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Life Science. Ars Electronica 99.

Springer, Wien 1999. 447 Seiten, DM 79,–.


Die digitale Revolution ist zu Ende, die biologische beginnt. Das ist zwar grob vereinfacht, aber im Kern wahr. Ungewöhnlich ist eher, so etwas als Prämisse für eine vor allem der Kunst gewidmeten Veranstaltung zu finden: das Festival "Ars Electronica", das seit 1979 (meist) in Jahresabständen in Linz an der Donau abgehalten wird. Künstler, Philosophen, Wissenschaftler und Techniker treffen sich hier – so die Absicht der Gründer und Veranstalter –, um die jüngsten Trends zu diskutieren. Das vorliegende Buch ist einer der begleitenden Kataloge; es enthält alle Referate des Symposiums über Life Science 1999, dazu Dokumentationen der zum Thema gehörenden künstlerischen Versuche.

Der Schwerpunkt Lebenswissenschaften ist gar nicht so weit von dem Hauptthema digitale Technik und elektronisch unterstützte Kunst entfernt, wie es scheinen mag. Das aufregend Neue in der modernen Biologie liegt ja im Bereich der Informationsverarbeitung, vor allem in der Genetik. Genau dort stellen sich auch neue, brisante ethische Fragen, auf die es noch keine Antwort gibt.

Eine interdisziplinäre Veranstaltung wie die Ars Electronica ist ein geeigneter Ort, diese über den rein wissenschaftlichen Horizont hinaus reichenden Fragen in den Vordergrund zu rücken. Zur Auslotung der Möglichkeiten, der Chancen und Gefahren trägt die Kunst Wesentliches bei, da sie über das Quantifizierbare hinaus Intuitionen und Visionen Raum geben darf. Nicht umsonst beziehen mehrere Autoren wesentliche Gedanken aus der Science-fiction.

Diese künstlerische Freiheit nützen auch die Wissenschaftler aus, und obwohl ihre Beiträge nichts prinzipiell Neues enthalten, haben sie weitaus mehr Bezüge zu allgemeineren Fragen als ihre üblichen Publikationen. Die Methoden des Klonens, die Organverpflanzung, die gezielten Eingriffe in das Genom, die Produktion neuer Lebewesen: Welche Konsequenzen werden die neuen Techniken auf den Menschen und die Gesellschaft haben? Was ist machbar und erfolgversprechend, was nur überzogene Utopie? Was ist erlaubt, was verboten? Diese Fragen greifen nun auch Künstler auf und erweitern dadurch das Spektrum der Auseinandersetzung beträchtlich. An diesen Stellen findet sich das eigentlich Erstaunliche dieses Bandes.

"Biologische Kunst" ist nichts prinzipiell Neues: Gartenkunst oder die Züchtung von Tieren nicht zum praktischen Gebrauch, sondern der Schönheit oder der Kuriosität halber, gibt es schon lange. Schon in Shakespeares "Wintermärchen" weist Perdita eine hochgezüchtete Nelkenart als Bastard der Natur zurück, worauf Polyxenes zurückgibt: "Das ist eine Kunst, die die Natur verbessert".

Bei einer Kunstform, die sich neuen Materialien und neuen Gestaltungsmethoden zuwendet, gibt es zwangsläufig auch Fehlschläge, so jene wohlgemeinten Versuche, mit trivialen Mitteln auf Mißstände aufmerksam zu machen: Ein Bild einer Schafherde soll nach der hinzugefügten Erklärung auf die Ununterscheidbarkeit von Klonen hinweisen; Bilder von Gesichtern oder Körpern werden abwandelbar dargestellt als Symbol für den bedenklichen Eingriff des Menschen in vorgegebene biologische Systeme. Das hätte sich wesentlich einfacher, eindringlicher und gezielter durch ein paar Science-fiction-Stories ausdrücken lassen.

Bemerkenswerter sind schon jene Werke, die dem Thema Life Science ästhetische Aspekte abgewinnen – beispielsweise durch Umsetzung des genetischen Codes in Musik, wobei die Komplexität der Ordnungsstruktur auditiv begreifbar wird. Am interessantesten sind zweifellos die Arbeiten, die Life Science zur Gestaltung von Kunstwerken verwenden, die sich als biologische Organismen präsentieren. Einiges davon ist bisher nur als Projekt beschrieben, etwa der leuchtende Hund GFP K-9, den sich einer der bekanntesten Repräsentanten der Biokunst, der Amerikaner Eduardo Kac, ausgedacht hat, detailliert mitsamt wissenschaftlichen Grundlagen und Endergebnis. Diese Idee wäre vermutlich heute schon realisierbar, im Gegensatz zu anderen, die noch utopisch erscheinen oder, vielleicht, aus ethischen Gründen nicht verwirklicht werden – beispielsweise die Erzeugung von monströsen Mutanten.

Der Band ist reich illustriert; alle Texte liegen in Englisch und in Deutsch vor. Für jene, die dabei waren, ist er eine wertvolle Zusammenfassung. Allen anderen gibt er zumindest eine Vorstellung davon, was sich in jenen interessanten Grenzbereichen tut.


Aus: Spektrum der Wissenschaft 1 / 2000, Seite 101
© Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft mbH

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