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Expeditionen in den Nanokosmos. Die technologische Revolution im Zellmaßstab

Birkhäuser, Basel 1995.
196 Seiten, DM 49,80.

Ein Autor, der Fachmann ist und außerdem noch zu schreiben versteht: Michael Groß, freier Mitarbeiter dieser Zeitschrift, ist promovierter Chemiker und forscht derzeit am Oxford Centre for Molecular Sciences in England. Irgendwo im Laufe seiner Darstellung kommt auch eine seiner eigenen Arbeiten zur Proteinchemie zur Sprache; sie kann sich im Vergeleich zu den anderen vorgestellten Leistungen durchaus sehen lassen.

Das Wort "nano" im Titel des Buches spielt auf die Größenordnung milliardstel Meter (Nanometer) an. Das ist der Bereich einzelner Atome und Moleküle; aber Atome zu Molekülen zusammenzufügen ist das tägliche Brot der Chemiker. Also nur ein neues Wort für eine altbekannte Tätigkeit?

Keineswegs. Es handelt es sich um ein Gebiet, zu dessen Erschließung sich mehrere Wissenschaften treffen, außer Physik und Chemie vor allem Biologie und Informatik. Dementsprechend gibt es mehrere Wege für "Expeditionen in den Nanokosmos", darunter auch solche, die in vertrauten Größenordnungen beginnen und Schritt für Schritt in kleinere Dimensionen vorstoßen.

Bekanntestes Beispiel sind die Schalt- und Speichersysteme des Computers; ausgehend von den gelöteten Platinen ist man inzwischen bei Mikrochips mit tausendstel Millimeter feinen Strukturen angekommen, und wie es aussieht, sind die Möglichkeiten der Verkleinerung noch nicht ausgeschöpft. Für den Übergang in die Mikrobereiche bedurfte es einer völlig neuen Methode, der Photolithographie (Spektrum der Wissenschaft, Februar 1996, Seite 70). Das Grundmaterial ist chemisch reines, kristallines Silicium, und es war nur logisch, daß die Konstrukteure der Chips sich jegliche Erfahrung in der Bearbeitung dieses Stoffes im Mikrobereich erst aneignen mußten. Diese Kenntnisse wurden mittlerweile die Grundlage einer Mikromechanik, in der es darum geht, kleinste Gebilde, beispielsweise Fräsen, Pumpen und Motoren, aus winzigen Werkstücken zusammenzubauen.

Ein anderer Weg führt über dünnste Schichten, die auf Oberflächen aufgedampft werden, wobei die Grundmaterialien oft völlig neue Eigenschaften erhalten. Ein wesentlicher Fortschritt wurde durch das Rastertunnelmikroskop erreicht, mit dessen Varianten man nicht nur einzelne Atome sehen, sondern auch gezielt bewegen kann.

Seinem angestammten Wissensgebiet gemäß widmet Groß den größten Teil seines Buches dem dritten Weg in den Nanokosmos, dem über die Chemie. Die Natur löst eine Fülle von chemischen und konstruktiven Problemen mit geringstem Aufwand, und die Chemotechniker versuchen, einiges davon aufzugreifen und in künstliche Systeme zu übertragen. Andererseits beginnen sie sich vom Vorbild der Natur zu lösen, beispielsweise indem sie Moleküle mit vorgegebenen topologischen Eigenschaften synthetisieren. Auf diese Weise entstanden verzweigte Ketten (Spektrum der Wissenschaft, September 1995, Seite 42), Netze, Gitter und die fußballförmigen Fullerene. Tatsächlich findet das, was da mitunter fast spielerisch entstand, schon die eine oder die andere Anwendung, beispielsweise dadurch, daß man in die Maschen eines molekularen Netzes Metallatome einschließt – und zum allgemeinen Erstaunen neue supraleitende Materialien findet. Selbst die Erbsubstanz DNA läßt sich zu räumlichen Netzen und Gittern zusammenbauen, und wie es aussieht, erhält man dabei sogar das Grundgerüst eines noch hypothetischen molekularen Computers.

Manches von dem, was die extreme Miniaturisierung verheißt, erscheint vorerst als utopisch, und so ist es nicht gerade überraschend, daß einige der beteiligten Wissenschaftler und Ingenieure mit ihren Erwartungen unversehens in die Science-fiction geraten. Insbesondere ist es der "Prophet der Nanotechnik" K. Eric Drexler, dessen Visionen der Autor den letzten Abschnitt des Buches gewidmet hat. In einem 1986 erschienenen Buch versuchte Drexler zu begründen, warum er von der Nanotechnik die Lösung aller Probleme unserer Welt erhofft. Nach seiner Vorstellung wird man chemische Maschinen, die selbstgesteuert eine Aufgabe verrichten und zudem zur Selbstreplikation fähig sind, in den Boden, in das Wasser und in die Luft entlassen, wo sie sich vermehren und alle Gift- und Schadstoffe abbauen; zudem würden sie zur sanften chemischen Synthese fähig sein und auf diese Weise zehn Milliarden Menschen mit Lebensmitteln, Textilien, Rohstoffen und anderen Gütern versorgen.

Drexler ist heftig kritisiert worden und hat sich mit weiteren Publikationen auf etwas sichereres Terrain zurückgezogen. Es bleiben durchaus vernünftige Überlegungen, die mit denen von Groß übereinstimmen (vergleiche dessen Rezension von Drexlers jüngstem Werk in Spektrum der Wissenschaft, September 1995, Seite 123). Am Beispiel der Natur erkennen wir, daß unsere bisherige Technik außerordentlich grobschlächtig ist und es noch viele Möglichkeiten gibt, sie zu verbessern und zu verfeinern, und zwar durchaus auch im Sinne der Ökologen. Es wäre also völlig kontraproduktiv, jenen Skeptikern zu folgen, die vor jeglicher aktuellen wissenschaftlichen und technischen Forschung warnen.

Das Buch von Michael Groß bietet jedem eine gute Gelegenheit, sich darüber sein eigenes Urteil zu bilden.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 7 / 1996, Seite 127
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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