch. Sind wir der Utopie fast unbegrenzter Energieverfügbarkeit also nicht näher gekommen? Das weltgrößte Plasma-Fusionsprojekt, der im Bau befindliche ITER-Reaktor in Südfrankreich, wird frühestens 2026 mit ersten Fusionsexperimenten beginnen. Danach müssen ihn Ingenieure mindestens ein Jahrzehnt lang testen, bevor sie das Nachfolgeprojekt angehen. Und erst eine weitere Reaktorgeneration später könnten die Kraftwerke tatsächlich Fusionsstrom in die Netze einspeisen – falls denn alles nach Plan läuft.
Brauchen wir einen neuen Ansatz?
Theoretisch sind Fusionskraftwerke die optimale Lösung für unsere Energieprobleme. Ihren Kraftstoff bilden Wasserstoffisotope, Deuterium findet sich sogar in gewöhnlichem Meerwasser im Überfluss. Aufgeheizt auf über hundert Millionen Grad Celsius bilden sie ein so genanntes Plasma, das in einem "Käfig" aus Magnetfeldern eingesperrt werden muss. In diesem verschmelzen dann Wasserstoffatomkerne miteinander zu Helium – so, wie es auch im Sonneninneren geschieht – und setzen dabei Energie frei. Rußpartikel werden ebenso wenig emittiert wie Treibhausgase, auch Nuklearabfälle fallen nicht an.
Hilfreich wären solche Reaktoren in der Tat, denn die Welt hungert nach Energie. "Der Bedarf an Energie ist so groß und wächst derart schnell, dass es eines neuen Ansatzes bedarf", sagt Edward Moses, Leiter der National Ignition Facility. Diese Einrichtung im kalifornischen Livermore untersucht einen alternativen Fusionsansatz: Hier sind es starke Laser, die kleine "Pellets" aus gefrorenen Wasserstoffatomen beschießen und auf diese Weise so stark erhitzen, dass sie ebenfalls zu fusionieren beginnen.
In der Praxis jedoch dürfte die Fusion die Welt weniger verändern, als Physiker dies erhoffen. Bislang suchten sie vergeblich nach einer Technologie, mittels derer sich die Kernfusion auslösen und dauerhaft aufrechterhalten lässt. Darüber hinaus werden die ersten Fusionsreaktoren mit ziemlicher Sicherheit zu teuer sein – zumindest noch in diesem Jahrhundert –, um sie in großer Zahl zu installieren.
Moses und andere glauben ohnehin an einen Hybridansatz. Dieser sei der schnellste Weg, um tatsächlich eines Tages die Fusionsenergie nutzen zu können. Bei dem "LIFE" (Laser Inertial Fusion Engine) genannten Konzept richten starke Laser ihre Strahlen auf die Pellets, sodass in diesen kurze Fusionsreaktionen ausgelöst werden. Die dabei entstehenden Neutronen wandern nach außen und treffen auf eine Hülle, ein "Blanket", aus spaltbarem Material – entweder aus Abfall aus gewöhnlichen Kernkraftwerken oder aus abgereichertem Uran. Dort lösen die Neutronen weitere Zerfälle aus, deren Hitze für die Energiegewinnung genutzt werden kann. Zugleich wird der Abfall in weniger radioaktive Endprodukte umgewandelt, was einige Probleme der Atommülllagerung lösen würde. Bis etwa 2020, so erwartet Moses, lässt sich ein LIFE-Prototyp zum Laufen bringen. Und um das Jahr 2030 könne das erste kommerzielle Kraftwerk ans Netz gehen.
ITER und seine Nachfolger werden länger brauchen. Falls sie denn überhaupt im Plan bleiben. Mit fünf Milliarden Euro war der Bau des internationalen Projekts, dessen Löwenanteil die Europäische Union finanziert, einst veranschlagt. Jüngst kletterten die Schätzungen auf bis zu 15 Milliarden Euro. Mit anderen Worten: Die ersten Fusionskraftwerke werden schon bald Strom liefern. In zwanzig – wahlweise auch fünfzig – Jahren ist es soweit (Wann kommt der Fusionsreaktor?, SdW 5/2010).
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