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Gab es einen Wettlauf zum Mond?

Im Jahre 1961, mitten im Kalten Krieg, verkündete US-Präsident John F. Kennedy, noch vor Ende des Jahrzehnts sollten Amerikaner als erste Menschen einen fremden Himmelskörper betreten. Er verknüpfte dieses technologisch ungemein kühne Unterfangen mit der Ehre der Nation. Jüngst erst wurde klar, mit welchen Hindernissen die sowjetische Konkurrenz zu kämpfen hatte.

Vor 25 Jahren, am 20. Juli 1969, erfüllte sich ein Menschheitstraum, als Neil A. Armstrong und Edwin A. Aldrin als erste Menschen auf dem Mond landeten. Für die Vereinigten Staaten bedeutete der "kleine Schritt" Armstrongs beim Verlassen der Landefähre jedoch nicht nur einen "gigantischen Sprung für die Menschheit", sondern vor allem einen politischen und technischen Sieg über ihren Gegner im Kalten Krieg, die Sowjetunion. In der Folgezeit betonte die sowjetische Führung immer wieder, daß sie nie eine Landung auf dem Erdtrabanten geplant habe; die amerikanischen Bemühungen seien gleichsam nur ein Schattenboxen gewesen. Erst kürzlich freigegebenes Material und Aussagen von Verantwortlichen des sowjetischen Weltraumprogramms zur Zeit Nikita Chruschtschows und Leonid Breschnews belegen indes das Gegenteil.

Wie sich zeigt, hatten persönliche Rivalitäten, wechselnde politische Allianzen und bürokratische Hemmnisse Fehlschläge und Verzögerungen im sowjetischen Mondlandeprogramm zur Folge. Dagegen fand das amerikanische Projekt bei Politikern und in der Öffentlichkeit breite Unterstützung. Der amerikanischen Luft- und Raumfahrtbehörde NASA und ihren Zulieferern standen zahlreiche kompetente und hochmotivierte Mitarbeiter und Führungskräfte zur Verfügung. Zudem war die NASA finanziell besser und effektiver ausgestattet als ihr sowjetisches Pendant. Aus all diesen Gründen gingen die Vereinigten Staaten trotz der anfänglichen sowjetischen Führung in der bemannten Raumfahrt aus dem epochalen Wettbewerb als Sieger hervor.


Der sowjetische Vorsprung und Kennedys Schwur

Mit dem Start von Sputnik 1, dem ersten künstlichen Erdtrabanten, hatte die UdSSR im Oktober 1957 das Raumfahrt-Zeitalter eröffnet. Nur zwei Jahre später funkte die sowjetische Sonde Lunik 1 die ersten Nahaufnahmen von der Mondoberfläche zur Erde. Am 12. April 1961 schließlich umrundete der Kosmonaut Juri A. Gagarin als erster Mensch in einer Raumkapsel (Wostok 1) die Erde.

Die Moskauer Machthaber gaben jede dieser Leistungen als Beweis für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Überlegenheit des Kommunismus aus. Der sowjetische Vorsprung bei den Trägersystemen verstärkte in den Vereinigten Staaten die Furcht vor einer sogenannten Raketenlücke. John F. Kennedy machte dies 1960 zu einem zentralen Thema seines Präsidentschaftswahlkampfes.

Anfangs war nicht abzusehen, welche Form der amerikanisch-sowjetische Wett-lauf ins All annehmen würde. Wenn es nach Dwight D. Eisenhower, dem Amtsvorgänger Kennedys, gegangen wäre, hätte es überhaupt keinen gegeben. Der frühere General sah nämlich keinerlei Zusammenhang zwischen spektakulären Errungenschaften im Weltraum und der Stärke seines Landes; er lehnte denn auch alle allein aus politischen Gründen geplanten Vorhaben dieser Art konsequent ab. Gleichwohl gründete er im Juli 1958 die NASA, in der alle vorhandenen Ressourcen zum Aufbau eines zivilen Raumfahrtprogramms zusammengeführt wurden. So war vielleicht unvermeidlich, daß die NASA schon bald auf prestigeträchtige Ziele drängte.

Kennedy hingegen sah einen sehr engen Zusammenhang zwischen der Erforschung des interplanetaren Raums und globaler Vormacht. Vor dem Hintergrund der weltweiten Begeisterung über Gagarins Flug entschied er, die Vereinigten Staaten hätten die Sowjets in der bemannten Raumfahrt zu übertrumpfen.

Am 20. April 1961, nur acht Tage nach Gagarins Flug, erkundigte sich Kennedy beim Vizepräsidenten Lyndon B. Johnson, den er zu seinem obersten Berater für Weltraumfragen ernannt hatte: "Verfügen wir über ... ein Weltraumprogramm, das spektakuläre Ergebnisse verspricht und mit dem wir die Führung im All übernehmen könnten?" Insbesondere wollte er wissen: "Haben wir eine Chance, die Sowjets zu schlagen, indem wir ein Weltraumlabor stationieren oder eine Sonde den Mond umrunden oder auf ihm landen lassen, oder gar einen Menschen mit einer Rakete zum Mond schicken und zurückbringen?" Innerhalb von zwei Wochen ließ Johnson die Durchführbarkeit dieser und anderer Weltraumprojekte untersuchen. Die Entwicklung der Diskussion darüber ist in einer Reihe von Memoranden ausführlich dokumentiert.

Johnson ließ sich unter anderem von Wernher von Braun beraten, der im Zweiten Weltkrieg das Raketenwaffenprojekt der deutschen Heeresversuchsanstalt in Peenemünde geleitet hatte und von der US-Armee in den letzten Tagen des Dritten Reiches mitsamt seinem Mitarbeiterstab in die USA geholt worden war, wo er nun eine Arbeitsgruppe von Raketeningenieuren leitete. In seinem Gutachten vom 29. April kam von Braun zu dem Schluß, daß die Sowjetunion beim Errichten einer Raumstation kaum zu schlagen sei. Allerdings bestünde eine realistische Chance, ein dreiköpfiges Astronautenteam noch vor den Sowjets um den Mond zu schicken; beim Wettlauf um die erste Mondlandung seien die Aussichten auf einen Sieg sogar sehr gut.

Die Prognose für eine Mondlandung sei deshalb am besten, weil dafür "die jetzige Stärke der sowjetischen Raketen um das Zehnfache verbessert werden müßte. Wir haben zwar keine entsprechende Rakete, doch die Sowjets vermutlich auch nicht". Bei einem sofortigen Einsatz aller verfügbaren Mittel sei allerdings die Entwicklung eines geeigneten Trägersytems bis 1967 oder 1968 möglich.

Am 8. Mai 1961 legte Johnson Präsident Kennedy die Untersuchungsergebnisse vor. Der Bericht war unterzeichnet von James Webb, dem Verwaltungschef der NASA, und Robert S. McNamara, dem Verteidigungsminister. Beide empfahlen, "noch vor Ende des Jahrzehnts" eine bemannte Mondmission durchzuführen. Amerika brauche dringend Projekte, mit denen sich das nationale Prestige verbessern lasse, und: "Unsere Fähigkeiten sind ein wichtiges Element im internationalen Wettstreit zwischen dem sowjetischen System und dem unsrigen". Für Webb und McNamara war die Erforschung des Mondes und der Planeten "ein Teil des Kampfes an den fließenden Fronten des Kalten Krieges".

Kennedy schloß sich diesen Empfehlungen an und trug sie am 25. Mai in einer gemeinsamen Sitzung von Senat und Repräsentantenhaus vor. Der Präsident sagte dabei: "Wir sollten zum Mond fliegen... Kein Weltraumprojekt wäre aufregender, keines könnte die Menschheit stärker mitreißen und beeindrucken als dieses... Wir können zwar nicht dafür garantieren, daß wir eines Tages die ersten sein werden. Sicher ist aber, daß wir verlieren, wenn wir versäumen, dieses Projekt in Angriff zu nehmen." Kennedy gelobte, daß "noch vor Ende des Jahrzehnts" Amerikaner ihren Fuß auf den Mond setzen würden.

Der Aufruf des Präsidenten fand bei der amerikanischen Bevölkerung ein breites Echo. In den Wochen nach seiner Rede gab es kaum Bedenken seitens der Öffentlichkeit oder der Politiker. Innerhalb weniger Monate erhöhte der Kongreß das Budget der NASA um 89 Prozent; eine weitere Aufstockung um 101 Prozent folgte im Jahr darauf. Zwischen 1961 und 1963 nahm die Zahl der NASA-Mitarbeiter von 16500 auf mehr als 28000 zu; gleichzeitig stieg die Anzahl der Zulieferfirmen von ursprünglich weniger als 60000 auf mehr als 200000.

Im ersten Jahr nach Kennedys Ankündigung entbrannte jedoch ein Expertenstreit darüber, wie man Menschen am besten zum Mond und zurück bringen könne – das Projekt drohte sich zu verzögern. Ein Vorschlag war, die Teile eines Raumschiffs mit mehreren Raketen in eine Erdumlaufbahn zu bringen, es dort zusammenzubauen und dann im Orbit zu starten. Der Wissenschaftsberater des Präsidenten, Jerome Weisner, und einige führende Mitarbeiter der NASA bevorzugten anfangs ein solches "Rendezvous in der Erdumlaufbahn". McNamara interessierte sich zudem für militärische Anwendungen derartiger Manöver.

Im Verlauf der Diskussion sprachen sich jedoch immer mehr NASA-Ingenieure für eine andere Strategie aus, die sie Rendezvous in der Mondumlaufbahn nannten. Danach sollte das gesamte Apollo-Raumfahrzeug direkt aus dem Schwerefeld der Erde katapultiert werden und in einen Mond-Orbit einschwenken. Eine kleine Landefähre würde die Astronauten auf den Erdtrabanten und wieder zum Mutterschiff bringen können, das schließlich zur Erde zurückkehrte. Dieses Vorgehen würde das Gesamtgewicht der Apollo-Kapsel deutlich reduzieren, so daß die gesamte Mission mit einer einzigen Saturn-V-Rakete durchzuführen sei.

Die NASA wies Weisners Einwände zurück und genehmigte den Plan eines Rendezvous in der Mondumlaufbahn, weil sich so Kennedys Vision innerhalb der von ihm gesetzten Frist am ehesten realisieren zu lassen schien. Gegen Ende 1962 hatten sich die Vereinigten Staaten damit auf den Weg zum nächsten Himmelskörper gemacht – nicht so jedoch die Sowjetunion.


Das sowjetische Raumfahrtprogramm

Noch bis vor wenigen Jahren behaupteten sowjetische Regierungsvertreter, die Vereinigten Staaten seien allein zu diesem vermeintlichen Wettlauf angetreten. Das sowjetische Mondfahrtprogramm war ein streng gehütetes Geheimnis gewesen, das sich erst nach Michail Gorbatschows "Glasnost"-Direktive, der Offenheit in allen öffentlichen Angelegenheiten, und insbesondere nach dem Zusammenbruch der UdSSR zu lüften begann. Mehrere hochrangige Funktionäre des Raumfahrtprogramms der sechziger Jahre – allen voran Wassili P. Mischin, der das bemannte Projekt von 1966 bis 1974 leitete – durften erst kürzlich ihre Aufzeichnungen veröffentlichen. Am 18. August 1989 druckte die sowjetische Tageszeitung "Iswestija" einen ausführlichen und bis dahin beispiellos freizügigen Bericht über die erfolglosen Anläufe. Immer neue Photos und technische Beschreibungen wurden veröffentlicht. Eine kürzlich fertiggestellte Studie des französischen Weltraumwissenschaftlers Christian Lardier hat wichtige Hintergrundinformationen zutage gefördert. Inzwischen haben wir ein recht deutliches Bild vom wirklichen Umfang des sowjetischen Mondfahrtprogramms gewinnen können.

Bei seinem ersten Gipfeltreffen mit dem sowjetischen Premierminister Chruschtschow im Juni 1961 schlug Kennedy zweimal vor, eine gemeinsame amerikanisch-sowjetische Mondexpedition zu unternehmen. Chruschtschow ging darauf nicht ein, was wohl zumindest teilweise daran lag, daß die Sowjetunion von Kennedys Ankündigung eines Landungsvorhabens überrascht worden war. Die sowjetische Führung war so von ihrem Vorsprung überzeugt gewesen, daß sie eine Konkurrenz der Vereinigten Staaten auf diesem Gebiet nie ernsthaft erwogen hatte.

Erst nach einer mehr als dreijährigen internen politischen Debatte verkündete der Kreml – und auch dann nur zögernd – ein eigenes Mondfahrtprogramm. Bis dahin hatten die mächtigen, aber rivalisierenden Chefs der sowjetischen Entwicklungsbüros (industriellen Organisationen, in denen auch die Weltraumexperten tätig waren) verbissen um Zuständigkeiten und Mittel für solche Unternehmungen gekämpft. Diese Konflikte blockierten lange die Ausarbeitung eines koordinierten Aktionsplans.

Eines der Entwicklungsbüros leitete Sergei P. Korolew, der führende Raumfahrtingenieur der UdSSR. Er war gewissermaßen der russische Wernher von Braun. Korolew hatte sowohl die bis dahin für alle Raummissionen verwendeten Raketen entworfen als auch die meisten Programme zur Entwicklung von Nutzlasten geleitet; und er war ein energischer und begeisterter Befürworter der bemannten Raumfahrt. Seine Tätigkeit war so geheim, daß zu seinen Lebzeiten nur vom "Chefentwickler" die Rede war; erst nach seinem Tode wurde sein Name öffentlich genannt.

Zu Beginn der sechziger Jahre entflammte ein auch persönlich bedingter organisatorischer Streit zwischen Korolew und Walentin P. Gluschko, dem Leiter des Laboratoriums für Gasdynamik und Hauptentwickler der sowjetischen Raketentriebwerke. Ihre Gegnerschaft reichte bis in die dreißiger Jahre zurück, als Korolew auch aufgrund von Gluschkos Aussagen in ein Zwangsarbeitslager geschickt worden war. Der fachliche Konflikt entbrannte um das Antriebskonzept für die nächste Raketengeneration: Als Treibstoff wollte Korolew energiereichen flüssigen Wasserstoff verwenden (der auch in den oberen Stufen der amerikanischen Saturn V eingesetzt wurde); Gluschko hingegen interessierte sich ausschließlich für die Entwicklung eines Antriebs mit lagerfähigen, aber hochgiftigen selbstzündenden (hypergolen) Raketentreibstoffen wie Hydrazin und Distickstofftetroxid.

Ihr Dissens wurde so feindselig, daß Gluschko die Zusammenarbeit mit Korolew bei der Entwicklung einer neuen Rakete verweigerte. Statt dessen tat er sich mit dem von Wladimir N. Tschelomei geleiteten Entwicklungsbüro zusammen, um sich gegen Korolew um den Zuschlag für die Mondmission zu bewerben. Tschelomeis Gruppe hatte zwar militärische Raketen entwickelt, jedoch noch keinerlei Erfahrung mit Weltraum-Trägersystemen gesammelt. Allerdings arbeitete Chruschtschows Sohn Sergei bei Tschelomei; das bot in einem System, in dem persönliche Beziehungen oftmals entscheidend waren, viele Vorteile. Tschelomei wiederum wollte das Arbeitsgebiet seines Entwicklungsbüros auf Kosten von Korolew erweitern.

In wichtigen technischen Bereichen wie der Raumfahrt pflegte die sowjetische Führung den Rat der Akademie der Wissenschaften einzuholen. Deren Präsident Mstislaw W. Keldysch war mit der fachlichen Bewertung der unterschiedlichen Vorschläge für künftige Weltraummissionen betraut worden. Er und seine Mitarbeiter gingen den Weg des geringsten politischen Widerstands und sprachen sich bis zur Entmachtung Chruschtschows weder für Korolew noch für seine Konkurrenten aus.

Ab Ende 1961 beschäftigte sich Tschelomeis Entwicklungsbüro weniger mit der Landung auf dem Mond als mit seiner Umrundung ohne Einschwenken in eine Umlaufbahn. Bei dieser Mission sollte eine UR-500-Trägerrakete (später unter dem Namen Proton bekannt) eingesetzt werden, die Weiterentwicklung eines untauglichen Entwurfs Tschelomeis für eine ballistische Interkontinentalrakete (ICBM). Nebenbei setzte Tschelomei sich für die (verfrühte) Entwicklung eines wiederverwendbaren Raketenflugzeugs für Flüge zum Mond und selbst zu anderen Planeten ein.

Im August 1964 beauftragte der Kreml Tschelomeis Entwicklungsbüro mit dem Bau der UR-500 sowie eines Raumschiffs. Damit sollten bis zum Oktober 1967, dem 50. Jahrestag der bolschewistischen Oktoberrevolution, Kosmonauten um den Mond geschickt werden. Tschelomeis Sieg über Korolew hatte jedoch nur kurzen Bestand, denn schon im Oktober 1964 wurde Chruschtschow vom Politbüro aller Ämter enthoben.

Die nachfolgende Führung merkte rasch, daß nur geringe Fortschritte erzielt worden waren, obwohl Tschelomeis Gruppe den größten Teil der zur Entwicklung des Mondfahrtprogramms vorgesehenen Mittel erhalten hatte. Schon bald fiel das gesamte Entwicklungsbüro in Ungnade; sein Kontrakt für die Vorbereitung einer Mondumrundung wurde gestrichen.

Korolew war unterdessen nicht völlig aus dem Raumfahrtprogramm entfernt worden. Nach seinen Erfolgen bei der Umrüstung von Interkontinentalraketen für die ersten sowjetischen Raumsondenflüge hatte er an der Konstruktion einer Hochleistungs-Trägerrakete, der N-1, gearbeitet. Mitte 1962 genehmigte die Keldysch-Kommission die Entwicklung einer N-1 mit einer Nutzlast von 75 Tonnen, lehnte jedoch Korolews Plan für ihren Einsatz zu Mondmissionen aus der Erdumlaufbahn ab.

Die ersten Testflüge der N-1 waren für 1965 vorgesehen. Wegen des Konflikts mit Gluschkos Gasdynamik-Laboratorium mußte Korolew eine andere Bezugsquelle für Raketenmotoren finden. Er wandte sich an das Entwicklungsbüro von Nikolai D. Kusnetsow, das zuvor Flugzeugtriebwerke konstruiert hatte. Diese Arbeitsgruppe mußte deshalb bei der Entwicklung von Raumtriebwerken ganz von vorne beginnen. In der zur Verfügung stehenden kurzen Zeit konnte Kusnetsow nur einen herkömmlichen, verhältnismäßig schwachen Raketenantrieb entwickeln. Dreißig solcher Triebwerke waren in der ersten Raketenstufe erforderlich, um die für eine Mondmission erforderliche Schubkraft zu erzeugen. (Die erste Stufe der amerikanischen Saturn V benötigte nur fünf Triebwerke.)

Nach Chruschtschows Sturz änderte sich die Zielsetzung des sowjetischen Raumfahrtprogramms. Im Dezember 1964 erteilte die Keldysch-Kommission – die jetzt nicht mehr befürchten mußte, in der Partei- und Regierungsspitze Ärger zu erwecken – Korolews Plan einer bemannten Mondmission eine vorläufige Genehmigung. Dieser überarbeitete Vorschlag basierte auf einer weiterentwickelten, stärkeren N-1-Trägerrakete und einem Rendezvous-Verfahren ähnlich dem für die Apollo-Mission geplanten. Zur Beaufsichtigung des Raumfahrtprogramms schuf die Regierung im Mai 1965 das Ministerium für allgemeinen Maschinenbau, bei dem Korolews Mondmission höchste Priorität hatte. Ein erster Landeversuch war für 1968 vorgesehen – in der Hoffnung, man könne die USA doch noch schlagen.

Gerade als das sowjetische Raumfahrtprogramm anzulaufen begann, starb Korolew völlig unerwartet im Januar 1966 während einer einfachen Operation. Damit war das Unternehmen seines fähigsten und erfolgreichsten Kopfes beraubt. Seinem Nachfolger Wasili Mischin fehlten vergleichbare Führungsqualitäten wie auch das entsprechende Durchstehvermögen. Streitigkeiten mit diversen Ministerien und anderen Entwicklungsbüros verzögerten den Fortgang. Tschelomei forcierte auch weiterhin Pläne für ein alternatives Mondlandeverfahren. Zu allem Übel erwies sich die weiterentwickelte N-1-Trägerrakete als zu schwach, so daß sie erneut überarbeitet werden mußte.

Erst im November 1966 genehmigte die Keldysch-Kommission das Mondlandeprojekt endgültig. Regierung und Partei erließen im darauffolgenden Februar ein gemeinsames Dekret zur Unterstützung des Projekts; dennoch blieben die zur Verfügung gestellten Mittel unzureichend. In der Zwischenzeit hatte man den Termin für einen ersten Landeversuch auf dem Mond in die zweite Hälfte des Jahres 1969 verschoben.

In den USA wußte man von der sowjetischen Weiterentwicklung der N-1, war sich jedoch über eine mögliche Verwendung nicht im klaren. Im Jahre 1964 beobachteten US-Aufklärungssatelliten den Bau einer Startrampe für eine neue, große Trägerrakete; drei Jahre später wurde eine zweite derartige Baustelle entdeckt. In einem im März 1967 angefertigten und 1992 freigegebenen Bericht meinte der amerikanische Geheimdienst CIA, daß "die Sowjets je nach ihrer Einschätzung des Apollo-Zeitplanes möglicherweise hoffen, als erste den Mond erreichen zu können, und darum ihr Raumfahrtprogramm mit allen Kräften vorantreiben".

Nach zehn erfolgreichen Starts der mit zwei Astronauten besetzten Gemini-Kapsel in den Jahren 1965 und 1966 schien den ersten Apollo-Testflügen im Jahre 1968 nichts mehr im Wege zu stehen. Am 27. Januar 1967 erlitt das Projekt jedoch einen tragischen Rückschlag: Während einer Übung auf der Startrampe brach in der Kapsel Apollo 204 (später in Apollo 1 umbenannt) ein Kabelbrand aus, bei dem die drei Astronauten Roger Chaffee, Virgil Grissom und Edward White ums Leben kamen. Trotz heftiger Kritik gab die NASA ihre Pläne nicht auf. Nahezu ohne Eingriff durch den Kongreß oder das Weiße Haus führ-te die Raumfahrtbehörde eine Untersuchung des Unglücks durch und vermochte schon bald die Ursachen zu identifizieren und zu beheben.

Ende 1967 hatte die NASA einen neuen Zeitplan für ihr Apollo-Programm ausgearbeitet: Der erste Mondlandeversuch sollte nun Mitte 1969 stattfinden, also etwa gleichzeitig mit den Sowjets.


Tiere und Menschen auf Mondfahrt

Ein zweiter Wettstreit entspann sich darum, wer als erster in die Nähe des Mondes gelangen würde. Nach dem Sturz Chruschtschows beauftragte die neue sowjetische Führung unter Leonid Breschnew und Alexei Kossygin Korolew mit der Ausarbeitung einer Mission zur Mondumrundung, die an das abgesagte Tschelomei-Projekt anknüpfen sollte. Noch immer hoffte man, einen solchen Flug im Oktober 1967 durchführen zu können.

Nach fast einem Jahr oft sehr harter Verhandlungen kamen Korolew und Tschelomei im September 1965 überein, auf die von Tschelomei entwickelte UR-500 eine zweite, von Korolew ursprünglich für die N-1 entwickelte Stufe aufzusetzen. Mit dieser Trägerrakete sollte eine für zwei Kosmonauten geeignete Version der neuen Sojus-Raumkapsel gestartet werden, die Korolews Arbeitsgruppe entwickelt hatte.

Wenngleich die ersten Testflüge der UR-500 im Jahre 1966 erfolgreich waren, offenbarten sich bei den folgenden Starts mehrere gravierende Probleme. Zudem endete der Jungfernflug der neuen Sojus-Raumkapsel im April 1967 mit ihrem Absturz, wobei der Kosmonaut Wladimir Komarow ums Leben kam. Eine Mondumrundung mit einem Menschen an Bord bereits im Oktober 1967 wurde damit unmöglich.

Hingegen verlief die Mission Sond 5 im September 1968 erfolgreich. Die mit der UR-500 gestartete umgebaute Raumkapsel vom Typ Sojus brachte verschiedene Tiere, darunter mehrere Schildkröten, um den Mond und sicher zurück zur Erde. Damit schien der Aufbruch eines sowjetischen Kosmonauten zu dem Erdtrabanten unmittelbar bevorzustehen.

Zur Zeit der Sond-5-Mission planten die USA einen Flug zum Mond für frühestens Mitte 1969. Es sollte jedoch anders kommen. Mitte 1968 war die Weiterentwicklung eines Kommando- und Servicemoduls für die Apollo-Mission, das Astronauten in eine Mondumlaufbahn und wieder zurück zur Erde bringen sollte, so weit gediehen, daß im Oktober ein erster Testflug in der Erdumlaufbahn stattfinden konnte. Die Entwicklung des Mondlandemoduls lag jedoch um Monate hinter dem Zeitplan zurück; es schien unwahrscheinlich, daß es im Februar oder März 1969 für einen ersten Testflug in der Erdumlaufbahn zur Verfügung stehen würde.

Wegen dieser Verzögerung bestand die Gefahr, daß das ursprünglich von Kennedy gesetzte Ziel nicht mehr einzuhalten war. Am 9. August 1968 schlug darum George M. Low, stellvertretender Direktor des NASA-Zentrums für bemannte Raumfahrt in Houston (Texas), vor, in das Apollo-Programm einen zusätzlichen Flug aufzunehmen, bei dem das Kommando- und Servicemodul mit einer Besatzung von drei Astronauten von einer Saturn V in eine Mondumlaufbahn geschossen werden sollte.

Eine solche Mission war freilich riskant. Zum einen würden die Astronauten viel früher als ursprünglich vorgesehen in die Nähe des Mondes geschickt; und zum anderen wäre dies erst der zweite Flug der umgebauten Apollo-Raumkapsel nach dem Brand von 1967. Auch die Saturn V hatte erst zwei Starts absolviert, wobei beim zweiten mehrere größere Probleme aufgetreten waren. Andererseits bot Lows Vorschlag die Gelegenheit, lange vor dem ursprünglichen Termin Erfahrungen mit einer so weit von der Erde wegführenden Mission zu sammeln. Die Chancen für das Einhalten des Apollo-Zeitplans würden dadurch deutlich verbessert. Vielleicht würde es den USA damit sogar gelingen, vor der UdSSR in Mondnähe zu gelangen.

Lows Plan setzte sich in der NASA schnell durch; nur ihr Verwaltungschef Webb und George Mueller, Leiter des Programms für bemannte Raumfahrt, sprachen sich zunächst dagegen aus. In etwas mehr als einer Woche überarbeitete man den gesamten Apollo-Zeitplan und ergänzte das Programm um eine zusätzliche Mission – nur vier Monate vor ihrem Start. Die Risiken dieses Fluges blieben bis nach dem erfolgreichen Test des Kommando- und Servicemoduls beim 260 Stunden dauernden Flug von Apollo 7 im Oktober geheim. Am 11. November setzte die NASA-Direktion den Start von Apollo 8 zum Mond für den 21. Dezember offiziell an.

Die UdSSR setzte alles daran, den Anschluß nicht zu verlieren. Im Oktober 1968 testete sie erfolgreich eine verbesserte Version der Sojus-Raumkapsel mit einem Kosmonauten an Bord in der Erdumlaufbahn. Der Sond-6-Mission, bei der einen Monat später eine ähnliche, jedoch unbemannte Raumkapsel um den Mond geschossen wurde, erging es schlechter: Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre fiel der Druck ab, wobei eine Besatzung sicherlich ums Leben gekommen wäre.

Dennoch bereitete sich die Sowjetunion darauf vor, bereits Anfang Dezember eine Sond-Mission mit zwei Kosmonauten an Bord um den Mond schicken. Sowohl Mischin als auch die Besatzung wollten die erheblichen Risiken auf sich nehmen, wußte man doch, daß die USA ein ähnliches Unternehmen für Ende des Monats geplant hatten. Dies war vielleicht die letzte Chance, den USA zuvorzukommen – hätte man sie wahrgenommen. Nur wenige Tage vor dem geplanten Start aber sagte die sowjetische Führung das Unternehmen ab, vermutlich weil es zu gefährlich schien.

Während der letzten Trainingswochen wußte die Apollo-8-Besatzung von der geplanten Mondumrundung der Sowjets. Kommandant Frank Borman zufolge ging ein Seufzer der Erleichterung durch die Gruppe, als der letzte mögliche Termin verstrichen war und feststand, daß ihnen niemand zuvorkommen konnte.

Am Heiligen Abend 1968 schwenkte Apollo 8 in eine Umlaufbahn um den Mond ein und beendete damit diesen Prestige-Wettkampf der beiden Weltmächte. Die bei der Mission gesammelten Erfahrungen ebneten den Weg für den historischen Flug von Apollo 11 sieben Monate später, bei der Armstrong und Aldrin die Flagge der USA im Meer der Ruhe hißten.

Nach diesen triumphalen Erfolgen wäre die Welt mit dem sowjetischen bemannten Mondprogramm nicht mehr sonderlich zu beeindrucken gewesen. Zwar gaben die Sowjets den Erdtrabanten nicht sofort als Forschungsziel auf und setzten im September und November 1970 bei den Missionen Luna 16 und Luna 17 jeweils ein ferngesteuertes Fahrzeug darauf ab. Doch kurz darauf sah die sowjetische Führung ein, daß Kosmonauten sich in einem Mond-Orbit keine Meriten mehr erwerben würden und strich ihr Umrundungsprogramm endgültig.

Das Programm zur Landung von Menschen auf dem Mond erlitt ein noch schmählicheres Schicksal. Im Februar 1969 endete der erste Start einer N-1 bereits nach einer Minute. Beim zweiten Versuch am 3. Juli, nur dreizehn Tage vor dem Aufbruch von Apollo 11, explodierte die Trägerrakete auf der Rampe und zerstörte einen großen Teil der Starteinrichtungen. Dieses Unglück warf das sowjetische Programm um zwei Jahre zurück. Zwei weitere Startversuche der N-1 im Juli 1971 und November 1972 schlugen ebenfalls fehl.

Wenn sie schon nicht gesiegt hatten, so wollten die Leiter des Korolew-Entwicklungsbüros wenigstens die Besten sein. Während die Astronauten der sechs Apollo-Missionen dem Erdtrabanten immer nur Stippvisiten abgestattet hatten, planten Mischin und seine Arbeitsgruppe längere Arbeitsaufenthalte. Anfang 1974 glaubte Mischin die Ursachen der früheren Fehlschläge gefunden zu haben und unmittelbar vor einem Erfolg zu stehen. Im Mai 1974 wurde er jedoch als Chef des Entwicklungsbüros entlassen und durch Gluschko ersetzt – den Mann, der sich mehr als ein Jahrzehnt zuvor mit Korolew um die N-1-Trägerrakete gestritten hatte.

Eine der ersten Amtshandlungen Gluschkos bestand darin, das N-1-Programm zu streichen und die zehn noch vorhandenen Trägerraketen zerstören zu lassen. Mischin wollte zumindest die beiden nahezu fertiggestellten Exemplare erproben, was jedoch abgelehnt wurde. Statt das über mehr als ein Jahrzehnt mit erheblichem Einsatz vorangetriebene Mondprogramm fortzusetzen, versuchten Gluschko und seine Vorgesetzten mit nahezu krankhaftem Eifer, alle Spuren seiner Existenz zu tilgen. Seit den frühen siebziger Jahren konzentrierte sich die sowjetische bemannte Raumfahrt auf Langzeitflüge in der Erdumlaufbahn.


Vom Kalten Krieg zur Kooperation

Nach dem sprichwörtlichen Flagge-Zeigen auf dem Mond reduzierten auch die Vereinigten Staaten ihr Mondprogramm. Die sechste und letzte Apollo-Mission verließ den Erdtrabanten im Dezember 1972. Den Vorgaben Kennedys war mehr als Genüge getan.

Was hat dieser Sieg den USA gebracht? Diese Frage kann man wohl nur vor dem Hintergrund der damaligen globalen Verhältnisse beantworten. Der Wettlauf zum Mond war eine Operation des Kalten Krieges und spielte somit eine wichtige außenpolitische Rolle. Mit ihrem Erfolg untermauerte die amerikanische Nation in den sechziger Jahren ihren Anspruch auf politische und militärische Führung in der Welt. Zudem war die Mondlandung eine überzeugende Demonstration sowohl des Durchsetzungswillens als auch der technischen Fähigkeiten der Vereinigten Staaten.

Der Fehlschlag des sowjetischen Programms war ebenfalls mehr als bloß ein Imageverlust. Im Jahre 1961 hatten viele Menschen überall auf der Erde – selbst in den USA – angenommen, die UdSSR könne mit ihrer zentralen Planwirtschaft langfristige Ziele in der Raumfahrt energisch und erfolgreich umsetzen. Nachdem die Sowjetunion jedoch immer mehr ins Hintertreffen geraten war, zerstörte dies den Glauben an die Tauglichkeit des Sozialismus, und ihr Einfluß in der Weltpolitik verringerte sich.

Während seiner kurzen Präsidentschaft stand Kennedy dem Gedanken an einen Wettstreit im Weltraum mit gemischten Gefühlen gegenüber. Schon in seiner Antrittsrede hatte er der Sowjetunion vorgeschlagen, "den Weltraum gemeinsam zu erkunden". Kurz nach seiner Vereidigung forderte er die NASA und das Außenministerium zur Entwicklung von Plänen für eine verstärkte amerikanisch-sowjetische Zusammenarbeit in der Raumfahrt auf. Genau an jenem Tag, an dem Kennedy die entsprechenden Pläne überreicht wurden, umrundete Gagarin als erster Mensch die Erde. Daraufhin beschloß Kennedy, die Vereinigten Staaten sollten die Führung in der Raumfahrt anstreben. Aber noch in seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am 20. September 1963 – zwei Monate vor seiner Ermordung – fragte er: "Warum sollte der erste Flug eines Menschen zum Mond das Ergebnis eines Wettstreits von Nationen sein?"

Erst heute scheint Kennedys Traum von einer Zusammenarbeit der beiden großen Raumfahrtnationen wahr zu werden. Am 15. Dezember 1993 unterzeichneten der amerikanische Vizepräsident Al Gore und der Verwaltungschef der NASA Daniel S. Goldin mit der russischen Seite einen Vertrag über gemeinsame Raumfahrtprojekte. Angestrebt wird die Entwicklung einer internationalen Raumstation. Diese soll hauptsächlich aus amerikanischen und russischen, aber auch aus europäischen, japanischen und kanadischen Komponenten bestehen und kurz nach der Jahrtausendwende in Betrieb genommen werden.

Mehr als dreißig Jahre lang trieb die Rivalität des Kalten Krieges sowohl die amerikanische als auch die sowjetische bemannte Raumfahrt an. Entsprechende Kampagnen im 21. Jahrhundert dürften – wenn überhaupt – wohl nur mehr in enger multilateraler Zusammenarbeit unternommen werden. Dabei könnte sich an der Raumstation eine neue Außenpolitik bewähren, indem sich die Nationen der Welt zur friedlichen Erkundung des Sonnensystems vereinen.

Literaturhinweise

- The Decision to Go to the Moon: Project Apollo and the National Interest. Von J. Logsdon. MIT Press, 1970.

– Geschichte der Raumfahrt. Von Werner Büdeler. Universitätsdruckerei H. Stütz, Würzburg 1979.

– The Heavens and the Earth: A Political History of the Space Age. Von Walter A. McDougall. Basic Books, 1985.

– The Soviet Manned Space Program. Von Phillip Clark. Orion Books, 1988.

– Sowjet-Raumfahrt. Von Rudolf Hofstätter. Birkhäuser, Basel 1989.

– L'Astronautique Sovietique. Von Christian Lardier. Armand Colin, Paris 1992.

– Spaceflight. The Magazine of Aerospace Science and Technology. Herausgegeben von der British Interplanetary Society, 27-29 South Lambeth Road, London, England SW8 1SZ.

– Quest. A quarterly magazine on the history of spaceflight. P.O. Box 9331, Grand Rapids, MI 49509, USA.

– Raumfahrt Journal. Zeitschrift für Raumfahrt und Astronomie. Verlag Torsten Block, Postfach 8007, D-38621 Goslar.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 8 / 1994, Seite 30
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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