Symmetrie und Symmetriebrechung in der Physik
„Eine Transformation ist genau dann eine Symmetrietransformation, wenn nicht beobachtet werden kann, ob sie durchgeführt wurde.“ Dieser Satz steht im Mittelpunkt des in der Reihe „Facetten“ erschienenen Buches der Karlsruher Physiker Henning Genz und Roger Decker, dessen Besonderheit im gewählten Darstellungsniveau liegt: Es ist weder ein übliches, weitgehend formelfreies populärwissenschaftliches Buch noch ein im wesentlichen nur dem Experten verständliches Fachbuch. Nach meiner Einschätzung können es zumindest alle Physiker und Physikstudenten mit Gewinn (und Genuß) lesen und über diesen Kreis hinaus alle naturwissenschaftlich und mathematisch Interessierten, auch wenn sie einzelne Passagen nicht vollständig verstehen werden.
Im ersten Kapitel führen die Autoren die Begriffe Symmetrie, Symmetrietransformation und Symmetriebrechung zusammen mit den zum Verständnis erforderlichen Elementen der Gruppentheorie sehr anschaulich ein. Dafür sind kaum Vorkenntnisse erforderlich. Sehr hilfreich sind hier wie im Rest des Buches die insgesamt 32 Kästen mit wichtigen, vertiefenden Informationen in prägnanter Form. Als Beispiele für symmetrische Objekte dienen außer Alltagsgegenständen vor allem Buchstaben, Moleküle und Kristalle. Ausführlich diskutieren Genz und Decker die Frage nach der Symmetrie von Problemen und deren Lösungen. Nicht jede einzelne Lösung eines symmetrischen Problems muß symmetrisch sein, wohl aber die Menge aller Lösungen. Analoges gilt für Naturgesetze und einzelne Abläufe.
Symmetrien von Naturgesetzen sind dann auch das Hauptthema aller folgenden Kapitel. Der Leser kann dabei feststellen, daß das Symmetrieproblem untrennbar mit den wichtigen Fragen der Physik verbunden ist: von der klassischen Mechanik über die Elektrodynamik, die Quantenmechanik und die Relativitätstheorie bis hin zur Kosmologie. Breiten Raum nimmt die Elementarteilchentheorie ein, was sich einerseits aus dem Arbeitsgebiet der Autoren, andererseits aus der Natur der Sache ergibt.
Das nach der Mathematikerin Emmy Noether (1882 bis 1935) benannte Theorem über den Zusammenhang von Symmetrien und Erhaltungssätzen darf in einem Buch über Symmetrien in der Physik selbstverständlich nicht fehlen. Die Autoren erläutern es auf elementare Weise im Rahmen der klassischen Mechanik, indem sie zeigen, daß aus der Zeitunabhängigkeit der Potentialfunktion (ihrer Symmetrie gegenüber Zeittranslationen) der Energieerhaltungssatz der Mechanik folgt. Analog demonstrieren sie die Herleitung des Impuls- und des Drehimpulserhaltungssatzes für den Fall der Symmetrie gegenüber räumlichen Translationen beziehungsweise Drehungen.
Die Maxwellschen Gleichungen der Elektrodynamik zeigen im Vakuum eine Symmetrie zwischen elektrischen und magnetischen Feldern; sie geht verloren, wenn man die Quellen der Felder (Ladungen und Ströme) berücksichtigt. In einem Abschnitt über magnetische Monopole gehen Genz und Decker auf den theoretischen Ansatz von Paul A.M. Dirac (1902 bis 1984) ein, der auf eine völlige Symmetrie zwischen Elektrizität und Magnetismus abzielte (vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Juli 1993, Seite 84). Die von Dirac vorhergesagten magnetischen Monopole konnten jedoch experimentell bisher nicht nachgewiesen werden.
Das CPT-Theorem der Elementarteilchenphysik und der Quantenfeldtheorie besagt, daß aus jedem möglichen (durch Naturgesetze nicht verbotenen) mikrophysikalischen Prozeß durch gleichzeitige Ladungskonjugation (C), Raumspiegelung (Paritätstransformation P) und Zeitumkehrtransformation (T) ein ebenso möglicher Prozeß entsteht. Die Autoren diskutieren in diesem Zusammenhang die Konsequenz aus der experimentell gefundenen Verletzung der CP-Symmetrie durch die neutralen K-Mesonen: Unter der Annahme, daß die CPT-Symmetrie exakt gilt, folgt hieraus die Verletzung der Zeitumkehrsymmetrie. Dies ist der einzige (und nur indirekte) Hinweis darauf, daß die fundamentalen mikrophysikalischen Naturgesetze nicht zeitumkehrsymmetrisch sind.
Das kosmologische Prinzip, demzufolge das Universum im Großen homogen und isotrop ist, macht eine Symmetrieaussage über die Welt als Ganzes. Die hochgradige Isotropie der kosmischen Hintergrundstrahlung ist ein starkes Indiz für die Gültigkeit dieses Prinzips. (Die Autoren geben aktuelle Beobachtungsdaten des COBE-Satelliten an; vergleiche Spektrum der Wissenschaft, Juni 1992, Seite 18.)
Das Buch enthält außerdem lesenswerte Überlegungen zum Machschen Prinzip: Die in beschleunigten Bezugssystemen auftretenden Trägheitskräfte, insbesondere die Fliehkräfte in rotierenden Systemen, sollten nach der Auffassung von Ernst Mach (1836 bis 1916) nicht auf eine Beschleunigung gegenüber einem fiktiven „absoluten Raum“ zurückgeführt werden, sondern auf eine Beschleunigung beziehungsweise Rotation relativ zu den fernen Massen im Universum, dem Fixsternhimmel. Bei der Behandlung dieses Prinzips im Zusammenhang mit der Allgemeinen Relativitätstheorie hätte ich mir allerdings auch eine Diskussion der Rolle der Randbedingungen gewünscht.
Das abschließende fünfte Kapitel über Symmetriebrechung enthält – vor allem im Abschnitt zur Skalensymmetrie – wieder viele Beispiele, die auch den Nichtphysiker fesseln werden. Das betrifft etwa die Betrachtungen zur Sprunghöhe von Tieren oder auch zu Selbstähnlichkeit und Fraktalen.
Insgesamt scheint mir dieses Buch rundum gelungen; es sollte einen breiten Leserkreis finden.
Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1993, Seite 108
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH
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